
Der ESM wurde Anfang Juli mit Zwei-Drittel-Mehrheit, der EU-Fiskalpakt mit einfacher Mehrheit beschlossen. Ist das „Personenkomitee für eine Volksabstimmung über den EU-Fiskalpakt“ letztlich gescheitert?
Boris: So besehen ja. Wir haben aber begründet, warum insbesondere eine Ratifikation des Fiskalpakts ohne Volksabstimmung illegal ist und deshalb keine rechtliche Bindung entfalten kann. Das kann nicht mehr weggewischt werden. Manche legen jetzt die Verantwortung über diesen Putsch in die Hände des Bundespräsidenten oder des Verfassungsgerichtshofs. Wir haben diese Frage in die eigenen Hände genommen und ihn für illegal erklärt. Niemand wird sich darauf berufen und behaupten können, er hätte nicht gewusst, dass viele Menschen in Österreich in der Aufgabe der Budgetsouveränität durch den Nationalrat eine grundlegende Änderung der Bundesverfassung erkennen, die wenn überhaupt nur über eine Volksabstimmung rechtswirksam werden kann.
Boris: Zunächst muss festgehalten werden: Es ist dem Personenkomitee geschuldet, dass sich ein österreichischer Widerstand gegen den EU-Fiskalpakt entwickelt hat. Obwohl das Personenkomitee seine Anstrengungen auf die Durchsetzung einer Volksabstimmung konzentriert hat, ist damit erst die wirtschaftspolitisch begründete Kritik relevant und hörbar geworden. Die Forderung nach einer Volksabstimmung war und ist ein unverzichtbarer Navigator um bei diesen Kräfteverhältnissen in allen Phasen handlungsfähig zu werden. Es stimmt: Wenn man die Fledderei der rechtsextremen Deutschnationalen am Ende des Prozesses beiseite lässt, sind wir damit ziemlich alleine geblieben. Umgekehrt wurde aber auch die Schwäche jener Kräfte deutlich, die den Fiskalpakt wirtschaftspolitisch kritisieren und ablehnen, den Souveränitätsverlust aber als Schritt auf dem Weg zu einer EU-Fiskalunion begrüßen. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die Ratifikation im Nationalrat nicht verhindert wurde.
Boris: In der Stärke des Personenkomitees wurde auch der Grund der Schwäche der emanzipativen Kräfte in Österreich deutlich, und woran wir arbeiten müssen. Vergegenwärtigen wir uns, der Kern des Fiskalpakts ist ein machtpolitscher: die Entmündigung des Parlaments, die Entrechtung der Menschen. Die Entscheidung über die Einnahmen und Ausgaben des Staates soll von einem Gremium demokratisch gewählter Abgeordneter auf neoliberale Technokraten in der EU-Kommission übertragen werden. Die Solidarwerkstatt hat es oft gesagt und wird es immer wieder sagen: Der Euro ist nicht die Währung eines gemeinsamen Writschaftsraums, sondern der Versuch über eine gemeinsame Währung einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu erzwingen, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, der den Stoff für globale Machtprojektionen liefert. Die Krise des Euros ist eine Krise dieser machtpolitischen Ambitionen. Der Fiskalpakt ist der Versuch diese politische Krise putschistisch zu lösen. Am 11. Mai 2012, nur wenige Tage bevor nach den ursprünglichen Plänen der Fiskalpakt im Parlament durchgewunken werden sollte, und auch am 28. Juni 2012, unmittelbar vor dem tatsächlichen Rechtsbruch, hat das Personenkomitee mit seinen Aktionen gezeigt, dass es Menschen in diesem Land gibt, die das nicht anerkennen. Es waren einfache Bürgerinnen und Bürger, AktivistInnen zivilgesellschaftlicher Initiativen, GemeinderätInnen und vor allem BetriebsrätInnen, die sich dem Machtanspruch der europäischen, besonders der deutschen, Machteliten entgegengestellt haben und entgegenstellen. Es wurde deutlich, nur Menschen und Kräfte die vom politischen Establishment weitgehend unabhängig sind, sind in der Lage, sich offen dieser Unterwerfung und Entmündigung durch Brüssel und Berlin zu widersetzen. Am 11. Mai haben drei Vorsitzende von Betriebsräten relevanter österreichischer Betriebe klar Stellungnahmen bezogen. Wir haben auch viel Zuspruch aus der Bevölkerung bekommen. Freilich kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht gelungen ist, eine große Zahl an Menschen zu mobilisieren. Verantwortlich dafür ist nicht etwa deren Trägheit. Die Warnstreiks der Metaller im vergangenen Herbst, die Aktionen der Plattform 25 in der Steiermark, die Streikbereitschaft im öffentlichen Dienst in OÖ, die Aktionen der Studierenden seit mehreren Jahren, die Stopp-ACTA Proteste , die Solidartätsbewegung mit den kriminalisierten Tierrechtlern, es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass die Bereitschaft der Menschen, sich für eine solidarische und demokratische Wende zu engagieren, noch nie so groß war wie jetzt. Unabhängig vom Establishment handlungsfähig zu werden, war die Stärke des Personenkomitees; dass das nur wenige organisierten Kräfte von sich behaupten können, ergibt unsere Schwäche.
Es gelingt dem Establishment nach wie vor, mitunter sogar besser als bisher in der Geschichte, fast alle relevanten Kräfte, deren Verantwortung es ist Orientierung zu geben, wenn es darum geht für die Gesellschaft und sich selbst aktiv zu werden, in Abhängigkeit zu halten. Das gilt für alle politischen Parteien, die bittere Wahrheit ist aber, es gilt auch für die Gewerkschaften und die Arbeiterkammern, auch NGO’s spielen eine wichtige Rolle bei dieser Manipulation der gesellschaftlichen Entwicklung. Damit dies möglich wird, wird auch Kritik zugelassen. Tabus werden dort errichtet, wo diese machtpolitisch relevant werden könnten. Im Zusammenhang mit dem EU-Fiskalpakt hat dies bedeutet: Kritik an den wirtschaftspolitischen Parametern des EU-Fiskalpakt ist zulässig; einen österreichischen Widerstand darf es aber nicht geben und wenn er sich dennoch entwickelt, muss er in die Fänge der Rechtsextremen kanalisiert werden. Manche Kräfte haben ausschließlich für eine Aktion in Frankfurt a. M. mobilisiert, und das für einen Zeitpunkt nachdem die Ratifikation des Fiskalpakts im Parlament geplant war. Das bedeutet letztlich: Man wollte den Fiskalpakt nicht verhindern, sondern nur kritisieren.
Anstatt beim Bundespräsidenten herum zu scharwenzeln, hätten die Grünen die Beschlussfassung des Fiskalpakts torpedieren können, indem sie dem ESM die Zustimmung verweigern. Mich erinnert diese Vorgehensweise an das Strohhalmspiel der Grünen Fraktion im deutschen Bundestag bei der Abstimmung über die deutsche Kriegsbeteiligung beim Angriff gegen Afghanistan 2001. Acht Grüne Abgeordnete waren dagegen. Nachdem Schröder die Abstimmung mit der Kanzlerfrage verknüpft hatte, durften jedoch nur vier dagegen stimmen. Damit der wirkliche Krieg nicht verhindert wurde, die Grünen aber als Leimrute für AntimilitaristInnen verfügbar bleiben, hat also das Los entschieden, m. E. eine völlige, auch moralische, Kapitulation vor dem Machtanspruch der Eliten. Dieselbe Konstellation erleben wir jetzt: Damit ihre wirtschaftspolitsch begründete Kritik authentisch wirkt, durften manche dagegen stimmen, wichtig war, dass sie den Prozess insgesamt nicht gefährden. Deshalb haben sie auch nichts zur Entfaltung eines österreichischen Widerstands beigetragen. Mitunter wird man sie noch als Kronzeugen für eine weitere Zentralisierung der fiskalischen und militärischen Potentiale der EU verwenden wollen.
Beim EU-Gipfel am 28. Und 29. Juni 2012 wurde beschlossen eine „Bankenunion“ zu gründen. Spätestens im Dezember d. J. soll ein Fahrplan für eine politische Union beschlossen werden. Im Raum steht in unterschiedlichen Varianten die Gründung eines europäischen Bundesstaats mit der Zentralisierung der Budgethoheit und des militärischen Gewaltpotentials. Das erweckt den Eindruck, Fiskalpakt und ESM seien doch bloß technische Weiterentwicklungen und der Befund einer putschistischen Machtverschiebung überzogen?
Boris: Im Gegenteil: es zeigt, dass unser Befund, dass ohne Volksabstimmung der Fiskalpakt keine bindende Wirkung entfalten kann, auch bei den Eliten angekommen ist. Der Fiskalpakt soll quasi nachträglich legalisiert werden. Auch sie wissen, dass jederzeit eine Mehrheit der Menschen rechtlich begründet die Gefolgschaft verweigern kann. Was vor unseren Augen stattfindet, ist eine machtpolitische Auseinandersetzung in doppelter Widersprüchlichkeit. Ginge es alleine nach den Wünschen der Machteliten hätten sie die letzten nationalen Bastionen gegen Ausbeutung, Entrechtung und globale Machtentfaltung schon längst geschliffen. Bei der konkreten Umsetzung geraten sie aber zum Einen zueinander in unmittelbare Konkurrenz - man ist sich eben schnell darüber einig, dass es ein gemeinsames Kommando braucht; der Streit beginnt, sobald entschieden werden soll, wer es innehat. Das Binnenmarktregime ist der Versuch das über die hierarchisierende Wirkung hemmungsloser Konkurrenz zu entscheiden. Mit Erfolg. Das Handeln unserer Regierung liefert dafür das beste Zeugnis. Andererseits aber läuft man damit ständig Gefahr die Gefolgschaft der Menschen zu verlieren. Das ist der zweite Widerspruch. Die elitäre Sehnsucht ist auf einen Gründungsakt gerichtet. Die Menschen sollen auf den Straßen tanzen und die Geburt einer europäischen Föderation abfeiern.
Einmal hat man es mit Krieg versucht. Der damalige deutsche Kanzler hat die Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 als „europäischen .Gründungsakt“ bezeichnet, der wie so oft in der Geschichte „…nicht im Jubel, sondern im Schmerz..“ geschieht. Dann hat man es als gegen die miliaristischen Abenteuer der US-Eliten gerichtete “ Friedensmacht“ probiert. Eine EU-Verfassung sollte beschlossen werden. Ein Vorhaben, das dann an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. Über den EU-Reformvertrag wurde die Machtverlagerung wieder über den klassischen technokratischen Weg vorgenommen. Der Fiskalpakt steht in dieser Tradition. Man weiß, dass er die Krise weitervorantreiben und zuspitzen wird, und hofft die Menschen würden dann eine Fiskalunion als Rettung richtiggehend abfeiern. Dazu gehören die vollmundigen Ankündigungen einer Volksabstimmung
Angefangen von Frau Merkel mehren sich die Stimmen bis in die hinteren Ränge, die einem Souveränitätsverlust das Wort reden. Sozialstaat und Demokratie könnten erst auf einer zentralisierten europäischen Ebene wiedererrichtet werden?Boris: Sozialstaat und Demokratie können nur verteidigt bzw. wiedergewonnen werden, wenn die Unterwerfung unter das EU- Freihandelsregime und ihre globale Machtprojektion entgegengetreten wird. Dafür ist die Aufgabe der nationalen Souveränität nicht notwendig. Im Gegenteil: Ihre Verteidigung ist Voraussetzung dafür. Die Verpflichtung sich imperialen Ambitionen wirtschaftlich, politisch und militärisch zu verweigern ist Geschäftsgrundlage der II. Republik. Das ist und kann nur unsere eigene Agenda sein. Es ist völlig lächerlich zu glauben, diese Verantwortung Menschen in anderen Ländern umhängen zu können, schon gar nicht den deutschen. Nur wenn es uns gelingt unsere Souveränität zu verteidigen, stützen wir auch emanzipative Strömungen in anderen Ländern. Sie aufzugeben, im Glauben, dann in einem europäischen Reich des Friedens, der Demokratie und Solidarität munter zu werden, ist schon Ausdruck einer fundamentalen machtpolitischen Erblindung. Gebückt erkennt man eben nur die Größe der Stiefel des Königs, erst der Blick in seine Augen verrät, wo er als nächstes hintreten wird.
Aber es gibt doch gute Argumente, die zeigen, dass Wachstums- und Beschäftigungspolitik am besten in einem europäischen Maßstab durchgeführt werden?Boris: Der Ökonom Michael Kalecki hat Faschismus einmal als Vollbeschäftigungspolitik ohne Gewerkschaften charakterisiert. Freilich wäre es grob irreführend die EU mit Faschismus gleichzusetzen. Was wir aber verstehen müssen ist, dass die Krise, die wir heute erleben, nicht die Krise eines bestimmten wirtschaftstheoretischen Modells ist. Sie ist auch wesentlich eine Herrschaftskrise. Die neoliberale Konterrevolution im Allgemeinen, ihre Durchsetzung über das EU-Regime im Besonderen ist wesentlich von der Durchsetzung eines sozialreaktionären Herrschaftswillens getrieben. Mit dem EU-Binnenmarkt- und der Euro-Hartwährungszone sollten die nationalen sozialen und demokratischen Feuermauern weggeräumt werden. Deshalb kann jetzt auch – anders als wie in den USA- nicht einfach zu einer expansiven Fiskal- und Geldpolitik umgeschwenkt werden. Erst wenn Sozialstaat und Demokratie auf nationaler Ebene geschliffen sind, werden auch andere Instrumente auf europäischer Ebene verfügbar. Schon einmal wurde Arbeitslosigkeit durch Hochrüstung und Autobahnbau bekämpft.
Wie wird sich das Personenkomitee weiterentwickeln?Boris: Grundlage des Personenkomitees war die Forderung nach Durchführung einer Volksabstimmung über den EU-Fiskalpakt. Damit haben wir uns nicht durchgesetzt. Ich halte nichts von Versuchen da jetzt eine andere Agenda draufzusatteln, schon gar keine Kandidaturprojekte. Wichtig ist die Erfahrung, dass auch wenige handlunsgfähig werden können, wenn sie entschlossen und unabhängig vom politischen Establishment sind, in den Kampf gegen die Errichtung eines 4. Reiches mitzunehmen.
Wäre es nicht ebenso wichtig, die Frage nach Alternativen zu beantworten?Boris: Sicherlich. Die Solidarwerkstatt macht das auch. Wir haben anhand einiger Beispiele gezeigt, dass es viele Alternativen gibt, die lebendig werden können, wenn wir an die sozialen, demokratischen und friedenspolitischen Errungenschaften der II. Republik anknüpfen und sie für das XXI. Jahrhundert in Bewegung setzen. Die Frage nach den Alternativen wird aber dann zur Falle, wenn wir die machtpolitischen Vorgaben der Eliten als gegeben akzeptieren. Das ist so, wie wenn man sich auf einer Wanderung auf dem falschen Weg weiß, ihn aber dennoch immer weiter geht. Die Debatte über Alternativen wird da zur launigen Unterhaltung über Tagträumereien. Wir müssen die Karawane zumindest zum Halten bringen können.
Sind die Erfahrungen der vergangenen Monate nicht sehr ernüchternd und frustrierend?Boris: Nüchtern ist meistens gut. Für Frustration sehe ich keinen Grund. Wir leben noch. Die vergangenen Monate waren eine lebendige, sinnliche Erfahrung. Oft sind die Chancen für eine Durchsetzung der emanzipativen Kräfte zum Greifen nah. Die Gelegenheiten verdichten sich. Solange es Menschen, wie die im Personenkomitee gibt, brauchen wir nicht zu verzweifeln.