ImageDie aktuelle Steuerreformdebatte geht an wesentlichen wirtschaftspolitischen Herausforderungen völlig vorbei. Massenarbeitslosigkeit und wachsende öffentliche Armut werden ausgeblendet, um die asozialen EU-Vorgaben nicht enttabuisieren zu müssen.

Die derzeitige Steuerreformdebatte ist wahrlich nicht frei von Skurrilitäten und Themenverfehlungen. Nun ist es zweifellos sinnvoll, den Eingangssteuersatz bei der Lohn- und Einkommenssteuer abzusenken. Unter dem Stichwort „Mehr Verteilungsgerechtigkeit“ werden von SPÖ bzw. ÖGB und ÖVP jedoch Steuermodelle vorgelegt, die die den Kleinverdienern Peanuts belassen, den Gutverdienenden dagegen kräftig Butter aufs Brot schmieren. Hans Steiner kommentiert zutreffend im Standard:

„Der ÖVP-Vorschlag ermöglicht einer Person in der oberen Einkommenshälfte im Durchschnitt eine dreimal höhere steuerliche Entlastung als einer Person in der unteren Einkommenshälfte. Beim SPÖ-Vorschlag ist die durchschnittliche Entlastung für eine Person in der oberen Einkommenshälfte viermal höher als für eine Person in der unteren Hälfte.
Beim SPÖ-Vorschlag wird die untere Einkommenshälfte insgesamt mit einer Milliarde Euro und die obere Hälfte mit fünf Milliarden entlastet. Beim ÖVP-Vorschlag beträgt der Nettoeinkommenszuwachs bei der unteren Einkommenshälfte 400 Millionen Euro und bei der oberen 3,2 Milliarden Euro.
Bei beiden Konzepten ist die Gesamtentlastung für Männer doppelt so hoch wie jene für Frauen.“
(Standard, 19.12.2014))

Butter aufs Brot für Besserverdienende

Diese SPÖ/ÖGB/ÖVP-Steuerpläne, Gut- und Bestensverdienenden kräftig zu entlasten, sind umso unverständlicher, wenn man die Ergebnisse des jüngst vom Sozialministerium publizierten Sozialberichts 2013/14 liest. Es zeigt sich nämlich, dass auch innerhalb der Lohn- und GehaltsbezieherInnen die Umverteilung von unten nach oben zugenommen hat. Das bestverdienende Fünftel konnte seinen Anteil am Einkommen seit 1995 von 44 Prozent auf 48 Prozent steigern. Der Einkommensanteil der unteren 40 Prozent der Einkommensbezieher ist im selben Zeitraum von knapp 14 Prozent auf rund elf Prozent gefallen. Resultat: Das oberstes Fünftel der unselbständig Erwerbstätigen bekommt fast die Hälfte des "Lohnkuchens", das unterstes Fünftel nur zwei Prozent. Doch statt die Erhöhung des Spitzensteuersatzes in Diskussion zu bringen, um die Absenkung des Eingangssteuersatzes auszugleichen, löste ausgerechnet der ÖGB eine skurrile Debatte über die Anhebung der unsozialen Mehrwertsteuer aus. Dabei wäre das eine Steuer, wo am ehesten über Steuersenkung nachgedacht werden müsste, insbesondere bei lebensnotwendigen Gütern wie Wohnen (sh. dazu "Minus 10%! Mehrwertsteuer auf Wohnungsmieten und Betriebskosten abschaffen!" )

Diese Skurrilitäten und Themenverfehlungen bei der Steuerreform kommen nicht von ungefähr. Sie gedeihen, weil zentrale wirtschafspolitische Fragen ausgeblendet werden - vor allem die Frage: Welche Steuerpolitik brauchen wir, um die steigende Massenarbeitslosigkeit und die wachsende öffentliche Armut, also die Aushungerung der öffentlichen Budgets, wirksam zu bekämpfen. Diese Fragen müssen verdrängt werden, weil die Antworten darauf an jenen fiskalpolitischen EU-Vorgaben rütteln würden, über die die EU-Kommission mit Argusaugen wacht und die der Regierung sakrosankt sind. Diese Vorgaben sind im Detail komplex, können aber auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden: Runter mit der Staatsquote! D.h. runter mit dem Anteil der Ausgaben am BIP, die für öffentliche Güter und Leistungen ausgegeben werden. Diese fiskalpolitischen EU-Vorgaben (Fiskalpakt, Sixpack, Twopack, usw.) werden zwar als Mittel gegen „übermäßige Defizite“ verkauft, doch das ist nur die Peitsche, mit der das eigentliche Ziel erzwungen werden soll: den Sozialstaat zu „einem Auslaufmodell machen“, wie es der EZB-Chef Mario Draghi eingemahnt hat (Wallstreet-Journal, 22.3.2012). Die Hauptattacken richten sich daher gegen Ausgaben bei Pensionen, Gesundheit, Arbeitslosenunterstützung, kommunalen Diensten, aber auch Bildung, sofern diese nicht ökonomisch unmittelbar verwertbar ist.

Im Hintergrund dieser Politik stehen vor allem die Interessen der exportorientierten Großindustrie, die Sozialkosten am jeweiligen „Standort“ abzusenken, um Kostenführerschaft auf den Weltmärkten zu erlangen. Unter Verweis auf die entsprechenden EU-Vorgaben hat sich die österreichische Regierung in der mittelfristigen Budgetplanung dazu verpflichtet, die Staatsquote bis 2017 um 4% abzusenken, was einem Volumen von rd. 13 Milliarden Euro – jährlich - entspricht.

Vollbeschäftigung durch Überwindung der öffentlichen Armut

Diese „Defizitpeitsche“ kann freilich nur dann wirken, wenn ein Punkt bei der Steuerreform vollkommen tabuisiert wird: die Erhöhung der Staatsquote und die dafür notwendigen Einnahmen. Aber genau dieser Punkt ist der springende. Wenn wir die Krise mit ihren dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen endlich überwinden wollen, wenn wir den Raubbau an Umwelt und das Leben auf Kosten zukünftiger Generationen beenden wollen, wenn wir den sozialen Zusammenhalt nicht weiter gefährden wollen, wenn wir nicht länger die vielfältigen Bildungspotentiale in unserer Gesellschaft brachliegen lassen wollen, wenn wir den Zugang zu existenziellen Gütern und Diensten – Gesundheit, Pflege, Bildung, Wohnen, Kultur, kommunale Dienste, attraktiver öffentlicher Verkehr - nicht vom Umfang der Brieftasche abhängig machen wollen, dann müssen wir endlich Schluss machen mit dem neoliberalen Dogma des „schlanken“ Staates. Den armen Staat können sich bekanntlich nur die Reichen leisten.

Massenarbeitslosigkeit und öffentliche Armut sind zwei Seiten einer Medaille. Die Überwindung der öffentlichen Armut ist andererseits der Schlüssel zu Vollbeschäftigung. Wir brauchen mehr gemeinschaftliche öffentliche Ausgaben, um dringend notwendige Arbeitsplätze in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit, Pflege, öffentlicher Verkehr, erneuerbare Energien, sozialer Wohnbau, Kultur, kommunale Dienste und Infrastrukturen zu schaffen. Nicht das ist Verschwendung, sondern eine halbe Million Arbeitslose, psychosoziale Verelendungsprozesse und die Verlotterung der öffentlichen Infrastruktur. Wir brauchen nicht die Absenkung, sondern den Anstieg der Staatsquote. Und für mehr öffentliche Ausgaben braucht es auch mehr öffentliche Einnahmen.

Aus Sicht der Solidarwerkstatt müssen dabei wertschöpfungsbezogene Steuern und Abgaben im Zentrum stehen. Diese ermöglichen es, dass nicht nur Löhne und Gehälter, sondern alle Komponenten der Wertschöpfung in die Finanzierung eines umfassenden Solidarstaates einbezogen werden, also auch Gewinne, Zinsen und Abschreibungen. So können wir sicherstellen, dass die enorm gewachsene Produktivität in der Industrie nicht für globale Konkurrenzschlachten bzw. den aberwitzigen Luxuskonsum einer schmalen Oberschicht verpulvert wird, sondern in die Steigerung der Lebensqualität aller Menschen fließt.

Aufruf zum Tabubruch!

Das Tabu einer steigenden Staatsquote werden wir freilich nur dann aufbrechen, wenn wir uns trauen, ein noch viel härteres Tabu zu knacken: den Ausstieg aus dem neoliberalen EU-Regime. Denn ohne Ausscheren aus dem neoliberalen Korsett der EU-Verträge und EU-Richtlinien ist eine Umkehr in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht möglich. Beide Tabus im Visier hat die seit 2011 rund um den österreichischen Staatsvertrag stattfindende Aktion „SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime!“, die im Jahr 2015 am 17. Mai stattfindet. Wie werden wieder einen Umzug vom Haus der EU zum österreichischen Parlament veranstalten. Die Solidarwerkstatt lädt recht herzlich ein, sich an diesem Tabubruch zu beteiligen.




Steuerpolitische Forderungen der Solidarwerkstatt


Die Solidarwerkstatt sieht drei wichtige Komponenten in der öffentlichen Mittelbaufbringung – mit unterschiedlichen Zielgewichtungen:

1. Ausweitung der wertschöpfungsbezogene Finanzierung auf jene Bereiche, wo Rechte für alle Menschen verallgemeinert werden sollen und stabile Einnahmengrundlage unabdingbar sind: Soziale Sicherheit, Gesundheit und Pflege, Bildung, öffentliche Mobilität. Um eine umfassende Solidarversicherung zu finanzieren, soll nicht nur die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge auf die gesamte Wertschöpfung ausgedehnt werden, wir brauchen insgesamt deutlich höhere wertschöpfungsbezogene Sozialabgaben. Das hat eine enorme Umverteilungswirkung zugunsten der unteren sozialen Schichten, die damit in den Genuss von existenziellen, gemeinschaftlich finanzierten, hochwertigen Leistungen kommen, die für sie sonst unerschwinglich wären. Trotzdem muss eine deutliche Anhebung der Mindestlöhne sicherstellen, dass es dadurch im unteren Einkommensbereich zu keinen zusätzlichen individuellen finanziellen Belastungen durch zusätzliche wertschöpfungsbezogene Abgaben kommt.

2. Einkommens- und Vermögensbesteuerung haben neben dem Aspekt der allgemeinen Mittelaufbringung vor allem den Zweck, Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Wir stellen daher auch zur Debatte, ab welchem Einkommen ein Spitzensteuersatz von 100% legitim ist. Denn ab einer bestimmten Höhe hat Einkommen absolut nichts mehr mit Leistung zu tun, sondern nur mehr mit der Macht, andere zu berauben. Niemand kann hier objektiv eine Linie mit dem Lineal ziehen, aber die Frage welche Mindest- und welche Höchsteinkommen wir gesellschaftlich als zulässig und fair erachten, muss breit demokratisch erörtert und beschlossen werden. Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, wo Steuerreformen notwendig sind: niedrigerer Eingangssteuersatz für die Einkommenssteuer und gemilderte Progression in den mittleren Bereichen; Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer, Börsenumsatzsteuer; Erhöhung von Vermögens- und Konzernsteuern; Einbeziehung der Kapitalerträge in die normale Einkommenssteuerprogression (unter Einbeziehung von Spekulationsgewinnen), Abschaffung der steuerlichen Privilegierung von Privatstiftungen, uvm.

3. Produkt- bzw. Konsumsteuern dienen sicher auch der allgemeinen Mittelaufbringung, vor allem soll damit aber gelenkt werden: hin in Richtung umweltfreundlicher, arbeitsintensiver, die regionalen Kreisläufe stärkender Produkte und Dienstleistungen, d.h. selektive Senkung bzw. Abschaffung der Mehrwertsteuer in diesen Bereichen; Abgabe auf den Import von fossilen Energien zweckgebunden für kommunale Programme zur Förderung erneuerbarer Energien; Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für den Export, Wiedereinführung der Luxusmehrwertsteuer, etc. Zweckbindungen sind insbesondere bei Ökosteuern sinnvoll (z.B. Schwerverkehrsabgabe, um in den öffentlichen Verkehr zu investieren).
(3.3.2015)