ImageWeitgehend unbemerkt wurde im November 2013 bei der Beschlussfassung zum EU-Finanzrahmen 2014 – 2020 eine weitere Verschärfung des neoliberalen EU-Wirtschaftsregimes im Europäischen Parlament mit großer Mehrheit durchgewunken. Der etwas sperrige Name: „Makroökonomischen Konditionalität.“ Was verbirgt sich dahinter?


Die EU vergibt über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfond (KF), den Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) Mittel in der Höhe von rund 370 Milliarden Euro. Das sind in etwas ein Drittel der Gelder, die zuvor über die nationalen Mitgliedsbeiträge an die EU abgeführt worden sind. Ab dem Finanzrahmen 2014 – 2020 sollen dieser Gelder nun zum ersten Mal nur mehr unter bestimmten Bedingungen in Anspruch genommen werden können:

Reduktion um bis zu 100%

Erstens: Die EU-Länder, die Gelder aus diesen Töpfen beziehen, müssen sich mit der EU-Kommission in sog. „Partnerschaftsvereinbarungen“ zur Einhaltung bestimmter Bedingungen verpflichten. Welche Bedingungen die EU-Kommission im Auge hat, sind unschwer zu erraten. Immerhin kommen aus Brüssel laufend die entsprechenden „Empfehlungen“: Anhebung des Pensionsalters, Deckelung der Gesundheitsausgaben, Absenkung der Mindestlöhne, Aushöhlung von kollektiven Lohnsystemen, usw. Mit jährlichen Durchführungsberichten durchleuchtet die Kommission die „Fortschritte“ bei solchen Vereinbarungen. Spätestens im Jahr 2017 wird die Zielerreichung evaluiert. Fallen die Staaten bei der Zeugnisvergabe durch, müssen sie ihre Politik entsprechend den Vorgaben der Kommission abändern. Tun sie das nicht, kann die Kommission die Aussetzung der Auszahlung vorschlagen – um bis zu 100%. Die Kommission wird sich leicht durchsetzen können. Denn der Vorschlag gilt als angenommen, wenn der Rat nicht innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit dagegen stimmt. Das durch den Lissabon-Vertrag mit verdoppelten Stimmgewichten ausgestattete Deutschland braucht also nur wenige Verbündete, um Widerstand gegen die Kommissionsvorlagen abzublocken.

Zweitens: Derselbe Sanktionsmechanismus kann ergriffen werden, wenn die Mitgliedsstaaten nicht den „Empfehlungen“ der EU-Kommission nachkommen, die diese im Rahmen des sog. „Europäischen Semesters“ abgibt. Durch das sog. „EU-Twopack“ wird ab 2014 dieses „Europäische Semester“ de facto zu einer politischen Vorabkontrolle der Budgetpolitik ausgebaut. Von Jänner bis November kann die EU-Technokratie die Budgeterstellung jedes EU-Staates überwachen und beeinspruchen. Erst am Ende des Jahres bekommen die gewählten Parlamentarier den zurecht gestutzten Entwurf zu Gesicht. Sind diese dann nicht bereit, die „Empfehlungen“ der  EU-Kommission abzunicken, stehen dieser jetzt schon eine Reihe von Sanktionsmöglichkeiten zur Hand. Mit der „makroökonomischen Konditionalität“ erhält sie einen weiteren Giftpfeil, vor allem gegen Staaten, die in erheblichen Maß auf solche Kohäsionsmittel angewiesen sind.

Kontraproduktiv und krisenverschärfend

In der Zeitschrift der Arbeiterkammer „Arbeit und Wirtschaft“ verurteilen Elisabeth Beer und Silvia Hofbauer diese „makroökonomische Konditionalität“ mit überzeugenden Argumenten: „Eine Kürzung der Kohäsionsmittel als ‚Strafzahlung’ bei Nichteinhaltung von EU-Vorgaben oder Auflagen im makroökonomischen Bereich verschärft den durch die erzwungen Sparmaßnahmen verursachten Rückgang der wirtschaftlichen Leistung zusätzlich. Darüber hinaus erschwert oder verunmöglicht sie die gerade für Krisenländer notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Arbeitsmarktpolitik, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und steigender Armut entgegen zu wirken. Diese Konditionalitäten sind grundsätzlich kontraproduktiv, sie wirken prozyklisch, restriktiv und generell erschwerend, um aus der Krise herauszukommen. … Dieser Sanktionsmechanismus verstärkt die vorherrschende Politik, jene die Zeche zahlen zu lassen, die am wenigsten für die staatliche Verschuldung verantwortlich gemacht werden können, nämlich die breite Bevölkerung!“ (in: Arbeit & Wirtschaft, 9.1.2014) 

Europa geht anders?

Dem ist wenig hinzuzufügen, außer vielleicht die Frage, warum die sozialdemokratischen Abgeordneten diesem Unfug zugestimmt haben, darunter auch jene SP-Abgeordneten, die zu den Promotoren der Initiative „Europa geht anders!“ zählen. Diese Initiative warnt bekanntlich vor einem zukünftigen „Wettbewerbspakt“, der es der EU-Kommission ermöglichen könnte, den Staaten in der Wirtschaftspolitik die Bedingungen zu diktieren. Genau das aber geschieht jetzt schon mit den „makroökonomischen Konditionalitäten“ im Finanzrahmen 2014-2020. Wie glaubwürdig ist es, in Brüssel genau der Politik zuzustimmen, gegen die man im Rahmen von „Europa geht anders“ angeblich zu Felde zieht? Damit wiederholt sich dasselbe Trauerspiel wie im Frühjahr 2013, als die österreichischen SP- und Grün-Abgeordneten im EU-Parlament das EU-Twopack mitbeschlossen, das die Macht der neoliberalen EU-Technokratie stärkt und die nationalen Parlamente weiter entmündigt. In Österreich gaben sich dieselben rot-grünen Abgeordneten gleichzeitig als wackere Kämpfer für ein „soziales Europa“. Die Solidarwerkstatt hat die Träger der Kampagne „Europa geht anders“ in einem Offenen Brief auf diese unglaubwürdige Politik ihrer Proponenten aufmerksam gemacht.