ImageDie Verhandlungen über den Kollektivvertrag bzw die Kollektivverträge in der Metallbranche sind abgeschlossen. Die VerhandlerInnen der Gewerkschaft sind mit dem Ergebnis zufrieden und sprechen von einem „guten Ergebnis“. Die schlimmsten Niederlagen sind bekanntlich die, die man nicht erkennt. In dieser Situation befindet sich die Gewerkschaftsführung, wenn sie dieses KV-Ergebnis schönredet.

Zum einen sind 1,5% Lohnerhöhung nicht gerade berauschend. Das liegt zwar leicht über der Inflationsrate von 1,1%, doch die Inflationsrate wurde vor allem durch die stark gesunkenen Benzin- und Dieselpreise nach unten gedrückt. Rechnet man diese beiden Preise aus der Inflationsrate heraus, liegt die Inflation deutlich über zwei Prozent. Alleine die Wohnungskosten sind um 4% gestiegen. Noch dürftiger wird das Ergebnis, bedenkt man die Entwicklung seit dem Jahr 2000: Seit damals ist die Produktivität um 18%, die Löhne jedoch nur um 8% gestiegen.

Auch das Gejammere der Metallindustrie über die schlechte wirtschaftliche Lage kann durch die vorliegenden Zahlen nicht bestätigt werden. Zwar sind die Erträge zuletzt zurückgegangen, doch die Ausschüttungen an die Aktionäre sind nach wie vor enorm hoch.

Hier einige Zahlen:

 

Gewinnausschüttungen (in Mrd. Euro)

in Prozent der Gewinne

in Prozent der Löhne und Gehälter

in Prozent der Sachinvestitionen

2012

2,313

94,9%

62,0%

209,0%

2013

1,727

57,9%

43,1%

122,0%

2014

1,721

66,3%

38,5%

116,0%

                                           Quelle: Die wirtschaftliche Lage der Metallindustrie, AK, 2014

Zwei Drittel des Gewinns geht an die Aktionäre

2014 wurden über 1,7 Milliarden an Gewinnen an die Aktionäre bzw. Mutterkonzerne ausgeschüttet, das entspricht zwei Drittel (66%) der erzielten Gewinnes, ein deutlicher Anstieg gegenüber 2013 (57,9%), allerdings weniger als im Jahr 2012, wo rekordverdächtige 95% der Gewinne an die Eigentümer weitergereicht wurden. 38,5% der Lohn- und Gehaltssumme werden 2014 an die Aktionäre ausgeschüttet. Statt zu investieren, wird offensichtlich lieber abkassiert. 2012 wurde mehr als doppelt soviel an Gewinnen ausgeschüttet, als in Sachanlagen investiert. Und auch 2014 übertreffen die Gewinnausschüttungen im der Metallindustrie noch immer deutlich die Realinvestitionen. 

Bekanntlich gab es bereits am Beginn der Verhandlungen einen Eklat, als die Arbeitgebervertreter die Aufnahme von KV-Verhandlungen verweigerten, wenn nicht umgehend die gewerkschaftliche Forderung nach einer 6. Urlaubswoche für jene ArbeitnehmerInnen, die länger als 25 Jahre beschäftigt sind, vom Tisch genommen werde. Dabei ist diese Forderung nach einer 6. Urlaubswoche für alle ArbeitnehmerInnen, die 25 Jahre gearbeit haben, wohl mehr als gerechtfertigt, denn die bisherige Regelung, dass nur jene ArbeitnehmerInnen, die beim selben Unternehmen 25 Jahre beschäftigt sind, in den Genuss einer solchen 6. Urlaubswoche kommen, entspricht immer weniger der betrieblichen Realität. Der Anteil der Beschäftigten, die mehr als 25 Jahre beim selben Betrieb arbeiten, sinkt kontinuierlich und liegt bereits unter 10% alle Beschäftigten. Zu Recht bezeichneten die VerhandlerInnen der Gewerkschaft die Erpressung Arbeitgeber als Unverschämtheit. Doch den großen Worten sind nicht die angekündigten Kampfmaßnahmen, sondern ein Verhandlungsmarathon hinter verschlossenen Türen gefolgt, bei dem die Gewerkschaftsseite diese Forderung still und leise fallenließ.

6. Urlaubswoche würde nur 3% der Gewinnausschüttungen kosten

Was würde eigentlich eine solche 6. Urlaubswoche für die ArbeitnehmerInnen in der Metallindustrie, die länger als 25 Jahre arbeiten, kosten? Obwohl dieses Thema große mediale Aufmerksamkeit fand, wurden kaum Zahlen über die möglichen Kosten einer solchen Maßnahme kolportiert. Wir wollen daher anhand verfügbarer Daten eine Kostenprognose wagen. Die Arbeitgeber gehen davon aus, dass eine zusätzliche Urlaubswoche die Lohnkosten um rd. 4% erhöht. Bei der Zahl der ArbeitnehmerInnen, auf die das bisher zutrifft, muss auf die Gesamtzahl zurückgegriffen werden, also knappe 10%. Um wieviel sich die Anspruchsberechtigten erhöhen würden, wenn alle nach 25 Jahren Arbeit eine 6. Urlaubswoche erhalten, kann ebenfalls nur grob geschätzt werden. Rd. 40% der ArbeitnehmerInnen sind älter als 45 Jahre, nehmen wir also eine Vervierfachung der Anspruchsberechtigten als ungefähren Schätzwert auch für die Metallbranche. Bei dieser Ausgangslage würde eine zusätzliche 6. Urlaubswoche für alle länger als 25 Jahre arbeitenden ArbeitnehmerInnen zusätzliche Kosten von rd. 50 bis 60 Millionen Euro verursachen. Das sind gut 3% der Gewinnausschüttungen im Jahr 2014! Und das soll nicht finanzierbar sein?

Angesichts dieser Zahlen ist es völlig unverständlich, dass die Gewerkschaft in dieser Frage einen derartigen Rückzieher gemacht hat und vor der frechen Erpressung der Gegenseite eingeknickt ist. Eine Reduzierung der Arbeitszeit wäre sowohl eine sinnvolle Maßnahme gegen die horrende Arbeitslosigkeit als auch zur Senkung der Kosten, die durch Burnout und frühzeitige Gesundheitsbeeinträchtigungen entstehen. Denn der zunehmende Druck in der Arbeitswelt macht immer mehr Menschen krank. Laut einer Studie der Statistik Austria klagen eine Millionen Menschen in Österreich über eine durch die Arbeit verursachte Gesundheitseinschränkung (sh. auch hier ).

Massive Lohneinbußen drohen

Die dürftige Lohnerhöhung und der Umfaller bei der 6. Urlaubswoche sind bitter, entsetzlich ist der Dammbruch, dem die GewerkschaftsverhandlerInnen bei der Abschaffung der Überstundenzuschläge zugestimmt haben. Schon bisher war die Arbeitszeit hochgradig flexibel, mit Durchrechnungszeiträumen bis zu einem Jahr. Allerdings musste ab der 40. bis zur 45.Wochenarbeitsstunde ein Überstundenzuschlag von 25%  bezahlt werden. Mit dem neuen Kollektivvertrag wird nun die Tür für den weitgehenden Entfall dieser Überstundenzuschläge sperrangelweit geöffnet. Konkret: Die ersten 60 Überstunden im Jahr sollen zuschlagsfrei werden, von der 61. bis zur 100. Stunde gibt es einen Zuschlag von 10%, darüber hinaus bis zur 167. Stunden von 20%. Das hängt zwar noch an der Zustimmung des Betriebsrates, aber klarerweise sind die Kräfteverhältnisse auf betrieblicher Ebene ungleich schlechter für die ArbeitnehmerInnen als auf kollektivvertraglicher Ebene. Dass im Gegenzug der 31. Dezember, bisher zur Hälfte arbeitsfrei, nun ganz arbeitsfrei wird, kann die Arbeitgeberseite da locker wegstecken. Die Industriellen jubeln. Arbeitgeber-Chefverhandler Knill: „Erstmals ist dadurch innerhalb eines gewissen Rahmens eine 45-Stunden-Woche ohne Zeitzuschlag möglich.“ (FMMI-Presseaussendung, 28.10.2015). Für viele ArbeitnehmerInnen wird das zu kräftigen Lohneinbußen führen. Laut Auskunft von BetriebsrätInnen würden in einem Betrieb mit 9-Stunden Schichtproduktion etwa 7% Lohn verloren gehen. In einem 24-h Montagebetrieb sind es 30% (1). Auch die gesellschaftliche Signalwirkung ist fatal: Anstatt in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit Überstunden abzubauen, werden diese weiter gefördert.

Die Wahrheit ist auch den Gewerkschaftsoberen zumutbar

Die exportorientierte Metall- und Maschinenindustrie zählt in Österreich zu den aggressivsten Kapitalkräften. Vor kurzem haben sich diese Kreise mit der Forderung nach Regierungsbeteiligung der FPÖ in Oberösterreich durchgesetzt. Bereits im Jahr 2012 gelangt es der Arbeitgeberseite im Metallbereich, die KV-Verhandlungen in fünf Teilbereiche aufzusplittern. Das entspricht der politischen Linie der EU-Kommission, die 2012 in einem Papier die Aushebelung von Kollektivverträgen und die „Schwächung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“ (2) offen als Ziel proklamiert hat. In Ländern wie Spanien, wo sich durch die direkte Intervention der EU-Kommission und der EZB die Anzahl der gültigen Tarifverträge innerhalb von zwei Jahren halbiert hat, frohlocken konservative Minister bereits, dass „die Gewerkschaften fallen werden wie die Berliner Mauer.“ EU-Verträgen, Richtlinien und Verordnungen zementieren dieses neoliberale, gewerkschaftsfeindliche Konkurrenzregime ein. Die ÖGB-Spitzenfunktionäre haben diese neoliberalen EU-Verträge – zumeist als SPÖ-Mandatare im Nationalrat – mitgetragen und mitbeschlossen, und damit kräftig am Ast gesägt, auf dem sie bzw. die große Mehrheit der Menschen in diesem Land sitzen.

Die ArbeitnehmerInnen, wir alle brauchen starke, kämpferische Gewerkschaften, um der Zerstörung von Sozialstaat und Kollektivverträgen wirksam entgegentreten zu können. Was wir dagegen ganz und gar nicht brauchen sind: Das Schönreden von miserablen  Verhandlungsergebnissen, das weltfremde Beschwören der Sozialpartnerschaft gegenüber einer zunehmend aggressiveren Kapitalseite, und  – nicht zuletzt - die Tabuisierung des Ausstiegs aus diesem neoliberalen EU-Korsett, das die Konzerne immer stärker und unverschämter macht. Die Wahrheit ist auch den Gewerkschaftsoberen zumutbar. Und dazu gehört, was ein der Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie tief verbundener Wirtschaftswissenschaftler bereits vor vielen Jahren dem ÖGB ins Stammbuch geschrieben hat. Erwin Weissel, SPÖ-Mitglied (bis zum EU-Beitritt)und die längste Zeit seines beruflichen Lebens in der Wiener Arbeiterkammer beschäftigt: „Die EU ist ein Vehikel des Neoliberalismus.“ (3)

Gerald Oberansmayr
(8.11.2015)

Anmerkungen:
(1) Der Funke, 3.11.2015
(2) Europäische Kommission (2012): Labour Market Developments in Europe 2012, European Economy Nr. 5/2012
(3) Konferenz „Nein zum Europa der Konzerne und Generäle, Linz, 1.6.2001