Jetzt Helfen! Jetzt eine Politik für Vollbeschäftigung einfordern! Jetzt die Weichen für eine soziale und ökologische Transformation stellen! 
Zusammenfassung der Diskussion beim 1. Plenum der Solidarwerkstatt Österreich im Vereinsjahr 2020/21 am 30. September 2020 im Freiraum Wels.

Über 400.000 Menschen sind arbeitslos, über 400.000 Menschen sind in Kurzarbeit. Die Prognostiker gehen in der Zwischenzeit fast einheitlich von einem V-förmigen Verlauf der Krise aus, sprich die Erholung würde relativ rasch einsetzen oder hat bereits eingesetzt. Auch die Aktienmärkte spiegeln diese Einschätzung. Trotzdem erreichen uns besorgniserregende Nachrichten über Massenkündigungen und Betriebsschließungen aus verschiedenen Sektoren der Wirtschaft. Sie finden ihre Ursache teilweise unmittelbar in der Coronapandemie, z. B. beim Städtetourismus, eröffnen aber teilweise tiefer liegende Ursachen und Verwerfungen wie z. B. in der Automobil- und ihrer für Österreich so bedeutsamen Zulieferindustrie. Einzelne Menschen, jedoch auch ganze Gruppen von Menschen werden in der Krise überdurchschnittlich leiden. Auf diese Menschen müssen wir zugehen. Diesen Menschen müssen wir konkrete und glaubwürdige politische und wirtschaftliche Perspektiven anbieten. Kann die Antwort sein: „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz!“ Das ist weder realistisch noch in allen Fällen wünschenswert. Wir fordern Vollbeschäftigung. Vollbeschäftigung ist möglich. Es gibt genügend gesellschaftlich nützliche Arbeit, die erledigt werden muss. Es kann nicht darum gehen, die Gesellschaft unter einen Glassturz zu stellen. Jetzt in der Krise müssen die Weichen für eine soziale und ökologische Transformation, für eine solidarische und demokratische Wende gestellt werden. Diese notwendige Transformation ist nur als enorme gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung vorstellbar. Sie erfordert nicht nur die Mobilisierung finanzieller Mittel, der kreativen Ressourcen aller Menschen, sondern auch die Souveränität über den Zeitraum, in dem sie bewerkstelligt werden soll. Dies alles steht in unversöhnlichem Widerspruch zu den Bedingungen des EU-Konkurrenzregimes, dem wir derzeit unterworfen sind.

Wir sind es gewöhnt von seiten der österreichischen Industrie mit Erfolgsmeldungen verwöhnt zu werden. Die Integration der österreichischen Industrie in den europäischen Binnenmarkt sei eine kontinuierliche Erfolgsstory, markiert durch immer neue Exporterfolge. Die Finanzkrise 2008/2009 und die folgende Eurokrise haben diese Erfolgsstory kaum beeinträchtigt. In diesen Krisen wurde ein andere Schieflage der österreichischen Wirtschaft virulent: Die weit überdurchschnittliche – bezogen auf die Größe des Finanzmarkts - Exposition der österreichischen Banken auf Märkten in Mittel- und Osteuropa. (Wobei sich im Nachhinein das immer noch als nachhaltiger im Vergleich zu jenen europäischen Banken erwiesen hat, die in den USA exponiert waren.) In Bezug auf die Industrie hieß die Integration in den europäischen Binnenmarkt Integration in Wertschöpfungsketten, die ihre Finalität vielfach im deutschen Exportwunder finden. Insbesondere bildete sich eine breit und tief gestaffelte Zulieferindustrie zur Automobilbranche. Dieser Strukturbildungsprozess ist nicht einfach naturwüchsig verlaufen, sondern wurde vielfach auch gezielt politisch vorangetrieben. Und so werden heute in der Coronakrise folgende Fehlallokationen (=Fehlverteilungen, Assymmetrien) wieder oder erstmals deutlich:

  1. Die Übergröße des österreichischen Finanzmarkts, insbesondere des Bankensektors. Wobei der Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP 2018 nur 4,1% ausmacht. Das Risiko aus diesem Zusammenhang manifestiert sich weniger im Anteil am BIP, sondern an der Höhe der Forderungen. Die restriktive Budgetpolitik der letzten Jahrzehnte trägt wesentlich zu dieser Schieflage bei. Österreich ist überkapitalisiert. „Öffentliche Schuldenbremsen“ und derlei Dinge tragen dazu bei, dass Vermögen in risikoreiche Exposition gedrängt wird.
  2. Die einseitige Orientierung der österreichischen Industrie am deutschen Exportwunder. Der Automobilismus bildet mit 11% Anteil am BIP, wie sich nun herausstellt, ein enormes Problem. Jahrelang galt das als Erfolgsmodell, über Alternativen wurde nicht einmal nachgedacht. Mit oder ohne Corona wäre es hier zu einer Strukturkrise gekommen.
  3. Der dritte Sektor, der in seiner Größe in Frage gestellt werden muss, bildet der Tourismus.

Mit einem Anteil von 15% am BIP macht er die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft, wie sich jetzt herausstellt, enorm verletzlich. Es geht nicht darum Tourismus zu verteufeln. Aber Fehlentwicklungen, wie dem Abholzen von 50ha Wald für ein neues Skigebiet (Hinterstoder) muss entgegengetreten werden.

  1. Demgegenüber muss die öffentliche Armut beendet werden. Viele notwendige gesellschaftliche Arbeiten bleiben unerledigt, weil sie sinnvollerweise nur über öffentliche Kassen organisiert werden können. Der Grund dafür findet sich nicht in sinnvoller wirtschaftspolitischer Analyse, sondern im Bestreben möglichst viele Bereiche des Kreislaufs dem Eigenkapitalrenditeregime zu unterwerfen. Und so werden Leistungen des Staats, der Kommunen und anderer gemeinwirtschaftlicher Träger nur unter dem Kostenaspekt betrachtet und nicht danach, welchen Nutzen sie der Gesellschaft bringen. Das EU-Konkurrenzregime führt systematisch zu fehlenden Investitionen. Ein Teil der Wertschöpfung wird dem Reproduktionskreislauf entzogen, mündet in parasitärem Reichtum Weniger, anstatt für öffentliche Ausgaben im Interesse aller herangezogen zu werden.
Es gibt genug gesellschaftlich notwendige Arbeit.

Wie können wir diese Arbeit mobilisieren?

  • Österreich muss als Industrieland erhalten bleiben. Es geht nicht um eine Zurückdrängung der Industrie, sondern um deren Herauslösung aus nicht zukunftsfähigen Wertschöpfungsketten. Der Finalgüterbereich muss gestärkt werden, der Ideologie der geringen Wertschöpfungstiefe muss entgegengetreten werden. Es sollte um die effiziente Herstellung hochwertiger, langlebiger Güter gehen, die sparsam im Energieverbrauch, wiederverwertbar und leicht zu reparieren sind. Billige Wegwerfprodukte sollen dagegen zurückgedrängt werden. Dieser Umstrukturierungsprozess muss auch durch eine grundlegende Änderung bei den Verbrauchssteuern unterstützt werden. Die einseitige Bevorzugung der Exportwirtschaft bei der Umsatzsteuer muss beendet werden. Wertschöpfungsintensive, energiesparsame Produktion und Leistung muss begünstigt werden. Verschiedene Sektoren der Industrie sind enorm forschungsintensiv (Pharma, IT, u.a.) Anstatt hier ausschließlich dem Standortwettbewerb zu huldigen, sollen Möglichkeiten der solidarischen internationalen Kooperation entwickelt werden.
  • Durch eine Investitionsoffensive in den Wohnbau. Wobei gilt: Sanierung vor Neubau, Verdichtung vor großflächige Verbauung. Insbesondere soll in die Energiebilanz von Gebäuden in Richtung Nullenergieverbrauch investiert werden. Bebauungspläne müssen mit Planungen zur öffentlichen Verkehrsinfrastruktur verbunden werden
  • Eine Investitionsoffensive in den öffentlichen Verkehr. Dem Automobilismus kann dauerhaft nur begegnet werden, wenn die öffentliche Verkehrsinfrastruktur großflächig ausgebaut wird.
  • Schritte zur Herstellung von Ernährungs- und Energiesouveränität.
  • Durch Beseitigung der andauernden Defizite im Bereich der Bildung und der Kinderbetreuung. Der Anteil der Bildungsausgaben am BIP stagniert seit Jahren bei 6%. (incl. vorschulischer Betreuung). Dieser Anteil muss dauerhaft erhöht werden. Die Tatsache, dass Bildung nach wie vor und wieder zunehmend vererbt wird, muss beseitigt werden.
  • Durch Ausbau des Gesundheitssystems. Weg mit der Deckelung der Gesundheitsausgaben mit der Wachstumsrate des BIP. Die Produktivitätsgewinne in der Industrie müssen für eine bessere Gesundheitsversorgung für alle genutzt werden
  • Durch Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung. Es muss einen Rechtsanspruch auf qualitativ hochwertige Pflege geben. Die Prekarisierung eines so wichtigen Sektors der Wirtschaft muss beendet werden.
  • Durch Sicherung einer breiten kulturellen Infrastruktur, die allen Menschen offen steht.

Einerseits zwingt die Krise zu einer Umstrukturierung von Produktion und Allokation in großem Stil, andererseits eröffnet die Krise auch die Chance demokratisch und solidarisch in diesen Umstrukturierungsprozess einzugreifen, um soziale und ökologische Ziele zu erreichen. Es geht um nichts weniger als den schwierigen und widersprüchlichen Aufbau eines Regulationsregimes, das unsere menschliche Kreativität für diese notwendige Arbeiten zur Entfaltung bringt. Kreativität erfordert Vielfalt, Souveränität, Selbstbestimmung, Demokratie; Und steht damit in diametralem Widerspruch zum EU-Konkurrenzregime, dem wir realiter unterworfen sind.

Es geht um Vollbeschäftigungspolitik. Wenn wir Vollbeschäftigung sagen, dann nicht, weil wir einfach wollen, dass die Menschen beschäftigt sind, sondern weil wir zutiefst davon überzeugt sind, dass wir diese nützliche Arbeit der Menschen brauchen. Ausgehend von diesen Überlegungen fordern wir.

  1. Das uneingeschränkte Bekenntnis zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Wir fordern Vollbeschäftigungspolitik. Arbeitslosigkeit darf niemanden dauerhaft treffen. Alle menschlichen schöpferischen Potentiale gilt es einzubinden.
  2. Die Bundesregierung, der Nationalrat, aber auch die Landesregierungen und die Landtage müssen gegen die Massenarbeitslosigkeit aktiv werden. Es genügt nicht, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu hoffen. Arbeitslosen muss unmittelbar geholfen werden. Die Nettoersatzrate muss sofort und rückwirkend zum Beginn des Coronapandemie Lockdown Mitte März auf 80% erhöht werden, bei der Notstandshilfe auf 75‘%. Die Vorstöße zu einer weiteren Staffelung der Höhe des Arbeitslosengeldes entsprechend der Dauer der Arbeitslosigkeit weisen wir als menschenfeindlich entschieden zurück. So geht das nicht. Wir können und müssen die Krise für grundlegende Umstrukturierungen und humane Alternativen nutzen. Der Tatsache, dass Einzelne, die gar nichts dafür können, überproportional für die Krise zahlen müssen, treten wir ganz entschieden entgegen. Das ist unmenschlich und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Für uns gilt: „Niemand wird zurückgelassen! Arbeitslosengeld rauf auf 80%!“

  1. Die Hiobsbotschaften aus Teilen der Wirtschaft, insbesondere auch der Industrie erfordern staatliches Handeln. Wir fordern eine „Aktive Industriepolitik“. Wir fordern von der Bundesregierung die sofortige Einberufung von Industriekommissionen für von Massenkündigungen bedrohte Industriebetriebe. Diese Kommissionen müssen neben den VertreterInnen der Bundesregierung, der Eigentümer, der Länder, der Kommunen v. a. auch die ArbeiterInnen über ihre Vertretungen miteinbeziehen. Diese Kommissionen sollen prüfen, inwieweit
  • Technische Alternativen im Rahmen der gegebenen Produktionsinfrastruktur möglich sind, und welche neue Produktionsinfrastruktur aufgebaut werden könnte und müsste.
  • Diese technischen und sozialen Alternativen mit ökologischen und sozialen Zielsetzungen des gesamtwirtschafltichen Kreislaufs in Einklang gebracht werden können.
  • Wieviel Zeit ein derartiger Umstrukturierungsprozess in Anspruch nehmen wird.
  • Welche Investitionen notwendig sind und wie die dafür erforderlichen Mittel mobilisiert werden können.
  • Welche Schulungen für die ArbeiterInnen notwendig sind? Wie die ArbeiterInnen bei diesem Umstrukturierungsprozess unterstützt werden können?
  1. Dabei stehen auch die Eigentumsverhätnisse zur Disposition. Dort wo Eigentümer nicht bereit oder schlicht überfordert sind, wenn es darum geht, die Mittel für die notwendigen Investitionen zu mobilisieren, sollte über (Teil-)Verstaatlichungen, Eigenkapitalzuschüsse, Belegschaftsübernahmen u.a. in die Eigentumsverhältnisse eingegriffen werden. Dabei ist auf höchstmögliche Flexibilität und Vielfalt zu achten. Es geht nicht um die Abschaffung des Kapitals als Instrument zur Regulation der Wirtschaft schlechthin. Der neoliberale Kapitalismus ist ein Regime der Eigenkapitalrendite, einem Regime, dem wir durch Einbindung in das EU-Konkurrenzregime auch politisch unterworfen sind. Die Eigenkapitalrendite ist derzeit das einzige Instrument der Investitionssteuerung. Nur wenn wir die politische Unterwerfung unter das Konkurrenzregime abschütteln, können wir Kapital für die Entfaltung der produktiven Ressourcen der Gesellschaft nutzen und politisch beherrschen.
  1. Die Beschränkung der Größe des öffentlichen, gemeinwirtschaftlichen Sektors ist eine unverzichtbare Nebenbedingung für das Eigenkapitalrenditeregime. Nur so kann es sein Monopol auf die Investitionssteuerung behaupten. Vollbeschäftigungspolitik erfordert ein Bekenntnis zu öffentlichen Investitionen über öffentliche Kassen. Schluss mit der Politik der Schwarzen Null. Wir brauchen demokratische Souveränität in der Budget- und Geldpolitik. Das erfordert den Bruch mit dem EU-Konkurrenzregime. Die dauerhafte Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen kann nur aus der Wertschöpfung erfolgen.
  1. Mit der neoliberalen Wende wurde eine Wirtschafts- und Sozialpolitik implementiert, mit der die Reichen reicher und die Armen ärmer wurden. Dieser Reichtum inszeniert sich vielfach als Stütze der Gesellschaft. Dieser Reichtum würde für die notwendigen Investitionen sorgen. Wir sehen jedoch, er sorgt nicht für die notwendigen Investitionen, sondern sucht bloß eine möglichst hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital und behindert so vielfach gesellschaftlich notwendige Investitionen. Wir brauchen eine Politik, die exponentiell wachsenden, parasitären Reichtum beschränkt und austrocknet. Als Finanzierungsgrundlage für den Sozialstaat ist dieser Reichtum deshalb untauglich. Wenn wir Vermögens- und Erbschaftssteuern fordern, dann aus Gründen der Gerechtigkeit.
  1. Das Konzept eines Coronalastenausgleichs mit einer progressiven Vermögensbesteuerung bis zu 60% bei Vermögen über 5 Mrd. Eur führt in die Irre. Zunächst gilt es festzuhalten, dass diese Forderung im Rahmen des EU-Konkurrenzregimes nicht durchsetzbar ist. Dieses Faktum unerwähnt zu lassen, signalisiert, dass sich die Protagonisten dieser Forderung selbst nicht ernst nehmen. Doch auch, wenn wir das unberücksichtigt lassen: Mit der Realisierung einer derartigen Vermögenssteuer werden keine zusätzlichen Mittel mobilisiert. Es wäre eine einfache Enteignung, ein Übergang von Eigentumstiteln, und das mit dem Rasenmäher, quasi querbeet. Wenn wir aber wie oben skizziert in Eigentumsverhältnisse eingreifen, dann sollte das qualitativ bestimmt sein, um zusätzliche Ressourcen für die gesamtgesellschaftliche Reproduktion zu mobilisieren.