Von einer progressiven Steuerreform ist die Bundesregierung meilenweit entfernt – aber auch die Opposition, wenn sie ausschließlich in das Entlastungsgeschrei miteinstimmt.

Zu Beginn dieses Jahres wurde das bereits im Regierungsprogramm breitgetretene Entlastungsversprechen zum gefühlt fünften Mal aufgekocht. Serviert werden dann, wenn überhaupt etwas, kleine Häppchen – und die schmecken zunehmend verdorben. Finanzminister Löger sprach großspurig von über sechs Milliarden Euro, von denen wir entlastet werden. Freilich nicht jetzt, sondern im Laufe der Legislaturperiode. Und unter Anrechnung dessen, was wir schon bekommen haben: Familienbonus und Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags für Niedrigverdiener. Der Ökonom Friedrich Schneider hat gemeinsam mit Peter Laukoter errechnet, dass allein aufgrund der kalten Progression die Steuermehreinnahmen bis 2022 6,86 Milliarden Euro betragen (OÖN, 15. 1.2019). Also von Entlastung keine Spur. Die Bundesregierung plant offenkundig die Senkung der öffentlichen Einnahmen auf unter 40% des BIP zu erreichen, ohne absolute Beträge und damit Gegenfinanzierungen verschieben zu müssen. Das ist schlau. Das merken auch andere, natürlich auch die parlamentarische Opposition. Das Problem ist nur, wer um das Entlastungsversprechen herumtanzt, eröffnet der Regierung nur ständig aufs Neue die Möglichkeit, es in den Raum zu stellen.

Versicherte mit Rechtsanspruch werden zu Almosenempfängern gemacht

Betrachten wir die Maßnahmen, soweit bekannt, im Einzelnen. Die erste war die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags für Niedrigverdiener. Das klingt gut. Da bleibt mehr Netto vom Brutto. Damit kommen aber gerade die Leistungen einer Versicherung für diejenigen unter Druck, die sie am dringendsten brauchen. Gerade Niedrigverdiener sind mit oftmaligem Jobwechsel konfrontiert und deshalb auch immer wieder arbeitslos. Sie werden damit sukzessive von Empfängern von Versicherungsleistungen mit Rechtsanspruch zu Almosenempfängern. Damit sind im Ergebnis Maßnahmen zur rigiden Arbeitslosenverwaltung legitimierbar.

Die zweite Maßnahme ist der seit 1.1.2019 in Kraft getretene Familienbonus. Dieser Bonus ist ein Steuerabsetzbetrag in Höhe von Eur 1.500,- p.a., für alle die Kinder haben. Absetzbetrag heißt, dieser Betrag wird von der errechneten Einkommenssteuerlast abgezogen. Alle, deren ESt-Last geringer als Eur 1.500,- ist, profitieren weniger. Jene, die so wenig verdienen, dass sie gar keine Einkommenssteuer zahlen, gehen leer aus. Diese Maßnahme entlastet damit die mittleren und höheren Einkommen.

Wir brauchen eine Ausweitung der öffentlichen Budgets!

Bei der jüngsten Regierungsklausur wurde die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge um Eur 700,- Mio angekündigt, ohne Details zu nennen. Und Erleichterungen für pauschalierte Kleinunternehmer. Konkret können damit nur die Krankenversicherungsbeiträge gemeint sein. Bekommen wir damit die ominöse Patientenmilliarde, die die Sozialministerin mit der Sozialversicherungsreform in den Raum gestellt hat. Daran glaubt offenkundig nicht einmal der Finanzminister. Deshalb hat er in Aussicht gestellt, dass die Einnahmenausfälle für die Sozialversicherung aus Budgetmittel ausgeglichen werden. Damit gilt auch hier: Versicherte mit Rechtsanspruch werden zu Almosenempfängern. Gewissermaßen handelt es sich hier um eine Deckelung der Gesundheitsausgaben durch die Einnahmenseite. Wir brauchen keine Deckelung der Gesundheitsausgaben und auch keine Entlastung der Beiträge zum Sozialversicherungssystem. Jeden Tag bekommen wir neue Alarmrufe aus dem Gesundheitssystem über die zunehmende Ressourcenknappheit. Immer mehr Menschen zweifeln daran, ob das öffentliche Gesundheitssystem ihren Ansprüchen gerecht werden kann und suchen nach privaten Alternativen – sofern sie sich diese leisten können. (53% der OberösterreicherInnen glauben, dass sie durch das öffentliche Gesundheitssystem nicht ausreichend behandelt werden, OÖN, 17.1.2018)

Insbesondere im Gesundheitsbereich braucht es eine Ausweitung der öffentlichen Leistungen und der Finanzkraft der solidarischen Kassen. Produktivitätsgewinne dürfen nicht in Exportschlachten und sinnlosem Konsum vergeudet werden, sondern müssen in diese Bereiche umgelenkt werden. Nur das ist zukunftstauglich. Insbesondere muss auch die Pflege in das Sozialversicherungssystem integriert werden.

Zu niedrige Löhne, nicht zu hohe Sozialversicherungsbeiträge

Nicht zu hohe Sozialversicherungsbeiträge sind das Problem, sondern die Abkoppelung der Löhne von der wirtschaftlichen Entwicklung in Folge der Durchsetzung des EU-Konkurrenzregimes. Laut Rechnungshof haben vor allem die unteren Arbeitnehmergruppen seit dem EU-Beitritt einen massiven Realeinkommensverlust eingefahren (siehe hier). Die vielbeschworene Entlastung der Arbeitseinkommen ist offenkundig eine Mogelpackung. Im Ergebnis führt sie nur dazu, dass der Lohndruck auf die untersten Gruppen der Einkommensbezieher noch leichter weitergegeben kann. Diese können sich dann vorrechnen lassen, dass sie allesamt nur Almosenbezieher sind, die von den Besserverdienenden erhalten werden.

Welche Steuerreform wir wirklich brauchen

Wir brauchen eine progressive Steuer- und Abgabenpolitik. Diese muss drei Ziele sicherstellen: die Finanzierung wachsender gemeinschaftlicher Leistungen, die Beseitigung von Ungerechtigkeiten  und die Lenkung in Richtung sozial- und umweltverträglicher Kreisläufe. Es sind die vielfältigen Leistungen der Kommunen, der Sozialversicherungen, staatlicher Behörden, die soziale Gleichheit gegen wuchernde Ungleichheit verteidigen. Ihre finanzielle Basis muss gestärkt werden. Von einer solchen Steuerreform ist die Bundesregierung meilenweit entfernt – aber auch die Opposition, wenn sie ausschließlich in das Entlastungsgeschrei miteinstimmt.

Boris Lechthaler
(Jänner 2019)