two packAbseits der Öffentlichkeit wurde am 12. März 2013 der nächste Anschlag auf Demokratie und Sozialstaat durch das Europäische Parlament gewunken. „Two Pack“ nennen sich zwei EU-Verordnungen, die die nationalen Parlamente im Bereich der Wirtschafts- und Budgetpolitik weiter entmündigen und die Macht der EU-Technokratie stärken.

 

Über zentrale Inhalte erster Entwürfe des „Two Packs“ hat die Solidar-Werkstatt bereits im Vorjahr berichtet. Was kommt nun mit dem „Two Pack“?

Schon das „Europäische Semester“ gibt im ersten Halbjahr der Kommission und dem EU-Rat Einfluss auf die Grundlinien der jeweiligen nationalen Budgetpolitik. Aus diesem Europäischen Semester wird nun faktisch ein ganzes „Europäisches Jahr“. D.h. die EU-Kommission bekommt nun auch Einfluss auf die Details der Budgeterstellung. Die Gängelei hört nicht im Juni eines jeden Jahres auf, sondern zieht sich bis in den Dezember hin. Konkret: Bis 15. Oktober muss die Regierung der EU-Kommission einen ausführlichen Budgetentwurf für das kommende Jahr auf den Tisch legen. Diese kann dann bis Ende November dazu Stellung beziehen. Oder auch früher, nämlich dann, wenn die Kommission mit dem vorgelegten Budget nicht einverstanden ist: Dann wird nach zwei Wochen der „betroffene Mitgliedstaat aufgefordert, so bald wie möglich spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Abgabe der Stellungnahme der Kommission, eine überarbeitete Übersicht über die gesamtstaatliche Haushaltsplanung vorzulegen.“ Wenn dann die Regierung den Kommissaren brav Folge leistet, ist es bereits Ende November. Erst jetzt bekommt der Souverän, sprich dessen VertreterInnen, die ParlamentarierInnen, das Budget zu Gesicht und dürfen es abnicken. Elf Monate spielen EU-Kommission, Rat und Regierung Power-Play, im letzten Monat darf das Parlament seinen Sanktus dazu geben. Was jedoch, wenn es das nicht tut? Dann tut sich für die EU-Kommission ein ganzer Strauß an Möglichkeiten auf die Unbotmäßigen zur Räson zu bringen:

  • Im Two-Pack wird unmissverständlich klargelegt, dass die Frage, ob Geldbußen über einen Staat verhängt bzw. ein Defizitverfahren eingeleitet wird, abhängt von dem „Maß, in dem die Stellungnahme (der EU-Kommission, Anm. GO) von dem betreffenden Mitgliedstaat berücksichtigt wird“ (1).
  • Die Einleitung eines Defizitverfahrens ist wiederum durch den EU-Fiskalpakt an strenge und zugleich hochgradig beliebige Kriterien geknüpft worden, über die die EU-Technokratie die Definitionsgewalt hat. D.h. wer nicht spurt, über den ist schnell ein Defizitverfahren eröffnet und dann ist Schluss mit lustig. Denn dann – so gebietet eine Verordnung des Two-Packs – hat der betroffene Staat ein „wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen“ vorzulegen, das „den Empfehlungen des Rates … umfassend Rechnung trägt“. (2) Das ist freilich nicht Partnerschaft sondern Diktat. Vor allem muss sich das Land dann zu „Strukturreformen“ verpflichten, die die „Wettbewerbsfähigkeit“ des Landes wiederherstellen. Dort wo die EU-Kommission solche „Strukturreformen“ bereits oktroyiert hat – Spanien, Portugal, Griechenland, Irland – weiß man, wohin die Reise führt: Senkung der Mindestlöhne, Einschnitte bei den Pensionen, Massenentlassungen im Öffentlichen Dienst, Kürzungen bei Gesundheit und Bildung, Privatisierung der öffentlichen Infrastrukturen, Lockerung des Kündigungsschutzes uvm.
  • Falls man ein Land nicht unter die Knute des Defizitverfahrens bringen kann, eröffnet sich mit der zweiten Verordnung des Two-Packs eine weitere Möglichkeit für die EU-Technokratie ein Land auf den gewünschten wirtschaftspolitischen Kurs zu trimmen. Mit dieser kann die EU-Kommission völlig eigenmächtig – sogar ohne Einbindung des Rates – eine „verstärkte Überwachung“ anordnen, wenn „gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität und/oder die Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen betroffen oder bedroht sind, was möglicherweise negative Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets hat.“ (3) Beliebiger geht es kaum mehr. Wer darüber die Definitionsmacht hat, der hat wirklich die Macht. Das Damoklesschwert schwebt also über jedem, der sich gegenüber neoliberalen „Strukturreformen“ widerspenstig zeigt. Denn sobald die „verstärkte Überwachung“ ausgerufen wird, „ergreift der betroffene EU-Staat in Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Kommission, die in Verbindung mit der Europäischen Zentralbank (EZB), den Europäischen Aufsichtsbehörden, dem ESRB und gegebenenfalls dem IWF handelt, Maßnahmen, mit denen die Ursachen bzw. potenziellen Ursachen der Schwierigkeiten behoben werden sollen“, wobei „er alle an ihn gerichteten Empfehlungen zu seinen nationalen Reformprogrammen und Stabilitätsprogrammen berücksichtigt“ (4).
  • Ist der Staat bislang noch nicht weichgeklopft, werden die Finanzmärkte das tun. Denn ein Land, das von der Kommission bezüglich „gravierender Schwierigkeiten in Bezug auf die finanzielle Stabilität“ derartig an den Pranger gestellt wurde, wird tatsächlich solche Schwierigkeiten bekommen, sprich dessen Zinsen für Staatsanleihen werden in exorbitante Höhen schnellen oder die Geldströme an den Finanzmärkten werden überhaupt versiegen. Sobald dann ein Staat zu Kreuze kriechen, sprich um Gelder bei ESM, EFSF oder IWF ansuchen muss, ist die Falle vollkommen zugeschnappt: Er muss der Kommission und dem Rat ein „makroökonomisches Anpassungsprogramm“ zu Genehmigung vorlegen und steht in Hinkunft auf Schritt und Tritt unter Kuratel. „Erst lässt man den Armen schuldig werden, dann übergibt man ihn der Pein“, hat schon Goethe diese Herrschaftstechnik beschrieben, die mit dem Two-Pack nunmehr verfeinert wird.

SPÖ und Grüne stimmen für weiteren Machtzuwachs der neoliberalen EU-Technokratie

Augenfällig ist, wie wenig Protest es gegen diese weitere Entmündigung des Parlaments gegeben hat. Nicht nur Konservative und Liberale auch Grüne und SozialdemokratInnen haben in ihrer großen Mehrheit für das Two-Pack im Europäischen Parlament gestimmt, darunter alle österreichischen SPÖ-  und Grün-Abgeordneten. Die Begründungen lauten ähnlich: man wisse zwar, dass die Grundrichtung, in die das alles geht, problematisch ist, aber es sei gelungen, gegenüber dem ursprünglichen Entwurf einige Verbesserungen durchzusetzen. Tatsächlich sind gegenüber der ursprünglichen Vorlage einige – völlig unverbindliche – Absichterklärungen aufgenommen worden: So soll unter anderem „Gepflogenheiten und Einrichtungen für die Lohnbildung Rechnung getragen werden“.

In der Praxis wird das kaum etwas wert sein, noch dazu wo sich die Euro-Staaten im „Euro-Plus“ dazu verpflichtet haben, den „Zentralisierungsgrad bei Lohnverhandlungen“ zu überprüfen, da „Lohnsteigerungen zur Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit führen können“ (5). Was rote und grüne EP-Abgeordnete aber verschweigen oder übersehen haben – schließlich kann man sich für 8.000 Euro monatlich nicht in alles vertiefen, wofür man die Hand hebt -, ist folgendes: Diese unverbindlichen Zusagen wurden eingetauscht gegen einen ganz verbindlichen weiteren Machtzuwachs der EU-Technokratie. So wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf ein Passus eingefügt, der es der EU-Kommission ermöglicht, die „makroökonomischen Anpassungsprogramme“ faktisch im Alleingang zu verschärfen. Solche „Korrekturmaßnahmen“ gelten in Hinkunft als angenommen, wenn nicht innerhalb von 10 Tagen eine qualifizierte Mehrheit im Rat dagegen stimmt. Wofür die Kommission diesen Machtzuwachs nutzen will, hat sie unlängst in der Studie „Labour Market Developments in Europe 2012“ klargelegt: Senkung gesetzlicher Mindestlöhne, die Kürzung von Arbeitslosenunterstützungen und „weniger zentralisierte“ Lohnverhandlungssysteme, mit dem deklarierten Ziel der „Verringerung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“. Das sind keine leeren Drohungen: In Griechenland wurde auf Druck der EU-Kommission die Mindestlöhne für junge ArbeitnehmerInnen um 30% gesenkt. Mit dem Two-Pack ist ein weiterer großer Schritt gesetzt worden, um diese Politik im gesamten Euro-Raum voranzutreiben.

Deutliche ÖGB-Kritik am Two-Pack

Interessanterweise lässt sich der ÖGB nicht von den Schönrednern der SP-Fraktion im Europäischen Parlament einlullen, sondern übt deutliche Kritik am „Two Pack“: „Damit erhält die EU-Kommission bereits im Vorfeld der nationalen Budgetverabschiedung quasi ein politisches Vetorecht. Dieses verstärkte 'Überwachungssystem' geht über die bestehenden Vorschriften für Länder in einem Defizitverfahren noch deutlich hinaus. […] Das Two-Pack ist also leider ein weiterer Schritt zur Stärkung der Kommissionsbürokratie gegenüber den gewählten Parlamenten und Regierungen in den Mitgliedstaaten“ (6). Bereits Ende 2012 hatte ÖGB-Chef Foglar einen erstaunlich nüchternen Blick auf die EU entwickelt: „Das ist eine EU der Banken und Konzerne, die sich in Wahrheit gegen die Arbeitnehmer richtet“ (6). Mit dem Two-Pack ist dieses Europa der Banken und Konzerne weiter einzementiert worden. Es wird Zeit aus dieser realistischen Analyse eine realistische Handlungsorientierung abzuleiten – und der EU, dem Europa der Banken und Konzerne, den Rücken zuzukehren.

Gerald Oberansmayr

Anmerkungen:
1) EU-Verordnung beschlossen als P7_TA(2013)0070, Artikel 9, Abs 1
2) Ebda, Artikel -7, Abs 1
3) EU-Verordnung beschlossen als P7_TA(2013)0069, Artikel 1, Abs 1
4)  Ebda, Artikel 3, Abs 1
5) Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 24./25.03.2011
6) http://www.oegb.at, 14.3.2013
7) OÖ-Nachrichten, 31.12.2012

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