Ist Vollzeit statt Teilzeit die Lösung? Befunde aus der Arbeitsforschung von Bettina Stadler aus Diskurs - Das Wissenschaftsnetz.
Anfang des Jahres 2023 ließ Arbeitsminister Kocher mit der Forderung aufhorchen, die Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte zu kürzen. Damit sollten mehr Arbeitnehmer:innen dazu bewegt werden, in Vollzeit zu arbeiten. Seither gibt es immer wieder Rufe von Seiten der ÖVP und aus der Wirtschaft, Teilzeit weniger attraktiv zu gestalten. Tatsächlich liegt in Österreich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten im Jahr 2023 bei 30,9%, bei den Frauen sind dies 50,6%, bei den Männern 13,4%. Innerhalb der EU liegt Österreich damit hinter den Niederlanden (42%) an zweiter Stelle.
Arbeiten weite Teile der Teilzeitbeschäftigten in Österreich aus freien Stücken mit
reduzierten Stunden und könnten sie bei etwas gutem Willen ihre Arbeitszeit auf Vollzeitaufstocken? Sind es – wie Kanzler Nehammer letzten Sommer in einem Video meinte – vor allem Mütter, die sich in der Teilzeitarbeit gemütlich einrichten, während andere Arbeitnehmer:innen in Vollzeit ihren Beitrag zum Funktionieren der Wirtschaft leisten? Oder gibt es strukturelle Gründe, die zum hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten führen?
Im österreichischen Diskurs werden sehr unterschiedliche Arbeitszeiten als Teilzeitarbeitbezeichnet. Wenn Menschen nur wenige Stunden pro Woche, also z.B. 5 oder 10 Stunden pro Woche arbeiten, werden sie lt. offizieller Statistik ebenso zu den Teilzeitbeschäftigten gerechnet wie Arbeitnehmer:innen, die 35 Stunden pro Woche arbeiten (zwischen 30 und 35 Stunden ist in der amtlichen Statistik eine Selbstzuordnung möglich). Für tatsächliche Handlungsansätze muss jedoch zwischen verschiedenen Gruppen in Teilzeit, wie z.B.Teilzeit mit wenigen Stunden und vollzeitnaher Teilzeit, differenziert werden.
In Österreich ist der Teilzeitanteil bei jüngeren Menschen erhöht, weil z.B. Studierende neben der Ausbildung auch erwerbstätig sind. Ebenso arbeiten Menschen im späteren Erwerbsleben vermehrt in Teilzeit, manchmal auch über das gesetzliche Pensionsalter hinaus. Im mittleren Alter dominieren Frauen, die wegen der Betreuung von Kindern und immer wieder auch älterer Familienangehöriger nicht in Vollzeit arbeiten. Diese Gruppe ist in Österreich in den letzten Jahren stark gewachsen, das zeigen statistische Ergebnisse sehr klar. Dahinter steht auch ein erfreulicher Umstand: Frauen kommen nach der Geburt von Kindern häufiger und früher wieder auf den Arbeitsmarkt zurück. Dies belegte auch eine im letzten Jahr fertiggestellte Studie für Oberösterreich. Der steigende Anteil an Teilzeitarbeit ist damit auch ein Zeichen für steigende Arbeitsmarktteilnahme von Müttern. Weitere Gründe für Teilzeit kommen hinzu: manche Tätigkeiten sind körperlich und physisch sehr belastend und besonders ältere Arbeitnehmer:innen sind nicht in der Lage,diese Arbeiten in Vollzeit auszuführen. Dieses Problem wird durch die Anhebung des Frauenpensionsalters in nächster Zeit verstärkt auftreten. 8% aller Teilzeitbeschäftigten (Frauen und Männer) sagen aber auch, dass sie nicht freiwillig in Teilzeit arbeiten. In Branchen wie dem Handel oder der Gastronomie ist dieser Anteil höher. Von allen Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 20 Stunden pro Woche sagen 19%, dass sie mehr Stunden arbeiten möchten. Frauen mit Teilzeit unter 20 Stunden, die wegen Kinderbetreuung nicht in Vollzeit arbeiten, möchten zu 21% länger arbeiten.
Aus Sicht der Arbeitsforschung sind Maßnahmen nötig, damit Teilzeitbeschäftigte
tatsächlich länger und in vollzeitnaher Teilzeit arbeiten können, ohne Druck in Richtung Vollzeit auszuüben. Basis dafür ist neben dem Ausbau der Kinderbetreuung auch die gerechte Aufteilung von Betreuungs- und Sorgearbeit zwischen den Eltern. Zusätzlich müssen mehr Unternehmen flexible Arbeitszeitmodelle anbieten, die ein Erhöhen der Arbeitszeit und im Bedarfsfall (z.B. erhöhter Betreuungsbedarf) auch wieder eine Reduktion ermöglichen.
Literatur:
Stadler, Bettina (2023). Das Arbeitsmarktpotential von Wiedereinsteigerinnen in Oberösterreich, Wien:
FORBA, abrufbar unter: https://www.ams-
forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2022_AMS_OOE_FORBA_-_Wiedereinsteigerinnen.pdf
Stadler, Bettina/Haas, Marita/Leschanz, Christoph/Masi, Audrey Laura (2023). The “PARENT” Initiative:
PArents in REsearch aNd Technology: Study of the situation of parents at the Faculty of Technical
Chemistry of TU WIEN, TU Wien, abrufbar unter: https://repositum.tuwien.at/handle/20.500.12708/188344
Astleithner, Franz/Stadler, Bettina (2021). Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung:
Beispiele aus der Praxis, in: WISO, Vol. 3, 53–80 abrufbar unter: https://journals.akwien.at/wug/article/view/79
Schönauer, Annika/Stadler, Bettina (2021). Systemerhalter*innen im Fokus, Wien: FORBA. Studie im Auftrag der AK Niederösterreich, abrufbar unter: https://www.forba.at/2021/09/01/systemerhalterinnen-im-
fokus-situation-von-beschaeftigten-im-einzelhandel-in-niederoesterreich-waehrend-covid-19/
Stadler, Bettina (2019). Elternteilzeit in Österreich, Wien: Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt,
abrufbar unter:
https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/Frauen/Elternteilzeit_in_Oesterreich_2019_10.pdf
Stadler, Bettina (2018). Arbeitszeiten von Paaren im Wandel? in: Schönauer, Annika/Eichmann,
Hubert/Saupe, Bernhard (Hrsg.): Arbeitszeitlandschaften in Österreich: Praxis und Regulierung in heterogenen Erwerbsfeldern, S.l.: Nomos, 63–88
https://www.diskurs-wissenschaftsnetz.at/wp-content/uploads/2024/07/Medienmappe-Teilzeit_final.pdf