ImageTempo und Druck in der Arbeitswelt werden immer härter. Über die Auswirkungen für die aktive Arbeitsmarkpolitik unterhielt sich das WERKSTATT-Blatt mit Tom Zuljevic-Salamon, der seit vielen Jahren als Coach, Trainer und Projektentwickler im Sozialbereich arbeitet.

 

WERKSTATT-Blatt: Tom, Du bist seit den 80'er Jahren im Sozialbereich, insbesondere im Bereich Arbeitsintegration aktiv. Aktive Arbeitsmarktpolitik geht ja zurück auf den legendären Sozialminister Dallinger in den 1980'er Jahren und damit interessanterweise auf den Beginn der Durchsetzung der neoliberalen Wende auch in Österreich. Kannst Du unseren jungen LeserInnen ein Bild, von den damaligen Aufgabenstellungen, Vorstellungen, Hoffnungen vermitteln?

Tom: Mein Einstieg in die aktive Arbeitsmarktpolitik war 1984, zu Zeiten, von Aktion 8000 und ähnlichen Maßnahmen. Für mich war das damals eine echte Aufbruchszeit mit vielen Experimenten. Damals gab es noch „frei fliegende“ Arbeitsmarktberater, die als Bindeglied zwischen den gerade entstehenden Sozial- und Arbeitsprojekten und dem AMS fungiert haben. Nichts desto trotz hat es damals auch schon erste Kürzungswellen und viel Aktionismus gegeben. Legendär war sicherlich die Besetzung des Büros des ehemaligen AMS Chefs Dr. Obrovsky. Insgesamt glaube ich war das eine sehr sehr wichtige Zeit, und wir zehren heute noch von den Entwicklungen die damals im NGO Bereich gemacht wurden. Vieles wurde damals gegründet, und erstaunlich viel davon hat bis heute zumindest als Hülle überlebt. Von den damals gültigen ideologischen Zugängen in der Szene, wie selbstverwaltete Betriebe und ähnliches ist leider nicht mehr viel übrig. Der Prozess der letzten dreißig Jahre ist in diesem Zusammenhang von einer massiven Professionalisierung geprägt, und hat seinen experimentellen Charakter beinahe vollständig verloren. Der Szene würden wieder einmal fünf Jahre aller 80er Jahre sehr gut tun, um endlich wieder echte Innovationen und echte Experimente zu ermöglichen. Diese Frischzellenkur wäre sehr wohl im konzeptiven als auch im personellen Bereich sehr belebend und nützlich.

WERKSTATT-Blatt: Die aktive Arbeitsmarktpolitik war ja der erste Sozialbereich, der meines Wissens, flächendeckend marktförmig organisiert wurde. Welche Auswirkungen hatte das für die TrainerInnen und die KlientInnen?

Tom: Ich glaube die wesentlichste Veränderung war, dass es vorher vorwiegend individualisierte Angebote gegeben hat. Wenn schon nicht auf die Person abgestimmt, dann mit einem sehr starken Bezug zur Region und zur Zielgruppe. Mit dieser Veränderung wurde sozusagen die Maßnahme von der Stange eingeführt, die relativ flächendeckend und gleich eingesetzt wird. Für die KlientInnen ist dadurch die Wahrscheinlichkeit wesentlich erhöht worden, freiwillig oder unfreiwillig an einer solchen Maßnahme teilzunehmen. Die echten Verlierer dieser Veränderung sind die eingesetzten TrainerInnen und die kleinen Anbieter. Die TrainerInnen müssen heute, aufgrund der Politik der großen Anbieter, zu Bedingungen und Löhnen arbeiten die einmal undenkbar waren. Dadurch hat aber auch die Qualität der TrainerInnen in vielen Bereichen abgenommen. Die kleinen Anbieter haben verloren, weil es bis auf ganz wenige Versuche und Ausnahmen nicht gelungen ist, in der verlangten Breite und zu den mittlerweile üblichen Niedrigstpreisen anzubieten.

WERKSTATT-Blatt: In den letzten Jahrzehnten ist es nicht nur in der Industrie, sondern auch im Bereich der sozialen Dienste und der Verwaltung zu enormen Produktivitätssteigerungen gekommen, die vielfach nicht an die Beschäftigten weitergegeben wurden. Das gängige Bild ist, dass diese Produktivitätssteigerungen dem technischen Fortschritt geschuldet sind. Gewerkschafter sprechen von einer Zunahme des Arbeitsdrucks? Wie siehst Du das?

Tom: Das ist zweifelsohne genau so, und wird auch mittlerweile von vielen Studien belegt. Die Tatsache, dass immer mehr ArbeitnehmerInnen in Folge von Burn-Out oder anderen Überlastungsformen aus dem Erwerbsprozess rausfallen macht vor dem sozialen Sektor nicht halt. Ich behaupte sogar, dass es im sozialen Sektor höher ist als in anderen Bereichen. Verantwortlich dafür ist die Entwicklung, dass trotz steigender KlientInnenzahlen in allen Sektoren, die Sozialbudgets nach unten gehen. Betreuungsschlüssel und Durchgangszahlen werden erhöht. Auch durch die ewige Diskussion der Notwendigkeit des sozialen Sektors kommt es zu einer, in ihrer Auswirkung nicht zu unterschätzenden fehlenden Akzeptanz und Anerkennung der geleisteten Arbeit. Ein Problem das wir unter anderem mit den LehrerInnen teilen, und dort sind die Entwicklungen ähnlich schlecht.  

WERKSTATT-Blatt: Welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt? 

Tom: Aus meiner Beobachtung war der Arbeitsmarkt im sozialen Sektor selten so bewegt und turbulent wie jetzt. Jobs werden sehr häufig gewechselt. Viele KollegInnen sind am Suchen, nach dem passenden Job. Nach den Kürzungen in den letzten beiden Jahren sind viele auch sehr verunsichert.  Einerseits ist es gelungen in den letzten fünfzehn Jahren viele qualifizierte Ausbildungen im Sektor zu entwickeln, die auch viele qualifizierte KollegInnen auf den Markt gebracht haben, andererseits sind die Möglichkeiten sich kreativ und aktiv einzubringen gesunken, weil es nur mehr sehr wenige Entwicklungen gibt. Das frustriert und verleitet zum Wechsel. Auch die ständige Unsicherheit durch die Frage „habe ich nach Weihnachten noch einen Job“ ist einerseits sehr kräftezehrend aber auch ein Faktor für Wechseldynamik. 

WERKSTATT-Blatt: Ist Deiner Meinung nach unter den derzeitigen Bedingungen ein einheitlicher Arbeitsmarkt herstellbar? 

Tom: Leider ganz und gar nicht. Es fällt mir wirklich schwer das einzugestehen, weil ich ein absoluter Verfechter des Inklusionsgedankens bin. Leider scheint Inklusion nur mehr in unserem sozialen Leben machbar zu sein. Am Arbeitsmarkt sind wir davon weiter entfernt denn je. Ich glaube ja sogar, dass sich statt eines, mittlerweile drei Arbeitsmärkte mit eigenen Spielregeln entwickelt haben.

Der erste Arbeitsmarkt teilt sich in den privaten und den öffentlichen Sektor. Der private Sektor hat an Dynamik unheimlich zugenommen. Schwäche wird im Großen und Ganzen nicht geduldet, und die Spielregeln sind für Menschen mit welchen besonderen Bedürfnissen auch immer weniger bewältigbar. Monetäre Abgeltungen für Minderleistungen bringen die erhofften Inklusionseffekte schon lange nicht mehr.  Im öffentlichen und halböffentlichen Arbeitssektor im Sozial- und Gesundheitssektor sowie im öffentlichen administrativen Bereich, wurden zwar in den vergangenen Jahren ein paar kleine Oasen ausgebildet, der Frustrationspegel steigt in diesem Segment allerdings enorm.  

Der zweite Arbeitsmarkt ist der sozial-ökonomische Sektor generell. Die ursprünglichen Maßnahmen in diesem Bereich, die die TeilnehmerInnen ursprünglich fit für den ersten Arbeitsmarkt machen sollten, wurden mittlerweile so gekürzt, dass der gewünschte und in den Konzepten nach wie vor beschriebene nachhaltige Inklusionseffekt nur mehr in Ausnahmefällen gelingt.  

Der dritte Arbeitsmarkt ist alles was mit geschützter Arbeit, fähigkeitsorientierter Beschäftigung usw. zu tun hat. Die Comebackwege aus diesem Bereich sind mittlerweile so lange und so teuer, dass sie in der Regel nicht mehr finanziert und begangen werden.  

Das große Problem ist aus meiner Sicht, dass sich die einzelnen Bereiche wie Kontinentalplatten voneinander wegbewegen, und dass ein Wechseln von einem Bereich in den anderen immer schwieriger und für viele zu einem Himmelfahrtskommando wird, dessen Risiko nicht lohnend ist. Wenn für TeilnehmerInnen der Arbeitsmärkte das Risiko der erneuten Beschädigung und des erneuten Rausfallens und damit Verletztwerdens zu groß ist, dann sinkt natürlich auch die Motivation es zu versuchen, was wiederum behördliche Zwangsmaßnahmen argumentiert.  

WERKSTATT-Blatt: Von Betroffenen in den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wird immer wieder der Eindruck vermittelt, diese Maßnahmen dienen nur dem „Frisieren“ der Statistik. Teilst Du diesen Eindruck?

Tom:
Nein, so absolut stimmt das sicher nicht. Dies ist eine sehr subjektive Sicht der Dinge, von jenen bedauernswerten TeilnehmerInnen, die nicht freiwillig in diesen Maßnahmen sitzen. Man muss das differenzierter sehen. Vor zehn Jahren gab es noch Maßnahmen, deren einziger Zweck es war, tatsächlich Bewerbungen zu produzieren. Heute sind fast alle Kursmaßnahmen in Kombination mit Bildungsmaßnahmen. Das halte ich für durchaus sinnvoll, wenn jemand den ECDL oder so machen kann. Toll wäre es, wenn sich die Bildungsmöglichkeiten mit den Wünschen und Notwendigkeiten der TeilnehmerInnen decken würden. Man muss aber auch verstehen, wenn jemand zum x-ten Mal so eine Maßnahme macht und der nächste Trainer kommt und einem „seinen“ Stil von Bewerbungen als das „Gelbe vom Ei“ verkauft, dann kann es schon sehr mühsam werden. Hier wäre es vielleicht sinnvoller, einmal über eine andere Maßnahme nach zu denken. Das im Hintergrund natürlich Statistikprogramme laufen, und es Stichtage gibt, die für diese wichtig sind, liegt in der Art wie wir mit dem Problem umgehen und wie wir Arbeitslosigkeit definieren und messen.  

WERKSTATT-Blatt: Trotz der neoliberalen Zurichtung aller gesellschaftlichen Bereiche, sind wir vielfach mit neuen Kenntnissen und Techniken bei sogenannten "social skills" konfrontiert. Ist das alles nur Schein, oder siehst Du hier schon substanzielle Fortschritte? 

Tom: Nein, ich glaube schon, dass das so ist. Social skills werden immer wichtiger und auch immer öfter bewertet, bzw. in Entscheidungsprozessen berücksichtigt. Auch Multiprofessionalität bekommt einen immer höheren Stellenwert, das heißt buntere Lebensläufe haben immer bessere Chancen. Das Problem das ich sehe ist, dass unser Berufsbildungssystem viel zu spät darauf reagiert bzw. teilweise noch gar nicht. Ich bin oft erstaunt mit welchen Kompetenzen unsere zukünftigen Eliten von den Universitäten und berufsbildenden Schulen den Arbeitsmarkt betreten.  

WERKSTATT-Blatt: Was würdest Du Betroffenen empfehlen? Sollen sie sich anpassen? Sollen sie die Angebote nutzen? 

Tom: Ja, unbedingt. Jede Gelegenheit erworbenes Fachwissen durch eine Verbesserung der softskills zu festigen und besser einsetzen zu können, sollte genutzt werden. Egal, ob das einmal ein Selbsterfahrungsseminar oder ein europäisches Austauschprogramm ist, es macht absolut Sinn, weil es den Horizont erweitert, auch wenn der Nutzen daraus manchmal nicht gleich sichtbar ist.  

WERKSTATT-Blatt: Die aktuelle Wirtschaftskrise führt u. a. zu enormen Belastungen für die öffentlichen Budgets. Wir werden sich diese auf die aktive Arbeitsmarktpolitik auswirken? 

Tom: Mit Sicherheit negativ. Wir haben ja bereits zwei Sparbudgets hinter uns, und die Erfahrung zeigt, dass unser Sektor der erste ist, wo gespart wird. Es ist eine alte Geschichte, Arbeitslose haben keine Lobby und länger Arbeitslose schon gar nicht. Die öffentliche Diskussion wird ja nur mehr von der Unterstützung für die „Leistungsträger“ und die "Tüchtigen“ geprägt. Da wird wenig Platz für die „Sozialschmarotzer“ sein, die trotz vermeintlicher Fast-Vollbeschäftigung noch immer im Faulbett der sozialen Grundversorgung liegen. In der Diskussion wird dann auch nicht mehr unterschieden, ob sich  Menschen freiwillig dafür entschieden haben oder ob Menschen aufgrund von Erkrankungen und Gebrechen oder der ökonomischen Entscheidung anderer in diese Situation gekommen sind.  

WERKSTATT-Blatt: Mit welchen Projekten beschäftigt ihr euch zurzeit in der Querdenker AG? 

Tom: Nun, wir versuchen in Österreich ein bisschen lästig zu sein. Unser normales Rahmenprogramm in Österreich ist Supervision, Organisationsentwicklung, Coaching, aber vorwiegend Projektentwicklung im sozialen Sektor. Auch versuchen wir nach wie vor die Botschaft von Prof. Frithjof Bergmann und die mit ihm verbundene Idee der „Neuen Arbeit – Neuen Kultur“ in unsere Arbeit einzubinden. Überwiegend sind wir aber im internationalen Bereich tätig. Hier versuchen wir, vor allem in Osteuropa, mitzuhelfen Strukturen für berufliche Integration für die verschiedensten Zielgruppen aufzubauen, und die Lebensbedingungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu verbessern.  

WERKSTATT-Blatt: Ihr veranstaltet am Freitag, 14. Oktober 2011 eine "Soziale Erfindungswerkstatt". Was wird da stattfinden? 

Tom: Hier versuchen wir eine alte Tradition von Heinz Zauner aus Zeiten, wo er noch Geschäftsführer der Plattform der oberösterreichischen Sozialprojekte war, aufleben zu lassen. Nachdem die letzten Innovationen in unserem Sektor schon lange aus sind, ist es Zeit, wieder einmal Raum zu geben, um ganz frei und ungezwungen über neue Ideen im Bereich Arbeit und Soziales nachzudenken, ohne dass immer gleich alles durch die Realisierbarkeitsraster gedrückt wird. Unsere Erfindungswerkstatt wird eine Veranstaltung, wo eben genau dieses Phantasieren wieder mal eingefordert wird, und niemand darf sagen, das lässt sich nicht umsetzen. Wenn es genügend Anmeldungen gibt, wird es moderierte Workshops zu den Bereichen Arbeit, Geld und Community geben. Die eingebrachten Ideen sind Allgemeingut, werden gesammelt und von uns publiziert.  

Zur Veranstaltung "SozialeErfindungswerkstatt" Freitag 14. Oktober 2011