
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und der EU-Fiskalpakt sind zwei Seiten einer Medaille. Der EU-Fiskalpakt dient im Wesentlichen dazu, den „europäischen Sozialstaat zu einem Auslaufmodell zu machen“, wie es der EBZ-Chef Mario Draghi fordert. Da die Beseitigung des Sozialstaates auf demokratischem Weg nicht möglich ist, sollen mit dem EU-Fiskalpakt die Parlamente in ihrer Budgethoheit weitgehend beschnitten werden. Ergänzt wird der Fiskalpakt durch den ESM, einem durch und durch autokratischen Instrument, das dazu dient, der EU-Technokratie quasi neokolonialen Zugriff auf die überschuldeten Staaten der EU-Peripherie zu verschaffen, und zwar mit dem Geld der SteuerzahlerInnen, das nicht an die notleidenden Menschen, sondern postwendend in die Kassen der Vermögenden, der großen Industrie- und Finanzkonzerne umgelenkt wird. Was das für die Menschen in den neuen „EU-Kolonien“ bedeutet, wird in Griechenland vorexerziert: Seit dem Zugriff der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF auf dieses Land hat sich die Jugendarbeitslosigkeit auf über 50% mehr als verdoppelt, Hunger bereitet sich aus, bereits eine Viertel Million Menschen ist auf öffentliche Suppenküchen angewiesen.
EU-Fiskalpakt und ESM sind tiefe politische und rechtliche Einschnitte. Eine breite Debatte mit anschließender Volksabstimmung wäre sowohl aus demokratie- wie verfassungsrechtlichen Gründen unbedingt notwendig. Umso mehr, da beide Verträge keine Kündigungsmöglichkeiten beinhalten, also „bindend und ewig“ (Angela Merkel) gelten sollen. Da aber die Regierungsparteien die breite Information der Bevölkerung wie der Teufel das Weihwasser fürchten, sollen Fiskalpakt und ESM noch im Eilzugsverfahren zwischen 4. und 6. Juli durchs Parlament gejagt werden.
Dabei zeichnet sich eine Schmiertragödie ab.
Während sich in Deutschland große Gewerkschaften wie ver.di vehement gegen den EU-Fiskalpakt ausgesprochen haben, weil dieser Vertrag ein Schlag ins Gesicht der ArbeitnehmerInnen ist, geht in Österreich der ÖGB auf Tauchstation. Im SPÖ-Präsidium befürworteten 33 Mitgliedern den EU-Fiskalpakt, nur zwei votierten dagegen. Die Spitzengewerkschafter Foglar und Katzian waren nicht unter den Gegenstimmen. Offensichtlich ist den ÖGB-Spitzen im Nationalrat wieder einmal das Kanzlerhemd näher als der Gewerkschaftsrock. Wir kennen das aus dem Jahr 2008: Damals erklärten uns die ÖGB-VertreterInnen im Parlament, sie würden dem EU-Lissabon-Vertrag zustimmen, um damit das „soziale Europa“ voranzubringen. Vier Jahre später schicken sie sich offensichtlich an, einem EU-Vertrag zuzustimmen, der die „Strangulierung des Sozialstaats“ (Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister) einläutet.
Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die Grünen dem ESM zustimmen werden, nicht nur dem Vertrag, sondern sie wollen sich der Regierung auch für die dafür notwendige EU-Vertragsänderung als 2/3-Mehrheitsbeschaffer feilbieten. Grüne Abgeordnete erklären stolz, dass sie dafür eine Mitbestimmung des Parlaments bei den Entscheidungen des österreichischen Vertreters im Gouverneursrat des ESM durchgesetzt hätten. Freilich vergessen sie, darauf hinzuweisen, dass dies angesichts der autokratischen Konstruktion des ESM wenig Bedeutung hat. Denn auf Antrag der EU-Kommission und der EZB können ESM-Entscheidungen „Dringlichkeit“ zuerkannt werden. Das hat zur Konsequenz dass in ESM-Gremien nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird, sprich: es braucht zumindest 15% der Stimmen, um einen Beschluss zu verhindern. Der ESM ist in seinen Grundsätzen wie eine Aktiengesellschaft aufgebaut, in der die Stimmen der einzelnen Vertreter nach Anteil am Grundkapital gewichtet sind. Österreich verfügt dabei nur 2,8% der Stimmen, kann also locker überstimmt werden.
Steigbügelhalter für den Aufstieg der extremen Rechten
Stimmen die Grünen dem ESM und die GewerkschafterInnen dem Fiskalpakt zu, fungieren sie als Steigbügelhalter für den Aufstieg der extremen Rechten. Der extremen Rechten wird dann im Parlament das Monopol für die Ablehnung dieser beiden neoliberalen und autoritären Verträge überlassen. Wir wissen, wozu die Rechtsextremen das benutzen: Berechtiger Widerstand soll rassistisch kanalisiert werden, die Hauptleidtragenden gegeneinander ausgespielt werden, um sie letztlich umso wehrloser gegenüber den Plänen des EU-Establishments und der Großkonzerne zu machen. Zum gegebenen Zeitpunkt kann bei der extremen Rechten auf Grund ihrer blendenden Verbindung zu Großindustrie spielend der Schalter in die andere Richtung umgelegt werden. Das hat die schwarz- blaue Regierungsepisode zur Genüge bewiesen. Diese hat jeden Zuruf aus Brüssel und Berlin brav umgesetzt: vom Kauf der Eurofighter, den EU-Battlegroups, neuen Überwachungsgesetzen bis hin zu Privatisierungen, antisozialen Pensionsreformen und EU-Verfassung.
Die FPÖ ist nicht EU-oppositionell. Vielmehr denkt sie bereits die Perspektive der EU zu Ende, an der derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird: ein von den deutschen Eliten angeführtes „4. Reich“: nach innen autoritär und hierarchisch, nach außen aggressiv um Weltmarkt und Weltmacht kämpfend. Den Anschluss an Deutschland, der den Rechtsextremen durch die Vordertür aufgrund des von ihnen so gehassten Staatsvertrages verschlossen ist, bekommen sie allmählich durch die EU-Hintertür. Chefideologen wie Andreas Mölzer trommeln deshalb schon lange für ein solches großeuropäisches Reich. Für diese Entwicklung bereiten Fiskalpakt und ESM den Boden auf. Deshalb werden FP-Spitzenpolitiker nicht müde zu betonen, dass für sie der EU-Austritt „kein Thema ist“ (OÖN, 7.10.2011) bzw. „überhaupt nicht“ (Puls 4, 17.5.2011) in Frage kommt. Deshalb forderte die FPÖ bereits im Jahr 2009 jene brachiale Spar- und Sozialabbau-Politik ein, die jetzt unter dem Druck der EU-Kommission Regierungspolitik von rot und schwarz geworden ist. Deshalb befürwortet die FPÖ den Aufbau einer EU-Armee und bekennt sich das freiheitliche Parteiprogramm zur Teilnahme an globalen EU-Militärmissionen.
Schmierentragödie beenden!
Der Plan, die extreme Rechte als scheinbare „EU-Gegner“ zu positionieren, um damit den demokratischen Widerstand gegen den Marsch in die aggressive, neoliberale EU-Wirtschaftsdiktatur zu diskreditieren, ist die längste Zeit aufgegangen. Tatsächlich erweisen sich Rechtsextreme und neoliberale EU-Technokraten als siamesische Zwillinge: Auf der Bühne wird manchmal heftig gestritten, um sich hinter den Kulissen umso mehr gegenseitig zu bekräftigen. Alle, die diese Schmierentragödie satt haben, laden wir herzlich ein, bei der Solidarwerkstatt mitzumachen. Wir engagieren uns dafür, dass sich alle hier lebenden Menschen, mit und ohne österreichischem Pass, mit und ohne Migrationshintergrund, gemeinsam für ihre sozialen und demokratischen Interessen einsetzen. Diese Interessen stehen im tiefen Widerspruch zu ESM und Fiskalpakt im konkreten, und zur EU-Entwicklung im Allgemeinen. Hören wir auf, nach der Pfeife der Mächtigen zu tanzen, die Gegensätze dort vorgaukeln bzw. schüren, wo keine sind, um uns gegeneinander ausspielen zu können!
Nachsatz:
Fiskalpakt und ESM zementieren die neoliberale und autoritäre Ausrichtung der EU weiter ein; die österreichische Regierung will diese Verträge unter Bruch der Verfassung vor der Sommerpause durchpeitschen. Wer unter diesen Bedingungen die Debatte über einen EU-Austritt Österreichs weiterhin tabuisiert, läuft Gefahr, zu einem Bestandteil dieser Schmierentragödie zu werden.
Gerald Oberansmayr