Ende März ließen die Chefs von WIFO und IHS, Gabriel Felbermayr und Holger Bonin aufhorchen: Zur Behebung der Wirtschafts- und Budgetkrise schlugen sie Lohnerhöhungen unter der Inflationsrate vor. Als „letztklassig“ bezeichnete ProGe Vorsitzender Reinhold Binder diese Zurufe. Ein Urteil, dem sich die Solidarwerkstatt Österreich nur anschließen kann.
Zunächst gilt es festzuhalten: Die Staatseinnahmen werden vorwiegend aus den Arbeitseinkommen finanziert. Sowohl direkt über die Lohnsteuer, als auch indirekt über Konsumsteuern. Reallohnverluste führen somit zu sinkenden Staatseinnahmen und vergrößern die Budgetmisere.
Weiters gilt: es sind keineswegs die Realeinkommen, die zur Krise geführt haben. Im Gegenteil: Mit dem EU-Beitritt 1995 wurde die bereinigte Lohnquote vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts abgekoppelt. Das österreichische Industrie- und Exportwunder gründet ganz wesentlich auf diesem Faktum. Jedem vorausschauenden Akteur und insbesondere den Wirtschaftsforschern musste klar sein, dass dieses Modell nicht von ewiger Dauer sein kann und irgendwann ein Ablaufdatum hat. Die kontinuierlichen Exportüberschüsse führten vorwiegend zu exorbitanten Gewinnen der Eigentümer und einer parasitären Vermögensblase. Produktivitätsgewinne können nicht dauerhaft in Exportschlachten verbrannt werden. Auch die Entwicklungen in den USA zeigen dies.
Zudem war dieser Prozess sehr stark von der deutschen Automobilindustrie abhängig. Eine Entwicklung, die sich jetzt rächt. Die Krise in der Industrie findet sich auch nicht durchgängig. Es gibt durchaus viele Betriebe, die sich mit innovativen Produkten am Weltmarkt behaupten können und auch jetzt kräftig investieren. Die Perspektive einer auf billigen Arbeitskräften und Energie basierenden exportstarken Industrie ist reine Fata Morgana.
Fatal und kurzsichtig wäre es auch, jetzt auf den europäischen Aufrüstungsrausch als Wachstumsmotor zu setzen. Die zugrundeliegenden Annahmen dazu sind allesamt an Verschwörungsmythen erinnernde Phantasien, die ein rasches Ablaufdatum haben werden. Auch gilt es vom Automobilismus wegzukommen, der eine gewaltige Fehlallokation darstellt.
Die Solidarwerkstatt Österreich fordert im Gegensatz zu Felbermayr und Bonin:
- Lohnabschlüsse über der Inflationsrate und mit Abgeltung des durchschnittlichen Produktivitätswachstums (Benya-Formel)
- Die Reallohnsteigerungen dürfen nicht nur in die Börsel des Einzelnen fließen, sondern müssen auch unsere gemeinschaftlichen Kassen in den Gemeinden, Sozialversicherungen, Ländern und im Bund füllen
- Steuerliche Investitionsanreize statt niedriger Gewinnsteuern, Erhöhung der Körperschaftssteuer auf 50%
- Stark progressive Einkommenssteuer, die auch die Dividendenausschüttungen voll erfasst
- Reform der Mehrwertsteuer: Begünstigung arbeitsintensiver Wertschöpfung bei Reparatur, Dienstleistungen, regionalen Produkten, Abschaffung der Steuerbefreiung des Exports
- Vielfältige Eigentumsformen: Stärkung genossenschaftlichen, kommunalen, staatlichen Eigentums. Aktive, innovative Investitionspolitik der ÖBAG, Finanzierung von ökologisch orientieren Investitionsfonds z. B. durch Erbschaftssteuern.
Boris Lechthaler