Verfünffachung der Dividende. Schon die bisherige „Erfolgsgeschichte“ ist relativ und gilt uneingeschränkt nur für die neuen privaten Aktionäre, das sind Banken und Finanzdienstleister wie Raiffeisen, Oberbank oder AXA-Group. Diese haben die gute Stahlkonjunktur der letzten Jahre dazu genutzt, um kräftig Dividende aus dem Unternehmen herauszusaugen (siehe Grafik Dividendenentwicklung der Voestalpine). Seit dem Jahr der Vollprivatisierung sind die Dividendenausschüttungen geradezu explodiert, von 63 Millionen (2003/04) auf 334 Millionen (2007/08), also auf mehr als das Fünffache. Dabei wurde den Aktionären die VA schon bei der Privatisierung zum Schnäppchenpreis offeriert. Der ÖIAG-Anteil von 34,7% wanderte um 492,2 Millionen zu Raiffeisen & Co; nach Schätzungen einer Studie der AK Wien um rund 400 Millionen unter dem tatsächlichen Wert. Seither flossen die Dividenden so üppig, dass die Neueigentümer alleine über die Dividenden innerhalb von 5 Jahren fast 60% des damaligen Kaufpreises hereinspielen konnten. Überstieg in den Jahren 1995 bis 2005 die Dividende nie 1,5% des Konzernumsatzes, so schnellte sie in den Jahren 2006 bis 2008 auf fabelhafte 3,2% empor. Selbst im Geschäftsjahr 2007/08, als die VA mit der Übernahme der Böhler-Uddeholm um 3,7 Milliarden enormen Kapitalbedarf hatte, wollten die Aktionäre Kasse machen. Die Dividende wurde nochmals von 1,45 auf 2,1 Euro je Aktie angehoben und 45% des gesamten Gewinns wanderten an die Aktionäre, während sich gleichzeitig der Konzern kräftig verschulden musste. In dem Jahr, in dem die bislang größte Dividende ausbezahlt wurde, stieg der Anteil der Nettofinanzverschuldung von 18,3% auf 83,3% des Eigenkapitals. Die Privaten, die angeblich so gut wirtschaften, erweisen sich nicht als verantwortungsbewusste Eigentümer mit einem langfristigen Interesse an Unternehmen und Arbeitsplätzen sondern als kurzfristige Zocker.
ThyssenKrupp in den Startlöchern. Die Totalprivatisierung enthemmte auch das Management. Immer öfter wird versucht, Belegschaft und Politik zu erpressen. So drohte Vorstandschef Eder im Jahr 2004 trotz bester Gewinnlage mit Betriebsverlagerung: „Die Voest ist nicht mit Linz verheiratet. Wir können uns auch im Ausland einen Hochofen schenken lassen und diesen dann erneuern.“ (Standard, 19.07.2004).
Zum ultimativen Bumerang könnte die Privatisierung aber jetzt in der tiefen Wirtschaftskrise werden. Die VA hat innerhalb kurzer Zeit 80% ihres Börsenwertes verloren. Da sie zu den modernsten Stahlunternehmen Europa zählt, mit einer starken Verankerung in hochqualitativen Nischensegmenten, kann sie somit rasch zum Ziel feindlicher Übernahmen werden. Der stv. Landhauptmann von Oberösterreich Erich Haider bezeichnete die VA bereits im November 2008 als „Übernahmekandidaten Nr. 1 an der Wiener Börse“. Der Versuch, die VA zu zerschlagen und ans Ausland zu verkaufen wurde bereits 2003 unter dem klingenden Namen „Minerva“ versucht. Der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser hatte mit dem Autozulieferer Magna den Plan ausgeheckt, die VA an Stronach weiterzureichen. Dieser hätte sich die automotive Sparte behalten und den Rest weiterverkauft. Der deutsche Stahlkonzern ThyssenKrupp hatte bereits öffentliches Interesse an der Übernahme angemeldet. Sowohl Magna (über Vorstandschef Wolf) als auch ThyssenKrupp (über den damaligen ThyssenKrupp-Aufsichtsrat Jürgen Hubbert) saßen zum damaligen Zeitpunkt im ÖIAG-Aufsichtsrat.
“Rückeroberung”. Der Widerstand von Belegschaft und Öffentlichkeit hatte Magna und ThyssenKrupp damals einen Strich durch die Rechnung gemacht. Lachender Dritter war Raiffeisenboss Scharinger, der zum größten Einzalaktionär aufstieg und sich seither mit tollen Dividenden verwöhnen lässt. Raiffeisen betonte zwar immer, dass nicht daran dächte werde, sich von den VA-Anteilen zu trennen. Doch das kann sich rasch ändern, wenn infolge der Krise die Dividenden nicht mehr so prächtig sprudeln bzw. Raiffeisen auf Grund von Einbrüchen des Osteuropageschäfts selbst unter Druck gerät. Ob dann der politische Wille und die finanziellen Fähigkeiten, das Vorkaufsrecht des Landes OÖ zu nutzen, bestehen werden, kann zumindest bezweifelt werden. Schon jetzt ist die Eigentümerstruktur labil. 52% werden von ausländischen Investoren gehalten. Die Stahlbranche liegt seit 2006 mit der Megaübernahme von Arcelor durch Mittal im Fusionsfieber. Als noch immer relativ wenig monopolisierte Branche gerät sie immer stärker zwischen die Fronten von Zulieferern und Abnehmern. Auf der einen Seite diktiert die hochgradig zentralisierte Eisenerzindustrie, die von drei Konzernen kontrolliert wird, steigende Preise. Auf der anderen Seite drückt der Hauptabnehmer, die Autoindustrie, die selbst eine Phase zunehmender Konzentration durchläuft, auf den Preis. Der Übernahmeinteressent von 2003, ThyssenKrupp, hat trotz Krise pralle Kriegskassen. Der deutsche Stahlriese machte alleine im Jahr 2007/08 einen Gewinn, der der Höhe der heutigen Börsenkapitalisierung der Voestalpine entspricht. Zusätzlich verwundbar macht die VA, dass zu ihren Hauptkunden Konzerne gehören, die mit dem Konkurrenten ThyssenKrupp über die Aufsichtsräte eng verbunden sind, wie z.B. Daimler, Peugeot, Siemens.
Die „Rückeroberung“ des ehemals „deutschen Eigentums“, das nach 1945 verstaatlicht worden war, folgt einer langfristigen Agenda. So erklärte Anfang der 90er Jahre die Regierung in einem rechtsstaatlichen Hasardakt jenen Artikel des Staatsvertrages für „obsolet“, in dem die Veräußerung dieser Betriebe an deutsche Konzerne untersagt wird (Artikel 22). Ganz offensichtlich erfolgte diese Entscheidung auf Druck Berlins, das mit dem EU-Beitritt Österreichs die Chance zur Revision der Nachkriegsordnung und zur ökonomischen Expansion gekommen sah. Sofort nach dem EU-Beitritt wurde das 1. Verstaatlichtengesetz gekippt, das seit 1947 das öffentliche Eigentum im Bereich der Grundstoffindustrie verfassungsrechtlich verankert hatte. Bereits 1995 erfolgte die Aufspaltung und Teilprivatisierung der Voest. Was bei der VA bislang noch scheiterte, ist bei einer ihrer früheren Töchter, der VA-Tech, dem früheren Voest-Industrieanlagenbau, dem deutschen Großkapital schon gelungen. 2005 verleibte sich Siemens – unter haarsträubenden Umständen – die VA-Tech ein. Siemens und andere deutsche Großkonzerne haben heute bereits über ihre Vertreter im ÖIAG-Aufsichtsrat maßgeblichen Einfluss auf die Industriepolitik Österreichs.
Arbeitszeitverkürzung statt Dividende. Die Krise der Autoindustrie schlägt immer stärker auf die VA durch. Das bekommen auch die Beschäftigten immer stärker zu spüren. Von den rd. 42.000 Voestlern arbeiten bereits 8.100 kurz, davon 6.000 in Österreich. Vorstandschef Eder rechnet mit einer Verdoppelung der Kurzarbeit übe den Sommer. 1.412 Leiharbeiter wurden bereits gekündigt. Auch die Stammbelegschaften werden bereits abgebaut. Mitte Februar wurden 66 der 677 am Standort Krems Beschäftigten beim AMS zur Kündigung angemeldet. Trotz Krise reduzierte sich der Gewinn in den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres 2008/09 zunächst nur leicht um 0,9% auf 606 Millionen Euro. Großaktionäre wie Raiffeisen und Oberbank haben daher auch für das laufende Krisenjahr bereits Dividendenappetit angekündigt, während Beschäftigte entlassen werden oder Lohnverluste hinnehmen müssen. Zum Vergleich: Mit 70% der Dividende von 2007/08 hätte man die Einführung der 35 Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich für alle 42.000 ArbeitnehmerInnen finanzieren können. Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert daher eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverluste für alle statt Dividende für jene, die bereits in den letzten Jahren bestens am Unternehmen verdient haben.
Erstes Ziel: Sperrminorität. Aber es geht um mehr. Wenn die Gefahr einer feindlichen Übernahme und damit letztlich die Gefahr derZerschlagung verhindert werden sollen, brauchen wir die Wiederverstaatlichung der Voestalpine. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte eine Kapitalerhöhung sein, damit die öffentliche Hand gemeinsam mit der Mitarbeiterbeteiligung über die Sperrminorität kommt. Das würde zunächst einige hundert Millionen Euro kosten - Peanuts im Vergleich zu den Bankmilliarden, die derzeit zur Verfügung gestellt werden. Vor allem aber wäre es sinnvoll ausgegebenes Geld, das krisendämpfend wirkt. Denn während das Bankenpaket kurzfristiges, hochverzinstes Geld an die Banken weitergibt und diese damit erst recht zu Hochrisikogeschäften und Dividendengier anhält, würde eine langfristige Beteiligung des Staates am Eigentum helfen, Spekulation und kurzfristige Dividendenjagd einzudämmen.
Gerald Oberansmayr
aus: guernica 1/2009