ImageAls im Sommer 2015 die eurolinken Phantasmagorien über eine sozialere und demokratischere EU, oder auch nur ein Ende der Austerität, nach dem griechischen Referendum zusammenkrachten, konnten wir hoffen, dass das linke komödiantische Treiben rund um das goldene Kalb EU ein Ende nimmt. Doch dann kam Varoufakis mit „Democracy in Europe Movement 25“ (DiEM25).

 

Das (euro-) linke komödiantische Treiben nimmt kein Ende

Als im Sommer 2015 die eurolinken Phantasmagorien über eine sozialere und demokratischere EU, oder auch nur ein Ende der Austerität, nach dem griechischen Referendum zusammenkrachten, konnten wir hoffen, dass das linke komödiantische Treiben rund um das goldene Kalb EU ein Ende nimmt. Immerhin wurde in einem Aufruf von „Europa neu begründen“, einem milieutypischen Dokument, bereits nach dem Wahlsieg Syrizas im Jänner 2015 artikuliert, wenn eine Neuorientierung der EU nur nach einem Ausscheiden aus der Währungsunion möglich sei, „werden die europäischen Institutionen für unvereinbar mit demokratischen Entscheidungen in den Mitgliedsländern erklärt.“1)

Varoufakis in Berlin 

Doch dann kam der 9.2.2016. Der gescheiterte griechische Finanzminister Gianis Varoufakis verkündet in Berlin mit Mitstreitern aus 12 Ländern das „Democracy in Europe Movement 25“ (DiEM25). Es ist müßig, darüber zu spekulieren, woher das Gold stammt, das da nunmehr in ein neues Kalb gegossen wurde. Jede Menge klingende Namen, Toni Negri, James Galbraith, Srecko Horvat, sind da versammelt; aus Österreich ProponentInnen der „Europa anders“ Kandidatur, die 2014 mit einem Volksbegehren zum Angriff auf die letzten Reste genossenschaftlichen und kommunalen Bankwesens zugunsten der europäischen Finanzindustrie bliesen. Das Manifest selbst wurde, wie es sich für ein EU-Dokument gehört, in Hinterzimmern gekleistert, und so moniert der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold, dass nicht klar sei, wer eigentlich „die vielen Änderungen in den verschiedenen Versionen des Manifests verlangt und wer entschieden hat…“2) Von Austerität, Massenarbeitslosigkeit und Eurokrise ist keine Rede mehr. Stattdessen fordert man live-streams von den EU-Ratssitzungen und vor allem eine verfassungsgebende Versammlung. Martin Höpner, Sozialwissenschafter am Max-Planck-Institut, erklärt in einem hellsichtigen Blogeintrag den Zusammenhang von Demokratie und Euroregime: „Vor diesem Hintergrund ist es nur höchst konsequent, Verfahren zu errichten, die zum Ziel haben, das Fehlen transnationaler Lohnkoordination zu kompensieren, ja die Tarifautonomie der Sozialpartner in letzter Konsequenz zu brechen. Das ist der Preis des Euro….. Wenn der Euro denn verteidigt werden soll, seine Bestandsvoraussetzungen aber eklatant verletzt werden, solange die Euro-Teilnehmer Demokratien sind – dann ist es nur höchst konsequent, die Freiheitsgrade der Demokratien durch technokratische Interventionen immer weiter einzuschränken, bis hin zur faktischen Vollsuspendierung demokratischer Verhältnisse in den Krisenländern.“ 3)

Bereits bei den Auseinandersetzungen um den EU-Reformvertrag und den EU-Fiskalpakt gab es von eurolinker Seite den Versuch, die nationalen Demokratien auszuhebeln, indem man eine europaweite Volksabstimmung forderte. Im österreichischen Fall ist es jedoch geradezu eine hintervotzige Art von NS-Wiederbetätigung, wenn man fordert 80 Millionen Deutsche mögen über die immerwährende Neutralität abstimmen, und so beließ man diese Phantasien in rechtlichen Grauzonen. Es ging mehr um die Hoffnung auf ein eurochauvinistisches Erweckungserlebnis, dessen Sog skeptische Kräfte in einzelnen Ländern hinwegspülen würde,  wenn eine derartige Volksabstimmung in allen Ländern am gleichen Tag durchgeführt werde. Doch diese Hoffnung wurde bereits 1999 enttäuscht. Damals sprach der deutsche Kanzler Schröder anläßlich des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens von einem "europäische(n) Gründungsakt, der wie so oft nicht im Jubel, sondern im Schmerz" geschehe.

DiEM25 geht da einen Schritt weiter. Von Volksabstimmungen, ob national oder EU-weit, ist überhaupt keine Rede mehr. Die verfassungsgebende Versammlung selbst „wird die Befugnis haben, über eine künftige demokratische Verfassung zu entscheiden, die innerhalb eine Jahrzehnts die bestehenden europäischen Verträge ersetzen wird.“4)  Man/frau traut seinen Augen nicht. In einem von Strippenziehern im Hintergrund erstellten Manifest wird ein europaweiter Verfassungsputsch gefordert und als demokratische Erneuerung verkauft. Was, wenn sich da im Ergebnis dann doch einzelne europäische Nationen verweigern? Wie geht man dann gegen diese vor? Genügt dann noch eine Troika mit ihren Memoranden oder benötigt man dann doch schon härtere Mittel? Wir müssten alarmiert sein, wäre das gesamte Manifest und seine ProtagonistInnen nicht so lächerlich. Martin Höpner bringt es auf den Punkt, wenn er in einem facebook-Eintrag schreibt: „Was von DiEM25 bleiben wird … sind Forderungen nach Livestreams von Sitzungen des Rats und ähnlicher Unfug.“

DiEM25 eigentlicher Zweck: ein Begräbnis für Plan B 

Der eigentliche Zweck der Krawallveranstaltung in Berlin war, einer ernsthaften Initiative, die sich im Herbst 2015 rund um Oskar Lafontaine, Luc Melenchon, Stefano Fassina, u. a. herausgebildet hat, der so genannten „Plan B Initiative“ den Boden unter den Füssen zu entziehen. „Neben den südlichen Krisenländern durchlaufen auch Italien und Frankreich einen rasanten Prozess der Deindustrialisierung. …Wir müssen uns der Einsicht stellen, dass eine progressive Rettung des Euros keine Chance auf Verwirklichung hat…Aus diesem Grund müssen wir den Euro selbst zur Disposition stellen… Der Übergang in ein anpassungsfähiges Wechselkurssystem  würde die Wechselkurse von den erratischen Ausschlägen der Finanzmärkte schützen, seinen  Teilnehmern aber gleichzeitig die Möglichkeit von Auf- und Abwertungen eröffnen und eine auf die jeweiligen Problemlagen passende Geldpolitik erlauben.“5), heißt es im Aufruf vom Herbst 2015. Martin Höpner sieht vier Gründe, die für ein erneuertes Europäisches Währungssystem sprechen, wobei der Titel seines Beitrags gewisse Selbstzweifel offen anspricht.6)  Zum Ersten das EWS existiert bereits, findet aber zur Zeit nur im Verhältnis von Euro und dänischer Krone Anwendung. Zum Zweiten, die Wirkungen der Wechselkursanpassungen lassen sich, entgegen neoliberaler Märchenerzählungen überprüfen. Zum Dritten, setzt sich damit die Plan B – Initiative deutlich von neoliberaler Eurokritik ab, die einzig im freien Spiel der Marktkräfte auf den Finanzmärkten, das Heil sucht. Zum Vierten wäre es kein Zurück in die „nationale Wagenburg“.

Bei Drittens und Viertens geht es um entscheidende ideologische Fragen, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen. Skepsis ist auch bezüglich Erstens und Zweitens angebracht. So kommt Klaus Dräger, auch in Reflexion der Erfahrungen der ersten Regierung Mitterand im Frankreich der frühen 80er Jahre zum Resumee: „Insofern: ein erneuertes EWS propagieren – ja. Aber reale und absehbare weitere Krisenentwicklungen könnten auch dazu führen, dass vor allem von Linksbündnissen geführte EU-Länder daraus ausscheren müssten. Sofern sie ihr Programm umsetzen wollten, mit dem sie demokratische Wahlen gewannen.“7) Aber das weiß auch Martin Höpner, wenn er zum Schluss kommt: „Andererseits waren, sind und bleiben die europäischen Produktions- und Verteilungsregime samt ihrer Inflationsdynamiken zu heterogen, als dass diese Stabilisierung friktionslos und vor allem dauerhaft gelingen könnte.“8) Der Nutzen der Plan B-Initiative ist m E. ein politischer. Ein erneuertes EWS ist ein geeignetes Verhandlungsinstrument in den Händen entschlossener emanzipativer Kräfte. Die Betonung liegt hier auf dem Adjektiv „entschlossen“. Es bedeutet nichts weniger als die Bereitschaft, mit dem Euroregime zu brechen, auch wenn der Verhandlungsgegner nicht bereit ist, auf die Ausgestaltung eines EWS einzusteigen. Das berührt auch die Frage eines Austritts aus der EU. Natürlich ist die Frage berechtigt, wie so etwas durchgeführt werden soll. Weder die Einführung eines EWS noch der EU-Austritt können jedoch im Sinne eines Fahrplans autonom definiert werden. Sie können das Ergebnis härtester Konfrontation und Brüche, sowohl mit den Eliten im Innern als auch mit den äußeren hegemonialen Kräften, wie das Ergebnis eines Verhandlungskonsenses sein. 

Aus dieser Perspektive hätte Plan B, bzw. ein erneuertes EWS, bedeutend gewichtigere  Bedeutung für Frankreich, vor allem aber auch für eine österreichische EU-Austrittsbewegung, als für die südeuropäische Peripherie. Die Erosion französischer Hegemonie korreliert unmittelbar mit der Einbindung Österreichs bei der Entfaltung der deutschen Hegemonie in Europa. Griechenland, Portugal, ja selbst Spanien ist aus der deutschen Perspektive ein Nebenschauplatz. Das benennt die wesentlichste Schwäche der Plan B-Initiative: sie suggeriert, in Anlehnung an die Ideologeme der herrschenden Eliten, der Euro sei der Kern des europäischen Projekts. Die wesentlichste Auswirkung eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone für die Menschen in Griechenland wäre die Wahrnehmung der Tatsache, dass sie keine Deutschen sind. Punkt. Polen mit seinen 38 Mio EinwohnerInnen, Tschechien, Österreich mit seiner historischen Stellung in Mittel-, Ostereuropa ist von wesentlich zentralerer Bedeutung für die deutsche hegemoniale Entfaltung. Der wirkliche Grund für das Festhalten der südlichen Peripherie am Euro ist chauvinistischer Natur. Man will entgegen der wirtschaftlichen Fakten dazugehören zum Klub der Reichen und Schönen. Das ist verständlich schafft aber umgekehrt entwürdigende Abhängigkeiten. Dieser entwürdigenden europäischen Kastengesellschaft kann im Rahmen des Euroregimes nicht  begegnet werden.  Frederic Heine und Thomas Sablowski haben in einem Beitrag 2015 darauf aufmerksam gemacht.„Demnach ist der Anteil der Eurozone an den deutschen Exportzielen von 42,7% im Jahr 2008 auf nur noch 36,4%im Jahr 2014 gesunken. Die Krisenländer, auf die 2008 noch 12,9% der deutschen  Exporte entfielen, haben dabei als Markt am stärksten an Bedeutung verloren und absorbieren nur noch 9,5% aller deutschen Exporte.“9)

Umgekehrt ist in Bezug auf Mittel- u. Osteuropa die deutsche Importstatistik bemerkenswert: 2014 kommen 20,4% aller Importe Deutschlands aus den MOEL-Staaten, die jährliche Wachstumsrate beträgt 5%. Für Frankreich betragen die gleichen Zahlen 8,6% und 1%.9) Die Frage, ob sich diese Relationen durch die französische Rätätätä-Politik in Libyen, Syrien oder Nordafrika verändert hat, ist zynisch. „Der Unterschied ist, dass Deutschland die Importe aus den Krisenländern durch Importe aus anderen Ländern ersetzte,.. die peripheren europäischen Länder stärker unter einer neuen Konkurrenz im Segment der Produkte mittlerer technologischer Komplexität litten – namentlich aus China und Osteuropa – und ihre Anteile an diese verloren. Deutschland, in der Hierarchie des Weltmarkts am oberen Ende, konnte hingegen seine komplexen Produkte weiterhin sowohl in der Eurozone als auch global veräußern.“, resümieren Heine und Sablowski. 9) So berühren maues Wirtschaftswachstum und Eurokrise die deutsche Exportmaschine kaum. Die Wiener Zeitung berichtet am 9.2.2016 online: „Deutschlands Exporteure haben 2015 alle Rekorde gebrochen. Waren im Gesamtwert von Eur 1195,8 Mrd gingen ins Ausland… Die Bestmarke aus dem Vorjahr wurde nochmals um 6,4% übertroffen,…Die Handelsbilanz,…, schloss mit einem Rekordsaldo von 247,8 Mrd. Euro.“10) Österreich liegt im Schlepptau, trotz Leitls Gemosere vom abgesandelten Wirtschaftsstandort: „2015 war ein Rekordjahr für die heimische Exportwirtschaft. Der Außenhandelsüberschuss liegt bei 11 Milliarden Euro“ 11) Der Wert der Exporte der österreichischen Wirtschaft beträgt 2015 stolze 184 Mrd Eur. Das Wachstum wurde vor allem in den USA, Mexiko, Polen und Tschechien erzielt, während sie gegenüber Frankreich um 11% zurückgingen. 

Heine und Sablowski berühren in ihrem Beitrag eine Erkenntnis, deren Eingang in den Fundus angenommener Voraussetzungen im kritischen Diskurs vielfach suspendiert wurde: nämlich, „dass der Weltmarkt keineswegs eine homogene Entität ist, in der alle Unternehmen aller Länder auf gleicher Ebene miteinander konkurrieren. Der Weltmarkt ist auf vielfache Weise fraktioniert.“12) Dass der Weg der inneren Abwertung kein Weg aus der Krise für die südlichen Krisenländer ist, kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass „der Überschuss Deutschlands gegenüber den Krisenländern (…) sich auf nahezu null reduziert. (hat)…(Eine Folge) in erster Linie einer Kontraktion der Importnachfrage (die Frankreich viel härter getroffen hat, Anm. B.L.) 13) So kam es trotz der enormen Lohnsenkungen in Griechenland zu einer Verlagerung von Unternehmen aus Griechenland nach Bulgarien, einem Nichteuroland. Die Autoren kommen zum Schluss: „Es ist keineswegs notwendigerweise im aufgeklärten Eigeninteresse der Herrschenden in Deutschland, die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Nachfrage in den Staaten Südeuropas zu fördern. Im Gegenteil profitiert Deutschland zu einem gewissen Grade von der rezessiven Entwicklung der EU. Die Schwäche des Euro verhilft zu einem kleinen Wettbewerbsplus,… da aber Frankreich und die Krisenländer einen viel größeren Anteil ihres Handels mit der Eurozone abwickeln, bleibt Deutschland der Hauptnutznießer des niedrigen Euro-Außenwerts.“ 14) 

Das Gerede von der nationalen Wagenburg

All diese Überlegungen sprechen dennoch nicht dagegen, Plan B, bzw. ein erneuertes EWS als Verhandlungsoption in Stellung zu bringen. Sie sollen dazu anregen, ihn richtig in Stellung zu bringen. Das Argument, Plan B sei „kein Zurück in die nationale Wagenburg“ ist aus dieser Perspektive nicht nur überflüssig, sondern der Steigbügel für Varoufakis Scharlatanerie. Es kommt darauf an, das Gerede von der „nationalen Wagenburg“ als das zu enttarnen, was es ist: Kein Argument, sondern eine Erpressung.

Weder die Forderung nach Auflösung der Währungsunion noch die Forderung nach Austritt aus der EU haben irgendetwas mit der Sehnsucht nach einer nationalen Wagenburg zu tun. Die Wagenburg ist nichts anderes als die Drohung der hegemonialen Mächte, wie mit einem unbotmäßigen Staat umgegangen wird. Es ist die Drohung ihn zu isolieren, ihn abzuwürgen, die ihn gefügig machen soll. Ebenso ist das Gerede vom „Rückfall in den Nationalismus“ unsinnig. Man kann nicht zurückfallen in etwas, was gar nie verlassen wurde. Was auf den Bildern aus Athen nach dem Referendum vom 5. Juli 2015 ins Auge stach, waren doch die Unmengen an griechischen Fahnen, mit denen die Menschen ihren kollektiven Willen unterstrichen. Das im linksliberalen Eurodiskurs gepflegte Theorem von der Überwindung des Nationalismus durch die EU-Integration ist der Versuch einer eleganten Umschreibung der Tatsache, dass man die Bindung der eigenen Politik an die Interessen und Haltungen der Mehrheit der Menschen überwunden hat.

Das Europagedusel der linksliberalen Schickeria hat nichts zu tun mit einer Überwindung des Nationalismus, sondern ist die Hoffnung chauvinistische Grundhaltungen auf eine europäische Ebene heben zu können. Die aktuelle Flüchtlingskrise hat das unmittelbar sinnlich vor Augen geführt. Der Ruf nach „no border, no nation!“ hat einer Politik die Tür geöffnet, mit der das nationale Asylrecht ausgehebelt wird, um vice versa eine Festung Europa zu errichten. In dieser Frage kann es kein taktisches Wegducken geben. Freilich muss jegliche Form nationalistischen, ethnizistischen Chauvinismus im Geiste eines Internationalismus überwunden werden. Wenn wir aber darum kämpfen, dass die Arbeitenden, die Ausgestoßenen, die an den Rand gedrängten wieder zu Subjekten der Geschichte werden, kann dies nur ausgehend von den historisch gewordenen Nationalstaaten geschehen. Die antinationale Phrase ist der Versuch einer innerlich ausgehöhlten linken Ideologie, das Überleben als dienstbarer Geist der herrschenden Eliten zu sichern. Sie ist ein Angriff auf das Politische schlechthin in der irrigen Annahme, der Staat, die Politik sei den ökonomischen Verhältnissen aufgepoppt. Diese Auseinandersetzung muss in aller Entschiedenheit geführt werden, wenn wir um gesellschaftliche Emanzipation streiten wollen. Wenn wir damit nicht beginnen, werden wir noch viele DiEM25 erleben. Hans Rüdiger Minow hat es in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Aber auch der Austritt aus dem Euro ist keine Perspektive, wenn die sozialpolitischen und geostrategischen Fundamente dieselben bleiben. Überstaatliche Verschmelzungen in einem föderalen Bundesstaat EU bringen weder Frieden noch soziale Gerechtigkeit, solange das Grundübel, die Gesamtrationalisierung des Kontinents, unangetastet bleibt.“15)

Die Verteidigung der Mindestsicherung 

ImageKlaus Dräger stellt die Frage: „Glauben die auf der Pariser Plan B Konferenz versammelten Kräfte daran, es ließe sich eine europäische oder nationale Massenbewegung für ein ‚neues EWS’ erzeugen? Vermutlich nicht. Für Erwerbslose, Arme, ArbeitnehmerInnen und selbst die Mittelschichten sind Fragen nach einem anderen Währungsregime in Europa allein zu komplex und von ihrer Lebenswirklichkeit soweit entfernt, dass sie solche Alternativen bestenfalls in den Grundzügen (und eher auf einer sozialen Werteebene) nachvollziehen und bewerten würden.“ 16) In Österreich erleben wir zur Zeit heftige Angriffe auf die Mindestsicherung. Die Angriffe begannen bereits vor der aktuellen Flüchtlingskrise. Mit dieser ist es der extremen Rechten gelungen, den Angriffen auf die Mindestsicherung einen ethnizistischen Drall zu verleihen. Die herrschaftlichen Bemühungen um die Schaffung eines Niedriglohnsektors  wird von der extremen Rechten übernommen, indem sie gegen die Schwächsten gewendet wird. Es droht eine gesellschaftliche Spaltung. Die rechtsextreme Propaganda hat den Zusammenhang der Angriffe auf die Mindestsicherung mit der neoliberalen EU-Agenda fast vollständig überdeckt. Wenigen, die dagegen aktiv werden, ist  bewusst, dass es ihn überhaupt gibt, und allzu wenige tragen dazu bei, dass er bewusst wird. Austerität sei eine Veranstaltung in den Krisenländern der südlichen Peripherie und nicht im Zentrumsland Österreich.

Es erfordert taktisches Geschick diesen Zusammenhang zur Sprache zu bringen, ohne den Eindruck zu erzeugen, den Menschen werde etwas aufs Auge gedrückt. Franz Stephan Parteder ist recht zu geben, wenn er in einem Debattenbeitrag formuliert: „Wir müssen darum kämpfen, dass es den Herrschenden immer schlechter gelingt, ihren Zorn über die Verhältnsisse auf noch Ärmere abzulenken. Diese Auseinandersetzung können wir nur bei uns, in den Gemeinden, in den Betrieben, wir können sie nur vor Ort führen. Es geht darum, in Bewegungen aktiv zu sein und dort einen Lernprozess über die grundlegenden Widersprüche in unserer Gesellschaft einzuleiten. Jede positive Veränderung der Kräfteverhältnisse wird dabei auch auf die europäische Ebene wirken.“17) Die aktuelle Auseinandersetzung um die Mindestsicherung lässt in diesen Überlegungen jedoch eine große Leerstelle, eine klaffende Lücke, sichtbar werden. Wir können auf europäischen Konferenzen Plan A, B oder C entwerfen. Wir können in Betrieben und Gemeinden den Widerstand organisieren. Entschieden wird im österreichischen Fall in wesentlichen politischen Fragen nach wie vor in Wien. Wir brauchen ein nationales Projekt zum Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime.

Boris Lechthaler
(März 2016)

Quellen:

1) www.europa-neu-begruenden.de

2) Birgit Baumann „der Standard“,  9.2.2016

3) Martin Höpner (www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa?)

4) zitiert nach 3)

5) Europa braucht einen „Plan B“, gemeinsame Erklärung v. Herbst 2015, www.euroexit.at

6) Martin Höpner: Voran in ein erneuertes Europäisches Währungssystem – und alles wird gut?, www.flassbeck-economics, 3.2.2016

7) Klaus Dräger: „Krise der Weltwirtschaft, erneute Eurokrise: Ein Plan B für Europa?“

8) siehe 6)

9) Frederic Heine und Thomas Sablowski, Zerfällt die europäische Union? Prokla, Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 181, 45. Jg. 2015, Nr. 4, 563-591

10) Wiener Zeitung online, 9.2.1016

11) Wiener Zeitung online, 22.2.2016

12) siehe 9)

13) siehe 9)

14) siehe 9)

15) www.german-foreign-policy.com, 26.1.2016

16) siehe 7)

17) Franz Stephan Parteder, eh. Vors. Der KPÖ-Steiermark (12.2.2016), www.euroexit.at