ImageKommentar von Boris Lechthaler (Solidarwerkstatt) zu Hintergründen und Konsequenzen des "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit", der von Merkel und Sarkozy für die EU-Staaten gefordert wird.


Einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ wollen Merkel und Sarkozy der EU-Ratstagung Anfang März 2011 vorschlagen. Damit soll die zur Staatsschuldenkrise in der EU verwandelte Weltwirtschaftskrise nachhaltig bewältigt werden. Die europäische Wirtschaftsregierung wurde jahrelang von Frankreich gefordert. Sie sollte die Asymmetrie – vergemeinschaftete Geldpolitik, nationale Budgetpolitik  -  beseitigen. Und von Deutschland blockiert. Jetzt hat Berlin zugestimmt. Zu welchem Preis? Über Rentenalter, Sozialleistungen, Lohnerhöhungen – vor allem im öffentlichen Dienst – soll in Hinkunft in dem von Berlin vorgegebenen Rahmen entschieden werden.  

Es war nur eine Frage der Zeit. Und der Zeitpunkt mit dem diese politische Finalität des EU-Projekts auf die Tagesordnung drängte, wurde durch die Krise lediglich beschleunigt. Nach den vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts und der gemeinsamen Währung, musste früher oder später eine gemeinsame Fiskal-(=Budget)politik folgen. Es ging nur wie beim Pokern darum, wer früher die Nerven wegwirft. Der Binnenmarkt beruht nicht auf einem gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Raum – mit annähernd gleichen Produktivitätsniveaus, einer gleichverteilten industriellen Infrastruktur, schon gar nicht mit gleichartigen korporativen Strukturen, oder ähnlichen sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen. Die Vergemeinschaftung sollte vielmehr über die vier Freiheiten des Binnenmarkts erzwungen werden. Ein Vorhaben, das so lange unterlaufen werden konnte, als wettbewerbsschwächere Länder ihren Handelsungleichgewichten mit Währungsabwertung begegnen konnten. Diese Tür blieb forthin für die Euroländer verschlossen. Das deklarierte Ziel bei der Euroeinführung war, dass einzig die Senkung von Löhnen und Sozialleistungen zur Anpassung bei Handelsungleichgewichten für wettbewerbsschwächere Länder übrig bleiben. Das Land aber, das Löhne und Sozialleistungen am radikalsten von der Produktivitätsentwicklung abkoppelte und nach unten drückte, war nicht irgendein Nachzügler an der Peripherie, sondern das bei industriellen Gütern wettbewerbstärkste Land in Europa: Deutschland. Und einige kleine Länder in seinem Schlepptau, wie Österreich.

Um das zu verstehen, genügt es nicht den wirtschaftlichen Vorgang zu begreifen. Merkel und Sarkozy werden jetzt nicht müde, zu betonen, dass der Euro gerettet werde, weil er ein politisches, kein wirtschaftliches Projekt sei. Richtig. Ebenso richtig aber ist die Schlussfolgerung, dass die Politik des Lohnraubs, der Produktivitätspeitsche, der knappen öffentlichen Kassen in Deutschland samt Adlaten nicht nur eine Kampfansage der Machteliten an die eigene Bevölkerung war, sondern eine Kampfansage zur hegemonialen Neuordnung Europas an seine Nachbarn.

Klar, dass die Architekten dieser Strategie das nicht so gern direkt aussprechen. Aber es gibt ja angeblich auch eine Opposition - nicht nur eine parlamentarische, sondern auch eine gewerkschaftliche, und eine zivilgesellschaftliche. Die fordert jedoch großteils, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, das Ende des Kapitalismus, der Arbeit oder des Geldes herbeizuanalysieren, mehr vom Selben: Anhebung aller Standards, ja, zu einer Transferunion müsse sich die EU entwickeln. Wie geht das? Wie schaut das aus? Gibt es dafür Beispiele in der neueren Geschichte? Ja, doch. Eines. Die Einverleibung der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik. 7:1 wurden DDR- zu D-Mark einst getauscht. 1990 wurde 2:1 verordnet. Freilich, da kann man von Transfer sprechen. Der Preis: weitgehende Deindustrialisierung und völlige Unterordnung der sogenannten neuen Bundesländer, ein sprunghafter Anstieg dauernder Arbeitslosigkeit und Entvölkerung ganzer Landstriche.  Der mehrheitliche politische Wille in Deutschland zur Herstellung einer einheitlichen Gesellschaft, mit gleicher Produktivität und weitgehend ähnlichen gesellschaftlichen Strukturen, eines deutschen Staates, sind der Grund, warum die Deutschen den Preis bezahlt haben und bezahlen werden.

Mit oder ohne Transfers: Euro und Eurozone bedeuten Wiedervereinigung hoch 17*). Das Gerede von den gemeinsamen Standards, der Transferunion mündet im Ergebnis beim „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“. Produktivität erscheint nur als wirtschaftliche Kategorie. Ihre Fundierung eröffnet sich im Verständnis des gesamten gesellschaftlichen Lebens, der wirtschaftlichen und politischen Strukturen, der Kultur. Verweigern sich diese, gibt es keine Bereitschaft den politischen Preis zu entrichten, spüren sie den Atem der mit wirtschaftlicher und politischer Macht verschleierten rohen Gewalt. Ein zu hoher Preis für die Weltmachtphantasien verkommener Eliten. Ein Preis, den wir nicht zahlen wollen. Deshalb: Solidarstaat Österreich statt EU-Konkurrenzregime!

*) Seit dem Beitritt Estlands sind 17 EU-Mitgliedsstaaten Mitglieder der Eurozone.

Höre zu diesem Thema auch Boris Lechthaler im Gespräch mit Radio FRO