Image Das Einsetzen von Monti und Papademos verhindert nicht nur politische Diskussionen, sondern verstärkt die Ungleichheit und Hierarchisierung der Gesellschaft. Ein Kommentar von Sandra Ernst Kaiser in: DieStandard, 10. Jänner 2012.



"Es gibt keine Tabubrüche", ist immer wieder zu hören, wenn es um Sparprogramme der europäischen Staaten geht. Die Krise macht quasi nichts unmöglich: Italien und Griechenland werden nun sogar von Technokraten regiert. Sie sind die neuen Herrscher, die als Umsetzer sogenannter objektiver Maßnahmen auftreten. Beide, Mario Monti und Loukas Papademos, sind angetreten, um in einer bestimmten Zeit eine Aufgabe zu lösen. Über sich selbst sagen sie, unpolitisch zu sein. Von nun an gilt nicht mehr der Streit um Tatsachen, sondern die Tatsache als solche ist für die Technokraten handlungsleitend. Ihr Interesse gilt nicht der öffentlichen Meinung oder Interessengegensätzen, sondern der vermeintlich objektiven Expertise. Ihre Ideologie ist die Nicht-Ideologie. Sie sind dem Sachzwang verpflichtet.

Der italienische Technokrat ist Wirtschaftswissenschafter und war Mitglied der Europäischen Kommission - das Wirtschaftsministerium hat er gleich mitübernommen. Im kaum weniger geschichtsträchtigen Athen übernahm ein parteiloser früherer Vizepräsident der Europäischen Zentralbank das Ruder. Um sich scharen sie neoliberale Ökonomen und Banker an zentralen Schaltstellen. Vorschusslorbeeren erhalten sie aus ganz Europa.
Ausgeschaltet werden der politische Streit und die Vertretung von Interessen - soweit sie nicht die Interessen des Kapitals sind. Die Marktkonformen werden also von Regierungen nicht mehr nur zur Expertise herangezogen, die sogenannte Sachkompetenz leitet mittlerweile selbst Staaten. Dahinter stecken eine ordentliche Portion Demokratiefeindlichkeit, Arroganz und eine neue Stufe neoliberaler und marktradikaler Herrschaft.

Alternativlose Politik für das Kapital

Dass die Verschuldung beider Staaten durch die Finanzmarktkrise massiv zugenommen hat, dürfte die beiden Herren ebenso wenig interessieren, wie die Tatsache, dass die explodierenden Leistungsbilanzdefizite dieser Länder auf ein seit etwa zehn Jahren stattfindendes Lohndumping und zu geringen Konsum zurückzuführen sind. Und auch wenn ihre Rezepte - Staatshaushalte kürzen, Löhne senken, Sozialausgaben streichen, Beamte entlassen usw. - noch nie funktioniert haben, definieren sie diese als "neu" und alternativlos.

Entscheidend dabei ist aber, dass diese Sparpolitik mit dem Thatcher-Dogma der Alternativlosigkeit auftritt, damit jegliche Diskussion von vorneherein abwürgt und dem Kapital und jenen, die es besitzen, nützt. Die Umverteilung von unten nach oben wird weiter intensiviert: von der Masse zu den Reichen. Dass dadurch die ohnehin schon ausgeprägten sozio-ökonomischen Ungleichheiten, bestehende Abhängigkeiten und eine Hierarchisierung der Gesellschaft verschärft wird, dürfte die beiden Regenten ebenso wenig interessieren.

Illegitimer Widerstand und Widerspruch

Auch wenn die neuen Technokraten behaupten, unpolitisch zu sein, findet das Verneinen von gesellschaftlichen Gegensätzen und alternativen Sichtweisen keineswegs im luftleeren Raum statt. Vielmehr spielen sie ein simples "Gut-und-Böse-Spiel": hier der gute, rationale und effiziente Markt - dort der böse, irrationale, ineffiziente und demokratische Nicht-Markt. Widerstand und Widerspruch, sofern diese überhaupt noch stattfinden, erscheinen unter den technokratischen Bedingungen als völlig illegitim. Gerne wird dann auch das Verursacherprinzip umgekehrt: Nicht der Marktradikalismus und die Deregulierung der Finanzmärkte, sondern die Gewerkschaften, BeamtInnen und als Sozialschmarotzer Diffamierten werden für schuldig an Defiziten erklärt.

Die Installierung von Papademos und Monti bringt also jenen politisches und ideologisches Oberwasser, die für die Krise verantwortlich sind. In Europa dürfen diese jetzt sogar Staaten lenken. Ein fast beispielloser Tabubruch und alternativlos ist weiterhin gar nichts.

(Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 10.1.2012)

Hinweis:
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