ImageKaum ist die neue französische Regierung beim Fiskalpakt eingeknickt, wird das Power-Play für dessen autoritäre Verschärfung eröffnet. Die deutschen Machteliten wollen den Super-Kommissar.

Der Standard klärt uns am 18.9.2012 darüber auf, was wir in EU-Europa in Hinkunft als "Lichtblick" zu sehen haben: "Griechenland: Das drastische Sparprogramm der EU und des Internationalen Währungsfonds zeigt Wirkung. Es ist nur ein kleiner Lichtblick in einer Flut an schlechten Nachrichten, aber immerhin: ...Die Arbeitskosten sind in dem südeuropäischen Land im ersten Quartal 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 11,5 Prozent gefallen." (Der Standard, 18.9.2012) Solche „Lichtblicke“ will man offensichtlich in den Konzernzentralen mehr sehen. Das dahinterstehende Programm hat EZB-Chef Mario Draghi knapp zusammengefasst: Den Sozialstaat in Europa zu einem „Auslaufmodell“ machen.

Die Union des August Friedrich von Hayek

Die Mächtigen wissen, dass die Demontage des Sozialstaates auf demokratischem Weg kaum möglich sein wird. Sozialstaat und Demokratie wiederum sind eng mit der Entwicklung des Nationalstaates verbunden. Das hat schon den radikalsten und kompromisslosesten Vordenker des Neoliberalismus Friedrich August von Hayek dazu veranlasst, in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein politisches Modell zu ersinnen, das beiden – Demokratie und Sozialstaat – ein Ende bereitet, indem die Souveränität der Nationalstaaten gebrochen wird. Denn nach seiner Auffassung „gründeten die Probleme Europas im Aufstieg der Volkssouveränität und demokratischer Kontrolle über die Wirtschaftspolitik. Seine Lösung war eine Europäische Föderation, (in der) die europäischen Staaten vertragliche Verpflichtungen zur Beendigung öffentlicher Kontrolle über die Wirtschafts- und Sozialpolitik eingehen. Seine brillante Erkenntnis war, dass unter internationalem Vertragsrecht die normalen parlamentarischen Gesetze und Politiken einzelner Staaten unterlaufen werden können. Somit kann ein Vertrag, der innerstaatliche Angelegenheiten betrifft, demokratische Politikgestaltung blockieren.“ (1)

Es ist unschwer zu erkennen, dass die Europäische Union auf diesen Überlegungen Hayeks aufbaut. Seit den Verträgen von Maastricht wird über die neoliberalen EU-Verträge das Roll-Back des Sozialstaates betrieben und die Demokratie in den einzelnen Nationalstaaten mit dem ebenso dumpfen wie wirkungsvollen Verweis geknebelt: „Das widerspricht den EU-Verträgen.“ Diese Verträge zwangen die Nationalstaaten zunächst in das Korsett von Freihandel, Kapitalverkehrsfreiheit und monetaristischer Geldpolitik. Mit dem EU-Fiskalpakt kommt nun auch der zunehmende Eingriff in die Budgetpolitik hinzu. Dazu gehört die Verschränkung rigider Defizit- und Verschuldenskriterien, über die den Hayek-Jüngern in der EU-Kommission die Definitionsgewalt zugesprochen wird. Bei Zuwiderhandeln drohen saftige Geldstrafen und die permanente Einmischung durch die EU-Kommission. Sogar auf eine Ausstiegsklausel aus dem Vertrag haben die EU-Mächtigen vergessen. Neoliberalismus forever. Hayek wäre beeindruckt.

Kommt der Superkommissar?

Doch auch dieser Fiskalpakt hat noch seine „Unzulänglichkeiten“, vor allem aus Sicht der deutschen Machteliten, die nun die Wirtschaftskrise als „Chance“ sehen, um die EU endgültig in ein „europäisches Reich deutscher Nation“(2) zu transformieren. Die länderweisen „Empfehlungen“ der EU-Kommission im Rahmen des „Europäischen Semesters“ sind noch nicht unmittelbar verpflichtend. Die EU-Kommission kann erst im nachhinein die „Defizitsünder“ mahnen und mit Strafen bzw. schrittweiser „Entmündigung“ drohen. Die Eröffnung eines solchen „Defizitverfahrens“ wurde zwar mit dem Fiskalpakt vereinfacht, aber es braucht die Mehrheit in der Kommission und zumindest eine qualifizierte Minderheit im EU-Rat, die ein Veto verhindert.

Die neue französische Regierung Hollande war nicht zuletzt mit dem Versprechen gewählt worden, den Fiskalpakt „nachzuverhandeln“. Es dauerte gerade einmal ein paar Monate, bis sie einknickte und im Oktober den Pakt unverändert abnickte. Den „Wachstumspakt“, den Hollande dafür von Berlin bekam, hat sich mittlerweile als „Placebo“ und großteils als Konglomerat von „Luftbuchungen“ erwiesen, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund aufzeigte. Nur wenige Tage nach diesem Umfaller in der französischen Nationalversammlung sehen die deutschen Machteliten die Zeit gekommen, den Fiskalpakt weiter zu verschärfen. Knapp vor dem EU-Gipfel am 18./19.10.2012 preschte Finanzminister Schäuble mit einem neuen Vorschlag vor: In Zukunft sollten die nationalen Budgets vorab dem Währungskommissar zur Genehmigung vorgelegt werden. Und zwar ihm allein. Dieser Super-Kommissar entscheidet dann allein, ob er den Entwurf genehmigt oder ob er wieder zurückgeworfen wird. Sollte sich dann der Staat als unwillens oder unfähig erweisen, den Kommissarsvorgaben Rechnung zu tragen, erfolgt der nächste Schritt, den der deutsche Ökonom Straubhaar so umreißt: „Dann verliert der einzelne Staat im Prinzip seine Finanzautonomie und wird zentral vom Währungskommissar praktisch verwaltet. Ähnlich wie in einem französischen Departement würde dann bei einem EU-Staat alles für diesen speziellen Fall aus Brüssel entschieden.“ (3). Praktischerweise heißt der derzeitige EU-Währungskommissar Olli Rehn und kommt aus Deutschland. Sogar in den obersten technokratischen Zirkeln der Macht, die selbst schon außerhalb demokratischer Rufweite angesiedelt sind, soll also das Führerprinzip Einzug halten. Frankreich leistete gegen den Super-Kommissar beim letzten EU-Gipfel hinhaltenden Widerstand und fordert stattdessen die sofortige Einführung der Bankenunion. EU-Präsident van Rompuy will zusätzlich die „Empfehlungen“ der EU-Kommission im Rahmen des „Europäischen Semesters“ verbindlich machen. Möglicherweise wird man sich beim Dezember-Gipfel darauf verständigen, alles gleichzeitig zu machen.

„Linken Daumen bandagieren, rechtes Bein absägen“

Natürlich wissen Merkel, Schäuble & Co. dass sie einen Brosamen für sozialdemokratische und grüne FunktionsträgerInnen rausrücken müsse, um diesen Großangriff auf Sozialstaat und Demokratie durchdrücken zu können. Dieser heißt „Finanztransaktionssteuer“ (FTS). Der Chefökonom der UNCTAD Heiner Flassbeck hat über das Tauschgeschäft „Fiskalpakt gegen Finanztransaktionssteuer“ treffend angemerkt: „Der Fiskalpakt sieht noch rigidere Sparprogramme vor, wird also Europa in eine tiefe Rezession oder gar Depression führen (…). Das ist so, als würden sie einem Patienten den linken Daumen bandagieren und dafür das rechte Bein absägen.“ (5). Die Misere der südeuropäischen Länder, denen gerade beide Beine abgesägt werden, bestätigt die Einschätzung Flassbecks. Diese Länder haben seit Ende 2010 eine Kapitalflucht von 10% ihrer Wirtschaftsleistung erlitten (alleine Italien und Spanien mussten zwischen Juni 2011 und Juli 2012 einen Kapitalabfluss von einer halben Billion Euro Richtung Nordeuropa hinnehmen). Um dieses Ausbluten zu verhindern, ist eine FTS nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein, vielmehr wäre die sofortige Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen erforderlich. Und um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den EU-Staaten zu bekämpfen, die letztlich in die Finanzmisere geführt haben, müsste das Freihandelsregime in Frage gestellt werden. Freihandel und Kapitalverkehrsfreiheit sind aber die „heiligen Kühe“ der EU, einbetoniert im Primärrecht.

„Dogmatisch und doktrinär“

Die FTA soll nicht einmal den Budgets der geplagten Einzelstaaten zufließen, vielmehr, so fordern der deutsche Finanzminister Schäuble und EU-Präsident Rompuy, soll damit ein eigenes zentrales Budget der Euro-Staaten gespeist werden. Auf diese Weise könnten dann weitere Lieblingsprojekte von Merkel, Schäuble & Co. finanziert werden, wie z.B. eine eigene Euro-Armee. Ein aggressiver Neoliberalismus muss ja nach außen und innen mit aller Macht durchgesetzt werden können. Was sind die Diktate eines Währungskommissars schließlich wert, wenn sie nicht auch „nötigenfalls mit robusten Mitteln“ (EU-Kommissar Verheugen, 2005) durchgesetzt werden können.

Schon August Friedrich von Hayek forderte auf, der marktwirtschaftlichen Freiheit „dogmatisch und doktrinär“ zum Durchbruch zu verhelfen, wenn sie vom „Irrglauben“ der Massen an die „soziale Gerechtigkeit“ und die „Volkssouveränität“ (6) bedroht sei. Entsprechend groß war seine Bewunderung für die blutige Militärdiktatur Pinochets in Chile. Hayeks Credo: „Ich bevorzuge (neo-)liberale Diktatoren gegenüber demokratischen Regierungen, denen es an (Neo-)Liberalismus mangelt“.(7) Schnittmengen mit Merkels Ansage einer „marktkonformer Demokratie“ sind mit freiem Auge erkennbar. Dass der von der EU in Italien ohne Wahlen inthronisierte Regierungschef Mario Monti ein Preisträger der Friedrich August von Hayek-Stiftung ist, hätte den Vordenker des autoritären Neoliberalismus sicher gefreut.

Quellen:

(1) Gowan, Peter: »The State of the Union – the global context«, paper presented on the 11th workshop on Alternative Economic Policy in Europe, Brussels 2005, zitiert nach: Andreas Wehr, in: Junge Welt, 18.9.2012

(2) Zit. nach Dorothee Piemont, rot-grüne Europa-Parlamentarierin, in: EKG, 3/13, 1993

(3) Spiegel online, 16.10.2012

(4) Ver.di, Publik-Forum 05/2012

(5) Ordo, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 1960/61

(6) Vergl. Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 09/9

(7) Zit. Nach Greg Grandin, Empire´s Workshop: Latin America, the United States, and the Rise of the New Imperialism, Metropolitan