Boris Lechthaler (Solidarwerkstatt) beleuchtet in einem Kommentar die phantastische Lügenwelt des politischen Establishments, die rund um den EU-Fiskalpakt besonders bizarre Blüten treibt. Dieser Kommentar kann auch auf Radio FRO nachgehört werden.

Gerhard Kohlmaier, der Leiter der Steuerinitiative im ÖGB , hat am 10. April 2012 einen offenen Brief an die Nationalratsabgeordneten mit der Forderung nach einer Volksabstimmung über den EU-Fiskalpakt übermittelt. Er hat darauf wenige Antworten erhalten.

Eine stammt von der SPÖ-Abgeordneten Magistra Gisela Wurm. Selten ist soviel Unsinn in so wenige Zeilen gegossen worden. Folgen wir zunächst dem Succus der Ausführungen der Frau Abgeordneten Wurm – Zitat: "Daher ist es auch undenkbar, dass ein Staatsvertrag die Grundprinzipien unserer Verfassung berührt und eine Volksabstimmung notwendig würde". Zitat Ende.

Zitat, wenige Zeilen später: "Außerdem erstreckt sich die Kontrollbefugnis des EuGH... lediglich auf die gesetzliche Verankerung der Schuldenbremse selbst und ob diese mit den Anforderungen des Vertrages übereinstimmt". Zitat Ende.

Betrifft das die verfassungsrechtlich garantierte Budgethoheit des Parlaments? Das war doch gerade noch undenkbar.

Folgen wir ein wenig dem Text des „Vertrag(es) über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“. Was ist es, dass da so gar nicht die Grundprinzipien unserer Verfassung berühren will?Image

Im Artikel 3 heißt es im Absatz 1 a):

Der gesamtstaatliche Haushalt einer Vertragspartei ist ausgeglichen oder weist einen Überschuss auf.

Unter 1b) wird spezifiziert:
Die Regel unter Buchstabe a gilt als eingehalten, wenn der jährliche strukturelle Saldo... dem Ziel ... , mit einer Untergrenze von einem strukturellen Defizit von 0,5% des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen, entspricht.

Wir verpflichten uns also – grob gerechnet –  9 Milliarden Euro pro Jahr einzusparen. Das entspricht ziemlich exakt dem, was 2016 mit dem eilig beschlossenen Belastungspaket erreicht werden soll.

In Artikel 4 heißt es zudem:
Geht das Verhältnis zwischen dem gesamtstaatlichen Schuldenstand einer Vertragspartei und dem Bruttoinlandsprodukt über den ... Referenzwert von 60% hinaus, so verringert diese Vertragspartei es  ... als Richtwert um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich.

Das wäre im Falle Österreichs bei einer Staatsschuldenquote von 72% 1,8 Milliarden jährlich zusätzlich. Auf die nächsten 20 Jahre. Berührt das das verfassungsrechtlich garantierte Budgetrecht des Parlaments?

Mia wean kan Richter brauchen!, ist es das, was uns Fr. Abg. Wurm mitteilen will?

Aber sie schreibt doch selbst – wir wiederholen: "Außerdem erstreckt sich die Kontrollbefugnis des EuGH... lediglich auf die gesetzliche Verankerung der Schuldenbremse selbst ... " - Zitat Ende. 

Wie heißt es im Vertrag  im Artikel 3, Absatz 2:
Die Regelungen nach Absatz 1 werden im einzelstaatlichen Recht der Vertragsparteien in Form von Bestimmungen, die verbindlicher und dauerhafter Art sind, vorzugsweise mit Verfassungsrang, ... , spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten dieses Vertrags wirksam. Wer befindet nunmehr, ob die Regelungen, in ausreichend verbindlicher und dauerhafter Art, im Originalton von Frau Merkel, bindend und ewig, vorzugsweise im Verfassungsrang sind?  Die Fr. Abg. Wurm, der Bundeskanzler? Mitnichten.

In Artikel 8 heißt es:
"... Gelangt die Europäische Kommission, ... zu dem Schluss, dass diese Vertragspartei  (Anm.:  der  Verankerung einer verfassungsrechtlichen Schuldenbremse!) nicht nachgekommen ist, wird der Gerichtshof der Europäischen Union von einer oder mehreren Vertragsparteien mit der Angelegenheit befasst werden...". In beiden Fällen ist das Urteil des Gerichtshofs für die Verfahrensbeteiligten verbindlich, und diese müssen innerhalb einer vom Gerichtshof festgelegten Frist die erforderlichen Maßnahmen treffen, um dem Urteil nachzukommen. Zitat Ende.

„Mia wean kan Richter brauchen?“ Klingt nicht so. Aber vielleicht wird uns der bloß am Ohrwaschl ziehen? Ja freilich, auch die Verpfändung des Ohrs der Fr. Abg. Maga Wurm wäre ein Eingriff in ihre verfassungsmäßig garantierte körperliche Unversehrtheit. Doch auch der Artikel 8 Absatz 2 des Fiskalpakts liest sich nicht schlecht: Zitat: "... Stellt der Gerichtshof fest, dass die betreffende Vertragspartei  seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er gegen diese Vertragspartei einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld verhängen, der/das den Umständen angemessen ist und nicht über 0,1% ihres Bruttoinlandsprodukts hinausgeht". Zitat Ende.

Das bedeutet für Österreich: 300 Mio EUR. Nicht einmal das, was die Republik für Parteien ausgibt, wird sich die Fr. Wurm denken. Und doch ist es noch lange nicht alles:

In Artikel 3, Absatz 1e
des Vertrages heißt es Zitat: "Erhebliche Abweichungen vom mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad lösen automatisch einen Korrekturmechanismus aus ...".Zitat Ende.

Ja und wer den Schaden hat, der hat auch den Spott: Zitat "Dieser Korrekturmechanismus wahrt uneingeschränkt die Vorrechte der nationalen Parlamente". Zitat Ende. Na dann.

Es ist vernünftig, gegenüber Menschen, die Selbstwert generieren, indem sie sich freiwillig unterwerfen, Vorbehalte zu haben. Mögen sie auch ihre nachvollziehbaren Gründe haben.

Fr. Abg. Wurm schreibt: "Um Europa aus der Krise zu führen bedarf es neben ausgewogener Sparmaßnahmen einer Stärkung der sozialen Dimension Europas sowie einer Wachstumsinitiative, strengerer Regulierung der Finanzmärkte und einer Koordinierung der Steuergesetzgebungen, um unfairen Wettbewerb mit Steuerdumping zu verhindern". Zitat – Wurm - Ende

Wo hat Sie denn das her? Das steht ja nirgends. Wasgenau prüfen die Abgeordneten? Was wird im Parlament „umfassend diskutiert“?

Ja freilich wird im Fiskalpakt von Wachstum gesprochen, z. B.: Zitat: "unter Hinweis auf die Billigung des Euro-Plus-Pakts ..., in dem die für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet wesentlichen Punkte ermittelt werden". Zitat Ende

Die in diesem „Euro-Plus-Pakt“ empfohlene Lohnzurückhaltung im öffentlichen Dienst, um die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft nicht zu gefährden, hat Fr. Abg. Wurm ja auch bereits ganz souverän vollzogen, in dem sie mit dem Belastungspaket der Regierung Faymann-Spindelegger dem Lohnraub an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst  zugestimmt hat.

Die Schlussfolgerung der Fr. Abg. Mag. Wurm, dass es undenkbar sei, dass ein Staatsvertrag die Grundprinzipien unserer Verfassung berühre, zeugt von Untertanenbewusstsein. Ihre  Begründung ist blanker Unsinn.  Staatsverträge, die die Verfassung berühren gab es immer und wird es auch weiterhin geben. Sie bedurften immer und werden immer der Zustimmung des Souveräns bedürfen.

Fast scheint es, als wollte Fr. Wurm, die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Staatsvertrages aus 1955 gleich mitentsorgen. Doch derart weitreichendes strategisches Kalkül muss wohl woanders verortet werden. Was mit der Novelle zum Artikel 50 BVG 2008, auf die sich Fr. Wurm bezieht, im Zuge der Ratifikation des sogenannten EU-Reformvertrages geändert wurde, war bloß die Abschaffung der Zweistufigkeit in Bezug auf die Ratifikation von EU-Verträgen. Und die Festlegung, dass diese mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu erfolgen habe.

Das Parlament hat das verfassungsmäßig garantierte Recht – und die Pflicht - über die Einnahmen und Ausgaben des Staates zu entscheiden. Es kann dieses Recht nicht einfach anderen – demokratisch nicht legitimierten  - Institutionen übertragen. Wenn der Nationalrat den EU-Fiskalpakt ratifiziert, ist dies illegal. Ob die mit einem derartigen Beschluss verbundenen Verpflichtungen rechtsverbindlich werden, hängt wesentlich davon ab, ob die anderen Vertragspartner davon ausgehen durften, dass der Beschluss rechtmäßig ist. Schon allein deshalb ist es notwendig Protest zu äußern und eine Volksabstimmung über den EU-Fiskalpakt zu fordern. Freilich, da ist nicht  bloß ein Hebel, sondern eine Brechstange eingebaut:

Artikel 14, Absatz 2 lautet

Zitat: "Dieser Vertrag tritt am 1. Januar 2013 in Kraft, sofern zwölf Vertragsparteien, deren Währung der Euro ist, ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt haben, ..." Zitat Ende.

Wenn wir dann nicht zu den zwölf Aposteln gehören? Ist es das, vor dem Abgeordnete wie die Fr. Wurm zittern? Werden wir dann der Hydra Finanzmärkte ausgeliefert? Der Fiskalpakt dient eben nicht der Reduzierung - Zitat "...der Abhängigkeit der EU-Mitgliedsstaaten von den Finanzmärkten ...", wie Fr. Wurm schreibt. Im Doppelpassspiel zwischen EU-Kommission und Finanzmärkten wird die Budgethoheit der Parlamente ausgehebelt.

Schon immer gehört es zu den bittersten Stunden aller um Emanzipation ringenden Menschen, zu erleben, wie die eigenen Eliten jene  menschliche Kreativität und Schaffenskraft, deren Erhalt und Entfaltung sie eigentlich schützen müssten, der Ausbeutung opfern. Nur um nicht selbst in ihre Mühlen zu geraten. Das österreichische Establishment ist gerade dabei zukünftige österreichische Wertschöpfung der Wettbewerbsfähigkeit der großen europäischen Industrie- und Finanzkonzerne in ihrem Kampf um globale Vorherrschaft zu verpfänden. Öffentliche Kassen, Tarifverträge werden dem Diktat der Exportindustrie untergeordnet.

Zitat:"Schließlich hängt in Österreich jeder vierte Arbeitsplatz am Export", wie Frau Abgeordnete Wurm ausführt. Hier finden wir den Katalysator für die zunehmende Aggressivität in unserer Gesellschaft.

Doch der Widerstand lebt. Auch in Österreich.

Im Gemeinderat von Alkoven wurde mit Zwei-Drittel-Mehrheit eine Resolution beschlossen, mit der eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt gefordert wird. Die Übertragung der Budgethoheit an  Brüssel wird die Gemeinden besonders treffen. Es geht nicht einfach um Zahlen. Es geht um KindergartenpädagogInnen, Pflegekräfte, KulturarbeiterInnnen, HandwerkerInnen im von Gemeindeinvestitionen abhängigen kleinen und mittleren Gewerbe.

Über den Fiskalpakt  wird voraussichtlich im Mai im österreichischen Parlament entschieden. Dorthin muss unser Protest gerichtet werden. Ein von Gemeinde- und BetriebsrätInnen gegründetes Personenkomitee organisiert für Freitag, 11. Mai eine Demonstration mit anschließender Menschenkette ums Parlament. Von Linz gibt es einen Bus um 15.00 h vom Hauptbahnhof.

Weitere Informationen sind auf www.solidarwerkstatt.at erhältlich.