Die EU macht derzeit Druck, das auf Eis liegende EU-Mercosur-Freihandelsabkommen wiederzubeleben. Als „strategisches Abkommen“ bezeichnete jüngst der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell dieses Abkommen (Standard, 1.12.2022). Die von Attac und anderen NGOs publiziert Studie „Mobilitätswende ausgebremst“ (1) zeigt auf, dass dieses Abkommen tatsächlich „strategisch“ ist – für die EU-Autoindustrie und deren Interessen, eine klimafreundliche Mobilitätswende über die Bande dieses Freihandelsabkommens auszubremsen.

Die Studie stellt fest, dass „das Lobbying der EU-Autoindustrie sehr erfolgreich war“, wobei „der Lobbyismus für die Autoindustrie nicht nur von den Konzernen ausging, sondern in großem Maße von der Ministerialbürokratie selbst. Pro-aktiv gingen Mitarbeiter*innen des deutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kommission auf die Hersteller zu, um deren Wünsche zu erfragen und in die Verhandlungen mit dem Mercosur einzuspeisen.“ (Seite 7).

„Erfolgreiches Lobbying“

Eine Reihe von Maßnahmen zielt schlicht darauf ab, die Produktion – von den Rohstoffen und Vorprodukten bis zur Endfertigung –, den Marktzugang sowie den Betrieb von Autos zu verbilligen und damit den Absatz der europäischen Autoindustrie am lateinamerikanischen Kontinent anzukurbeln:

  • Beseitigung der Zölle für Autos: EU und Mercosur beginnen die Zollsenkung sieben Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens. Nach 15 Jahren sollen die Zölle vollständig beseitigt sein (bisherige Zollsätze im Mercosur: 35 Prozent in Argentinien / Brasilien, 23 Prozent Uruguay, 20 Prozent Paraguay; Zollsätze in der EU: LKW bis zu 22 Prozent, PKW: 10 Prozent).
  • Noch bedeutsamer ist die Beseitigung der Zölle auf Autoteile: Nach zehn Jahren sollen über 80 Prozent dieser Zölle beseitigt sein, nach 15 Jahren die meisten übrigen Zölle (bisherige Zollsätze im Mercosur 14 bis 18 Prozent, EU: meist 3 bis 4,5 Prozent).
  • Beseitigung der Zölle auf Rohstoffe: Die Vertragsparteien vereinbarten eine schrittweise Zollbeseitigung innerhalb von 10 Jahren nach dem Inkrafttreten des Abkommens (Mercosur in einzelnen Fällen nach 15 Jahren) bei Produkten aus Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer, Lithium, Blei und Zink (derzeitige EU-Zölle zwischen 1,7 und 10 Prozent, Mercosur-Zölle zwischen 2 und 16 Prozent). Daneben beseitigt die EU ihren Regelzollsatz auf Biodiesel innerhalb von 10 Jahren.
  • Bioethanol-Quote: Die EU räumt dem Mercosur eine Quote von 650.000 Tonnen des aus Zuckerrohr gewonnenen Bioethanols ein, davon 200.000 Tonnen für die Nutzung als Treibstoff zum Drittel des bisherigen Zollsatzes.
  • Verbot von Exportsteuern: Das Abkommen enthält ein grundsätzliches Verbot der Einführung und Aufrechterhaltung von jeglichen Steuern und Abgaben auf Exporte drei Jahre nach dessen Inkrafttreten. Die Möglichkeit von Ausnahmen haben bisher nur Argentinien und Uruguay in sehr begrenztem Maße genutzt. Zudem verpflichtet sich Argentinien, die Exportsteuern auf Soja und Biodiesel zu senken.
  • Herkunftsregeln: Der Mercosur akzeptiert einen niedrigeren lokalen Wertschöpfungsanteil (Local Content) für EU-Exporte von Autos und Autoteilen (55 respektive 50 Prozent statt bisher 60 Prozent). Daneben akzeptiert der Mercosur die Selbstzertifizierung durch Exporteure für Herkunftsnachweise ihrer Produkte. Folge: Ein größerer Anteil billiger Vorprodukte aus nicht-EU-Staaten, die die EU-Autoindustrie in ihre Exportwaren einbaut, genießt künftig Zollvergünstigungen im Mercosur.
  • Die Mercosur-Staaten erkennen Tests und Zertifikate über Autozulassungen an, die auf Basis der häufig zu schwachen UN- oder EU-Regulierungen erfolgen. Folge: Mangelhaft getestete Automobile, die etwa höhere Emissionen als ausgewiesen produzieren, erhalten eine leichtere Zulassung im Mercosur.
Katastrophale Auswirkungen auf Mensch und Natur

Durch dieses Abkommen würden die negativen Folgen, die schon jetzt die autozentrierte Exportpolitik der EU auf Umwelt und Menschen hervorruft, weiter beschleunigt. So etwa führt im ohnehin extrem trockenen Norden Argentiniens die Lithium-Förderung für E-Cars zu hohem Wasserverbrauch und giftigen Rückständen der Minen, die das Leben insbesondere der indigenen Bevölkerung gefährden. In Brasilien, wo Eisenerz im großen Stil abgebaut wird, kam es im Januar 2019 in der Gemeinde Brumadinho zu einer mörderischen Katastrophe, als der Damm eines Rückhaltebeckens brach. 272 Menschen kamen ums Leben. Kurz zuvor hatte eine brasilianische Tochter des deutschen TÜV Süd die Stabilität des Damms zertifiziert. Die Bergbauminen sind außerdem ein oftmals unterschätzter Faktor des Waldverlusts. So gehen UmweltwissenschaftlerInnen davon aus, dass rund 10 Prozent der Abholzung in Amazonien auf das Konto des Bergbaus geht
Die Vertragsbestimmungen zu Agrotreibstoffen verstärken ebenfalls ökologische und menschenrechtliche Risiken. Die Bioethanolquote der EU begünstigt die Expansion brasilianischer Zuckerrohrplantagen, die mit Umweltschäden und Landkonflikten einhergeht. Ähnlich befördert der von Argentinien zugestandene Abbau von Exportsteuern auf Soja und Biodiesel die Expansion der Sojafront und weitere Entwaldung. Das Abkommen verstärkt zudem die Nachfrage nach Rindsleder, das die europäische Autoindustrie zu Ledersitzen verarbeitet, da die EU Importzölle, die Mercosur-Staaten Exportsteuern auf Rindsleder abschaffen soll(en). In Brasilien, Argentinien und Paraguay tragen die Rinderherden erheblich zur Entwaldung bei.

Auto gegen Fleisch-Deal

Zusätzlich gilt es zu bedenken: Das EU-Mercosur-Abkommen ist im Wesentlichen ein Auto gegen Fleisch-Deal: D.h. im Gegenzug zum Export von Autos aus der EU nach Lateinamerika importiert die EU Billigfleisch aus den Mercosur-Staaten. Diese Ankurbelung die Fleischexporte heizt dem Regenwald zusätzlich ein. Schon jetzt ist – so ein Bericht des WWF bei der COP27 in Ägypten - fast ein Fünftel des Regenwalds unwiederbringlich verloren. Der Zustand von weiteren 17% hat sich deutlich verschlechtert. Eine katastrophale Entwicklung: Der Regenwald zählt zu den größten CO2-Speichern der Welt. Die Lebensgrundlagen von bis zu 47 Millionen Menschen sind von der voranschreitenden Zerstörung bedroht.

Behinderung der Mobilitätswende

Die Studie „Mobilitätswende ausgebremst“ resümiert daher: „Durch die Begünstigung der Automobilwirtschaft behindert das EU-Mercosur-Abkommen zudem eine erforderliche Mobilitätswende. Dank ihrer handelspolitischen Stärkung erfährt diese Branche einen weiteren Machtzuwachs, der es ihr erleichtert, Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung oder zur Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs abzuwehren. Zugleich fördert das Abkommen umweltschädliche Agrotreibstoffe wie Bioethanol aus Zuckerrohr und Sojadiesel – klimapolitische Scheinlösungen, die verbrauchsstarken Verbrennungsmotoren ein grünes Deckmäntelchen verleihen und das notwendige Auslaufen der Verbrennertechnologie verzögern sollen. Das Abkommen stellt insofern eine weitere Hypothek für die sozial-ökologische Transformation der Autoindustrie und eine umfassende Verkehrswende dar, die klimaschädliche Individualverkehre durch kollektive öffentliche Transportmittel ersetzt“ (Seite 48).

Bewegungen der Globalisierungskritik, der Klimagerechtigkeit und der Mobilitätswende müsse daher zusammenarbeiten, um dieses Abkommen zu verhindern. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die EU nicht zufällig der Antreiber für dieses Abkommen ist. Die EU-Kommission ist per EU-Vertrag dazu verpflichtet, „zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen sowie zum Abbau der Zoll- und anderen Schranken beizutragen.“ (Art. 206, Vertrag über die Arbeitsweise der EU). Dieser EU-Vertrag verbietet Beschränkungen des Kapitalverkehrs nicht nur zwischen den EU-Staaten, sondern auch „zwischen Mitgliedsstaaten und dritten Ländern.“ (Art. 63). Die EU hat ein für Großkonzerne maßgeschneidertes Primärrecht. Wenn wir uns für solidarische und ökologische Alternativen engagieren, müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir diese neoliberale Zwangsjacke abschütteln können.

Quelle:
(1) https://www.attac.at/news/details/neue-studie-mobilitaetswende-ausgebremst-autokonzerne-beeinflussten-eu-mercosur-abkommen