ImageViel zu wenig beleuchtet wurden bisher die geopolitischen Hintergründe des EU/US-Freihandelsabkommens.

Die Großkonzerne von USA und EU dominieren zwar noch immer die Weltwirtschaft, sehen sich aber unter wachsendem Druck durch Schwellenländer, insbesondere von China. Mit  TTIP soll die unumschränkte Vorherrschaft des Westens wiederhergestellt werden. Deutlich wird das an einem Brief, den der „European Round Table of Industrialists“ und der „US-Business Round Table“, zwei exklusive Lobbyverbände der Großkonzerne diesseits und jenseits des Atlantiks, gemeinsam „an die Führer von EU und USA“ (1) geschickt haben. Darin fordern sie einen raschen Abschluss des EU/US-Freihandelsabkommens, nicht nur um die Handels- und Investitionsschranken zwischen EU und USA einzureißen, sondern um „die Handelsbarrieren weltweit zum Einsturz zu bringen.“ Durch TTIP soll eine „dynamische Umgebung“ geschaffen werden, „um die Märkte in anderen Staaten zu öffnen“, insbesondere in jenen „aufstrebenden Ländern, die nicht die Grundsätze oder Strukturen teilen, die Grundlage für Freihandel sind und auch kein Interesse an neuen marktöffnenden Initiativen zeigen“.

ImageMit dem transatlantischen Freihandelsabkommen sollen die Albträume der Führer des EU- und US-Großkapitals endgültig beendet werden, als die in diesem Brief angeführt werden: „Protektionistische Industriepolitik, staatliches Eigentum an Unternehmungen.“ (1) Denn sie wissen sehr genau: Auch die heute starken Industrienationen sind nur durch Protektionismus groß geworden. Wer den Schwächeren das Recht raubt, die eigenen Märkte vor übermächtiger Konkurrenz zu schützen, der will eine Lizenz zum Plündern, um sie an einer eigenständigen Entwicklung zu hindern.

„Die Frage der Demokratie spielt keine Rolle“

Roland Koch, früher Ministerpräsident von Hessen, danach Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger und nun Aufsichtsratsvorsitzender der UBS Deutschland, spricht die geopolitishe Kampfansage durch TTIP & Co offen aus: „Neben der Öffnung der gegenseitigen Märkte ist die Verhandlung um genau diesen Punkt die Chance, aus Sicht der transatlantischen Freiheitsgemeinschaft Standards für internationale Industrie- und Handelsaktivitäten zu prägen. Wird diese Chance vertan, kann dies zu einer dauerhaften Unterlegenheit des privatwirtschaftlichen Modells moderner Marktwirtschaften auf der Welt führen. Niemand sollte unterschätzen, dass ein sehr großer Teil der heute als private Rechtsfiguren auftretenden internationalen Unternehmen sich in Staatseigentum befinden (z. B. in Russland oder China), von Staaten dirigiert werden und sich auf deren Finanzierung auch im Risikofall verlassen können.

Dies hat entscheidenden Einfluss darauf, in welcher Weise solche Staaten Entscheidungen zum Schutz ihrer Industrie treffen, die im Mantel der Gesetzgebung in Wahrheit wirtschaftliche Nachteile für internationale Investoren auslösen – und dies auch sollen. Es gibt also sehr gute Gründe, warum Freihandelsabkommen seit mehr als 30 Jahren regelmäßig Investitionsschutzklauseln enthalten. Ein Verzicht darauf wäre ein folgenschwerer Kurswechsel! Das mag im Verhältnis zu rechtsstaatlich agierenden Staaten wie den USA meist bedeutungslos sein. Es würde aber für noch nicht geschlossene Freihandelsabkommen mit Russland, China, Indien und mittelgroßen Schwellenländern verheerende Folgen haben. Was Europa und Nordamerika jetzt miteinander vereinbaren, kann der zukünftige Standard für sichere ausländische Investitionen werden – oder eben auch nicht“ (2).

Danke für die Klarheit: Mit TTIP soll ein globaler Rammbock geschaffen werden, der verhindert, dass Alternativen zur enthemmten Konzern- und Konkurrenzökonomie Marke EU und USA aufkommen können. Durch die geballte Macht von EU und USA sollen die neoliberalen Spielregeln zum globalen Standard werden. Öffentliches Eigentum und staatliche Regulierungen, die dem entgegenstehen, sollen auf jede erdenkliche Art erstickt werden, im Inneren dieser Machtblöcke ebenso wie nach außen - im Notfall auch mit nackter Gewalt. Das verdeutlicht ein Blick auf jene vier Staaten in der „europäischen Nachbarschaft“, die bislang nicht „freiwillig“ bereit waren, sich den EU-Freihandelsverträgen zu unterwerfen: Jugoslawien (bis 1999), Libyen (bis 2011), Syrien bzw. die Ukraine (bis 2014). Wer nicht zur schrankenlosen Öffnung der Märkte bereit ist, dem wird mit Bomben, djihadistischen oder faschistischen Rollkommandos zu Leibe gerückt.

Der bekannte globalisierungskritische Ökonom Samir Amin hat es auf den Punkt gebracht: „Die Länder, die den Neoliberalismus uneingeschränkt unterstützen, sind die einzigen Freunde des Westens… Die westlichen Mächte haben nur ein einziges Kriterium: den absoluten Freihandel. Wer dafür grünes Licht gibt, dem verzeihen sie alles. Die Frage der Demokratie spielt keine Rolle“ (3).


Quellen:
(1)  Letter to US- und European Leader on Transatlantic Patnership, 11.5.201)
(2)  Die Welt, 8.2.2015
(3)  Zit. nach Junge Welt, 16.1.2015


Mehr zum Thema zu lesen im Dossier: FAIR-HANDEL(n) statt FREI(?)HANDEL!