Image"Sterben oder expandieren", nannte Hypo-Chef die Devise der Hypo-Alpe-Adria unter den Bedingungen des durch den EU-Beitritt entfesselten Finanzmarktes. Andere Banken folgten. Am Ende könnte beides stehen: zuerst expandieren, dann sterben - mit enormen Kollateralschäden für die öffentlichen Budgets. 

 

Als Wolfgang Kulterer 1992 Chef der Hypo Alpe Adria wurde, nannte er als sein Motto: “Sterben oder expandieren“ (1). Diese Expansion der Hypo fand dann in der Tat statt. Die Bilanzsumme betrug 1992 noch 1,9 Milliarden Euro, 2009 bei der „Notverstaatlichung“ lag sie mit 41 Milliarden Euro beim mehr als Zwanzigfachen. Die Geschichte der Hypo ist aber keineswegs einzigartig. Andere Banken wuchsen in ganz anderen Größenordnungen: Die Bilanzsumme der Erste Group schnellte von 50 Milliarden (1997) auf fast 214 Milliarden (2012) in die Höhe, die der Raiffeisen International von 3,6 Mrd (1998) auf 136 Mrd (2012), und die der Bank-Austria (Uni-Credit) von 124 Mrd (1998) auf über 207 Mrd. (2012). Alle diese enormen Zuwächse resultieren zum überwiegenden Teil aus den Expansionen in (Süd-)Osteuropa.

Diese Expansionsstrategie wird jetzt – nach dem Hypo-Debakel – allerorten heftig kritisiert, ohne dass erwähnt wird, warum die Banken just ab den 90er Jahre unisono begannen, diesem Expansionsrausch zu verfallen. Dabei liegt der Grund auf der Hand: der Beitritt zum EU-Binnenmarkt und seinen vier „Freiheiten“, zu denen bekanntlich auch die ungezügelte Kapitalmobilität zählt. Das EU-Primärrecht ist da unmissverständlich: „Alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern sind verboten.“ (2) Hier finden wir den Grund für die „Sterben oder expandieren“-Strategie Kulterers und für die Transformation einer biederen Landesbank zu einem expansionswütigen Finanzkonzern.

Expansionsrausch der Banken – direkte Folge des EU-Beitritts

Österreich hatte lange Zeit eine sehr strenge Regulierung des Kapitalverkehrs. Diese Regelungen wurden im Zuge der Vorbereitung bzw. der Umsetzung des EU-Beitritts über Bord geworfen. Dazu der Politikwissenschafter Christian Schoder (3):„In Österreich wurde der Kapitalmarkt relativ spät liberalisiert. Um die österreichische Gesetzeslage in Übereinstimmung mit den Vorgaben der europäischen Integration zu bringen, wurden in den 1980er Jahren Finanzinvestitionen von AusländerInnen im Inland sowie von InländerInnen im Ausland erleichtert. In den frühen 1990er Jahren fielen die letzten Kapitalverkehrskontrollen. 1992 wurde die öffentliche Kontrolle der Auflage von Anleihen aufgehoben. Weiters beseitigte eine Steuerreform 1994 die Börsenumsatzsteuer. Mit dem Bankwesengesetz 1994 wurden ausländischen Finanzinstituten grenzüberschreitende Geschäfte sowie die Errichtung von Filialen in Österreich erlaubt. Durch die Maßnahmen im Rahmen der Kapitalmarktoffensive 2000 wurde der Finanzmarkt Österreichs weiter liberalisiert und die Wiener Börse gestärkt: Die Finanzierung über Ausgabe von Aktien und der Handel mit Wertpapieren wurden durch steuerliche Anreize angeregt. Wertpapierhandel außerhalb von Börsen (over the counter ) wurde offiziell zugelassen.“

Diese Analysen bestätigt auch die Nationalbank in einer Schrift anlässlich 10-Jahre EU-Mitgliedschaft (4): „Der österreichische Finanzmarkt unterliegt seit dem EU-Beitritt merklich kompetitiveren Rahmenbedingungen. Ausgangspunkt der Integration des österreichischen Finanzsystems in die europäischen Finanzmärkte war die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs am 4. November 1991. In weiterer Folge wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen des österreichischen Finanzsektors zunehmend europäisiert, wodurch die Prinzipien der von den vier Grundfreiheiten geprägten europäischen Wirtschaftsverfassung zunehmend den österreichischen Finanzmarkt bestimmten. Das legistische Grundsatzwerk für den österreichischen Finanzsektor bildete das Finanzanpassungsgesetz 1993, das mit der EWR-Teilnahme zu Jahresbeginn 1994 in Kraft trat und die relevanten europäischen Richtlinien und Empfehlungen in österreichisches Recht umsetzte. Dabei handelte es sich um ein Paket von insgesamt 17 Gesetzen, mit dem das Bankwesengesetz (BWG), das Investmentfondsgesetz, das Bausparkassengesetz und Novellen zu zahlreichen Gesetzen für Kredit- und Finanzinstitute verabschiedet wurde. Der Marktzutritt wurde durch die Kapitalverkehrsliberalisierung sowie durch die Umsetzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im neuen BWG wesentlich erleichtert. …  Zu den wesentlichen Reformmaßnahmen zählte z. B. die Aufhebung der Emissionskontrollen, insbesondere die Abschaffung der Emissionsgenehmigung durch das Bundesministerium für Finanzen.“ Zu den Folgen dieser Liberalisierung  vermerkt der ÖNB-Bericht: „Die markanteste Veränderung in der strategischen Ausrichtung der Banken war wahrscheinlich die massive Internationalisierung seit Beginn der Neunzigerjahre. Ihre wesentliche Zielrichtung war … Zentral- und Osteuropa.“

Unter dem Strich heißt das: Sowohl die Notwendigkeit zu expandieren, um nicht von großen ausländischen Finanzhäusern geschluckt oder vom Markt verdrängt zu werden, als auch die Möglichkeit, sich im großen Stil mit Kapitalmitteln für diese Expansionen auf den internationalen Kapitalmärkten zu versorgen, sind unmittelbar auf die „Entfesselung der Finanzmärkte“ durch das EU-Binnenmarktregime zurückführen. Eng damit verbunden ist die zunehmende Privatisierung des österreichischen Bankensektors, entweder durch direkten Verkauf an private Banken (sh. Bank-Austria, BAWAG) oder durch die Umwandlung des Sparkassen- und Genossenschaftssektors in Aktiengesellschaften (Erste Group, Raiffeisen international), um sich mit dem nötigen Kapital für die Ostexpansion zu versorgen.

Die sprunghafte Ausweitung der Bilanzsummen etwa der Hypo Alpe Adria wurde von der Notenbank dabei keineswegs kritisiert, im Gegenteil, sie schienen immer noch  zu gering, um sich im liberalisierten EU-Markt behaupten zu können: „Die durchschnittliche Bilanzsumme einer österreichischen Bank war Ende 2004 drei Mal so hoch wie 1990. Im europäischen Vergleich zählen die österreichischen Banken aber nach wie vor zu den kleineren. Im EU-Durchschnitt war die durchschnittliche Bilanzsumme einer Bank fünf Mal so groß wie in Österreich.“ (4)

Zuerst expandieren, dann sterben

Die „Sterben oder expandieren“-Strategie im liberalisierten EU-Finanzmarkt mündet letztlich in beidem: Zuerst expandieren, dann sterben bzw. von Größeren geschluckt zu werden. Dafür stehen Bank Austria, die BAWAG und nun – mit enormen Kollateralschaden für die öffentlichen Finanzen – die Hypo Alpe Adria. Dass bei der Hypo Alpe Adria besonders viele Kredite faul wurden, hat sicherlich etwas mit der spezifischen Expansionsstrategie der Hypo zu tun. Diese beruhte zunächst auf der Finanzierung des kroatischen Sezessionskriegs  und ging nach dem Krieg nahtlos in die Finanzierung der neuen mafiotischen Oberschicht rund um den kroatischen Autokraten Tjudman über (sh. Werkstatt-Blatt 1/2014). Doch auch für andere bei weitem größere österreichische Banken sind bedrohliche Gewitterwolken am Horizont. Eine aktuelle Studie von Pricewaterhouse Coopers schätzt die Summe der faulen Kredite der österreichischen Großbanken auf 46 Milliarden, bei einem gesamten Kreditvolumen von 400 Milliarden. Der Anteil der österreichischen Bankkredite in den MOEL-Staaten beläuft sich dabei auf rund 300 Milliarden, das ist mehr als Zehnfache der Hypo Alpe Adria. Fast ein Drittel der faulen Kredite in den MOEL-Ländern (128,9 Mrd. im Jahr 2013) entfallen auf österreichische Großbanken (5).

Die österreichischen Banken nehmen in Osteuropa eine Stellung ein, die weit über das wirtschaftliche und politische Gewicht Österreichs hinausgeht. Das verhieß jahrelang traumhaften Renditen und könnte nun zum verheerenden Bumerang werden. Die Milliarden, die die „Bankenhilfe“ für Hypo, Kommunalkredit und Volksbanken AG dem österreichischen Staat kosten könnte, könnten erst der Auftakt sein. Die Profilierung als „Finanzplatz“ stellt gewissermaßen eine Nische für kleine Zentrumsökonomien im entfesselten EU-Konkurrenzregime dar. Das globale Einsammeln der Gelder internationaler Fonds an einem kleinen, aber feinen „Finanzplatz“, um diese dann als geballte Macht für ökonomische Feldzüge einzusetzen, war eine Zeitlang eine ebenso hochprofitable wie hochriskante Geschäftsidee. Spätestens in der Krise zeigt sich eine enorme Verwundbarkeit, da die Verluste rasch die finanziellen und politischen Möglichkeiten von Kleinstaaten sprengen. Das Beispiel Irlands hat das drastisch vor Augen geführt. War vorher der aufgeblähte Finanzsektor noch ein Trumpf, so wandelt die Finanzkrise diesen zum Einfallstor für die völlige Preisgabe der Souveränität und die Entmündigung durch die „Troika“.

Jahrzehntelange Sparpakete…

Auch Österreich steht schon jetzt unter der Kuratel der EU-Kommission. Denn Österreich befindet sich im „EU-Defizitverfahren“. Das gibt der EU-Kommission seit Inkrafttreten des Fiskalpakts und der Verordnungen des sog. EU-Six Packs und Two Packs eine Reihe neuer Möglichkeiten in die Hand, den Staaten unter Androhung hoher Geldstrafen eine neoliberale Austeritätspolitik aufzuzwingen. Die milliardenschweren Kürzungsprogramme insbesondere im Pensions- und Gesundheitsbereich sind unmittelbar darauf zurückzuführen. Werden die Hypo-Milliarden dem Bundesbudget aufgeschlagen, kann die Kommission noch mehr Druck auf den Sozialstaat ausüben. Und zwar auf Jahrzehnte: Denn die sog. Zwanzigstel-Regelung schreibt vor, dass die EU-Staaten jährlich ein Zwanzigstel der Differenz zwischen dem aktuellen Schuldenstand (gemessen am BIP) und dem Referenzwert von 60% abbauen müssen. Nach der Übernahme der Hyposchulden hieße das für Österreich Spar- und Belastungspakete von rd. 3 Milliarden – jährlich, auf 20 Jahre!

 … oder Ausstieg aus dem Irrsinn

Schon die Auswirkungen der Hypo-Pleite sind unfassbar, was aber, wenn eine Bank ins Straucheln gerät, die die fünffache Bilanzsumme der Hypo hat? Die Brutalität, mit der München/Berlin unter Einschaltung von EU-Kommission und EZB die Hypo-Schulden an Österreich weitergereicht haben, ist ein Menetekel an der Wand. Wir erleben eine schockartige Umverteilung von Geld und Macht von unten nach oben. Immer mehr Menschen empören sich zu recht darüber. Wir brauchen und wir haben Alternativen zu diesem Irrsinn:

1) Volksabstimmung über die Zukunft dieser Bank. Es sind unsere Milliarden, um die es hier geht. Wir wollen deshalb darüber entscheiden! Dabei müssen alle Informationen und Optionen auf den Tisch. Das kann aus unserer Sicht sowohl die Insolvenz sein, wenn sich herausstellt, dass kaum mehr werthaltiges in den Büchern steht; sollte das aber nicht der Fall sein, kann auch die Umwandlung in eine öffentliche Bank für langfristige Investitionen eine sinnvolle Zukunftslösung sein. Kategorisch lehnen wir dagegen ab, was die Regierung offensichtlich mit der EU-Kommission ausgedealt hat: Die Verramschung der profitablen Teile der Bank (wie bereits bei der Hypo Alpe Adria Österreich geschehen) und die Sozialisierung des Ramschanteils in Form einer Bad Bank.

2) Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime mit seinen liberalisierten Finanzmärkten und Budgetdiktaten. Nur so kann eine Alternative zum „Expandieren oder Sterben“-Teufelskreis gefunden werden, der nur den ganz großen Finanzkonzernen a´la Deutsche Bank dient, um den Genossenschafts- und Sparkassensektor zurückzudrängen. Und nur so kann ein Weg aus der autoritären Sackgasse gefunden werden, an deren Ende sowohl der Sozialstaat als auch die Demokratie zum „Auslaufmodell“ (Mario Draghi, EZB-Chef) werden, weil neoliberale Technokratien (EZB, ESM,…) über das Schicksal ganzer Volkswirtschaften entscheiden.

3) Der Ausstieg aus diesem Konkurrenzregime schafft den Raum für eine Demokratisierung der Wirtschaftspolitik im Allgemeinen und der Finanzwirtschaft im Konkreten. Dazu gehört die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen, um der Erpressung durch transnationale Konzerne entgegentreten zu können und eine Demokratisierung von Investitionsentscheidungen zu ermöglichen. Dazu gehört eine demokratische Kontrolle der Geldpolitik, um die Refinanzierung der öffentlichen Hand von den internationalen Finanzmärkten unabhängiger zu machen; und dazu gehört die Rücknahme der Bankenprivatisierungen bzw. die Stärkung des öffentlichen, genossenschaftlichen und kommunalen Eigentums im Bereich der Finanzwirtschaft als ein unerlässliches Rückgrat für einen Solidarstaat Österreich.

PS: Mit den EU-Verträgen ist das alles unvereinbar.

Gerald Oberansmayr
(21.4.2014)


Sei dabei!
SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime! - Umzug von Haus der EU zum österreichischen Parlament, So, 18. Mai 2014
Aufruf und weitere Infos siehe http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1016&Itemid=1

 


 Anmerkungen:
(1) zit. nach Falter 28/2013
(2) Artikel 53, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(3) Christian Schoder, „Die Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte als Hebel zum neoliberalen Umbau nationalstaatlicher Budgetpolitik unter besonderer Berücksichtigung von Deutschland und Österreich.“, Diplomarbeit, Wirtschaftsuniversität Wien, 2009
(4) Walter Waschiczek, 10 Jahre EU-Beitritt Österreichs – Auswirkungen auf die Finanzmarktstruktur; Österreichische Nationalbank, Geldpolitik & Wirtschaft, Q2/2005
(5) PricewaterhouseCoopers, „Banking in times of financial distress – Austria & CEE non-performing assets overview 2012”, Sept. 2013

Solidarwerkstatt-Dossier zum Thema Hypo-Alpe-Adria
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1052&Itemid=98