Seit Jahrzehnten steigt die Arbeitslosigkeit in Wellen an. Parallel dazu werden seit den 90er Jahren durch Novellen zum Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) die Bedingungen für Arbeitslose laufend verschlechtert. Eine Chronologie.


AlVG-Novellen in den 90ern

Ausweitung des Zeitraums, für den Arbeitslosengeld (ALG) bzw. Notstandshilfe (NH) gesperrt werden können, von 4 auf 6 Wochen. Im Wiederholungsfall können ALG und NH sogar 8 Wochen gestrichen werden (z.B. bei Versäumung von Kontrollterminen, „Vereitelung“ einer Anstellung, usw.). Die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen, wie willkürlich diese Entscheidungen oft getroffen werden, die für die Betroffenen existenzbedrohend sind. Immer mehr Menschen sind von diesen Sperren betroffen (sh. Grafik). Dieser Anstieg ist keineswegs „nur“ auf die insgesamt steigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Von 1993 bis 2019 stieg die Zahl der Arbeitslosen um 40 Prozent, die Zahl der Bezugssperren aber um über 260 Prozent.
Ebenfalls ab Mitte der 90er Jahre wurde die Höhe des Arbeitslosengeldes schrittweise abgesenkt. Die Nettoersatzrate, die von der Höhe des letzten Gehalts berechnet wird, sank 1993 von 57,9 Prozent auf 57 Prozent, 1995 auf 56 Prozent und im Jahr 2000 auf 55 Prozent. Österreich liegt damit im unteren Drittel der OECD-Staaten.

AlVG-Novelle 2000

Abschaffung der Wertanpassung von ALG und NH. D.h. auch wenn jemand länger arbeitslos ist, werden ALG bzw. NH nicht mehr an die Inflation angepasst, verlieren also an Kaufkraft.
Weitere Ausweitung der Bezugssperren: Bis 2000 galt: Wer ein Arbeitsverhältnis „ohne triftige Gründe“ selbst kündigte, bekam vier Wochen lang kein Arbeitslosengeld. Diese „triftigen Gründe“ entfallen mit der AlVG-Novelle 2000. Zwar können noch „berücksichtigungswürdige Gründe“ vorgebracht werden, die Statistik zeigt aber, dass seit der AlVG-Novelle 2000 die Sperren nach Selbstkündigung deutlich in die Höhe gehen.

AlVG-Novelle 2004:

Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen: War vorher die Zumutbarkeit der Arbeit an einen „ortsüblichen Lohn“ gekoppelt, so gilt ab 2004 nur mehr der „zumutbare Lohn“. Der „ortsübliche Lohn“ kann auch Überzahlungen des Kollektivvertrages erfassen (eben sofern „ortsüblich“), der „zumutbare Lohn“ stellt nur mehr auf den Kollektivvertragslohn ab. Parallel zu dieser Änderung im AlVG gehen auch die Überzahlungen von KV-Löhnen rapid zurück.

Einschränkung des Berufsschutzes: Dieser galt früher für die gesamte Zeit des Arbeitslosengeldbezugs (also sechs Monate oder länger) und wurde mit der AlVG-Novelle 2004 auf nur mehr 100 Tage eingeschränkt. Für die Dauer von 120 Tagen gilt ein „Entgeltschutz“, d.h. das Entgelt darf nicht unter 80 Prozent des Letztbezuges absinken (bei Beschäftigung im Letztberuf auch darunter), danach senkt sich diese Grenze auf 75 Prozent für die restliche Dauer des ALG-Bezugs. Galt vor 2004 während des Notstandshilfebezugs zumindest noch die Vorgabe, dass „eine Rückkehr in den früheren Beruf nicht verhindert werden soll“, so wurde 2004 auch dieser letzte Rest des „Berufsschutzes“ während des Notstandshilfebezugs gestrichen.

AlVG-Novelle 2007 ff. und andere Verschärfungen

Billiglohnsektor ausgeweitet: Erweiterte Vermittlung von Arbeitslosen in „Sozialökonomische Betriebe“ bzw. „Gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt“ (mit der AlVG-Novelle 2007). Damit wird ein Billiglohnsektor geschaffen, in dem Menschen unter den Branchen-Kollektivverträgen entlohnt und oftmals völlig unter ihrer Qualifikation eingesetzt werden. Wer solche „Transitarbeitsplätze“ ablehnt, dem droht die Sperre des Arbeitslosengeldes. Mit der AlVG-Novelle 2007 sind nunmehr auch sog. „Arbeitserprobungen“ vorgesehen, die anstelle von bezahlten Probezeiten de facto vom AMS finanzierte Gratisarbeit darstellen, die bis zu acht Wochen dauern kann.

Ausdehnung der Wegzeiten: Schon vor der AlVG-Novelle galten Wegzeiten von einem Viertel der Tagesarbeitszeit als zumutbar (2 Stunden für einen 8-Stundentag, 1,5 Stunden ab 20 Wochenstunden). Mit dieser Novelle wurde über die Formulierung von „jedenfalls 1,5 Stunden Wegzeit, unabhängig vom Ausmaß der Teilzeit“, und „jedenfalls 2 Stunden bei Vollzeit“ de facto eine Wegzeitbeschränkung eliminiert.
Die erleichterte Anwartschaft für Jugendliche auf das Arbeitslosengeld (ein halbes Jahr Sozialversicherungszeiten statt einem Jahr) wird eingeschränkt: Die Altersgrenze sinkt von 25 auf 21 Jahre. Jugendliche über 21 müssen also doppelt so viele Beschäftigungsmonate für einen Arbeitslosengeldanspruch vorweisen, um Anspruch auf ALG zu erwerben.

Noch mehr Sperren: Weiters kann nach § 9 AlVG („Arbeitswilligkeit“) nun auch jenen der Bezug von Arbeitslosengeld gesperrt werden, die sich weigern, durch „einen vom Arbeitsmarktservice beauftragen, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen“. Also durch PRIVATE Personalvermittler direkt angebotene Stellen sollen bedrohbar werden, ohne dass vorher die „Zumutbarkeit“ der Stelle geprüft werden muss. Die Forcierung der Personalvermittler und Personalüberlasser durch das AMS führt dazu, reguläre Arbeitsverhältnisse zu untergraben.

Einschränkung Pensionsvorschuss: Während des gesamten Verfahrens um die Invaliditätspension gab es bis 2012 den Pensionsvorschuss. Dieser befreite, da ja noch nicht endgültig feststand, ob Arbeitsfähigkeit vorliegt oder nicht, von der Pflicht zur Arbeitswilligkeit und somit dem AMS zur Arbeitsvermittlung und für AMS-Zwangsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. Dieser Pensionsvorschuss wurde bis zum endgültigen Abschluss des Pensionsverfahrens gewährt, ab 1.1.2013 aber nur noch bis zum Vorliegen des ersten fachärztlichen Gutachtens (Gesundheitsstraße), maximal aber nur zwei (ab 2014 drei) Monate.

Anhebung der wöchentlichen Mindestarbeitszeit, die man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss, von bisher 16 auf 20 Stunden. Die 16 Stunden bleiben nur für jene aufrecht, die Betreuungspflichten für Kinder unter dem Volksschulalter haben. Laut neuem SP/VP-Arbeitsprogramm soll jedoch auch diese Ausnahmeregelung für Arbeitslose mit Betreuungspflichten beseitigt werden.
Verschlechterungen bei der Mindestsicherung (ab 2016). Das trifft auch viele Arbeitslose, weil ALG bzw. NH oft so niedrig sind, dass sie über die Mindestsicherung aufstocken müssen, um überleben zu können.

Und aktuell?

Einen Großangriff auf Arbeitslose sah das türkis-blaue Regierungsprogramm vor: Nach dem „Vorbild“ der deutschen Hartz IV-Regelung hätte die Notstandshilfe abgeschafft werden sollen. Mit Ibiza war das dann aber Geschichte. Doch unter türkis-grün mehren sich nun die Zeichen, dass die Situation für Arbeitslose verschärft werden soll: Wirtschaftskammer-Chef Mahrer ist bereits mit der Forderung vorgeprescht, ein „degressives“ Arbeitslosengeld sukzessive auf unter 40 Prozent des letzten Nettobezugs abzusenken. Arbeitsminister Kocher kündigte im Juli 2021 eine weitere Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose an. Zuletzt forderte AMS-Chef Johannes Kopf, Arbeitslosen die Möglichkeit zum geringfügigen Zuverdienst zu streichen.