ImageWas bedeutet Liberalisierung konkret - hier einige Beispiele: Eisenbahn, Post, Telekom, Finanzmarkt, Energie.

Eisenbahnliberalisierung: Rosinenpicken und Streckenstilllegungen

ImageDurch die EU-Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs wird in Österreich das kooperative Eisenbahnwesen zerstört. Denn Private haben kein Interesse an einem durchgetakteten flächendeckenden Verkehr, sie wollen nur die Rosinen aus dem Kuchen, sprich die profitablen Hauptstrecken zu Zeiten der Spitzenauslastung. Konnten früher nicht profitable regionale Strecken durch gewinnbringende Strecken mitfinanziert werden, so wird nun alles dem betriebswirtschaftlichen Gewinnkalkül unterworfen. Auf der Strecke bleiben dabei immer mehr Regionalbahnen. Seit dem EU-Beitritt ist das österreichische Schienennetz um fast 15% geschrumpft, während gleichzeitig das Autobahn- und Schnellstraßennetz um 15% anwuchs. Die ÖBB-Rail-Cargo hat 10% der Güterverladestellen zugesperrt. In Zeiten des drohenden Klimakollapses eine fatale Entwicklung.

Post AG: Dividenden rauf,
Mitarbeiter und Postfilialen runter


ImageSeit der Liberalisierung des EU-Postmarktes blieb auch bei der Post kein Stein auf dem anderen. Die Zahlen (sh. Grafik) sprechen für sich: Dividenden und Vorstandsbezüge rauf, MitarbeiterInnen und Postfilialen runter.

Ähnlich wie bei die Telekom (sh. unten) wurde die Post für Spitzendividenden regelrecht ausgeplündert. In vielen Jahren wurde der gesamte Gewinn, in einigen Jahren sogar deutlich mehr als der Gewinn an die Aktionäre ausgeschüttet, während sich gleichzeitig die Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert haben, die Löhne der NeueinsteigerInnen um 30% gesenkt und rd. drei Viertel aller Postämter geschlossen wurden. Der Vorsitzende der Postgewerkschaft Helmut Köstlinger fasste zusammen: „Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind verheerend. Arbeitsplatz-Abbau, Lohndumping und atypische Beschäftigungsverhältnisse sind Auswirkungen der Liberalisierung. Fakt ist, dass der Druck auf die Beschäftigten ganz massiv gestiegen und das Lohnniveau gesunken ist. Heute muss in Österreich ein Briefzusteller doppelt so große Rayone bedienen wie vor der Liberalisierung - bis zu einer Tonne täglich. Im Filialnetz kam es zu einer massiven Schließungswelle bei den Postämtern. Hatten wir vor der Liberalisierung noch über 2000 eigenbetriebene Postfilialen, so stehen wir heute bei lediglich 520. “

Finanzmarktliberalisierung: Desaster für die SteuerzahlerInnen

ImageDas Hypo-Debakel füllte jahrelang die Medien, kaum berichtet wurde jedoch, warum just ab Mitte der 90er Jahre ei derartiger Expansionsrausch in der österreichischen Bankenlandschaft einsetzte. Österreich hatte lange Zeit eine sehr strenge Regulierung des Kapitalverkehrs. Diese Regelungen wurden im Zuge der Vorbereitung bzw. der Umsetzung des EU-Beitritts über Bord geworfen. Dazu der Politikwissenschafter Christian Schoder: „In Österreich wurde der Kapitalmarkt relativ spät liberalisiert. Um die österreichische Gesetzeslage in Übereinstimmung mit den Vorgaben der europäischen Integration zu bringen, wurden in den 1980er Jahren Finanzinvestitionen von AusländerInnen im Inland sowie von InländerInnen im Ausland erleichtert. In den frühen 1990er Jahren fielen die letzten Kapitalverkehrskontrollen. 1992 wurde die öffentliche Kontrolle der Auflage von Anleihen aufgehoben. Weiters beseitigte eine Steuerreform 1994 die Börsenumsatzsteuer. Mit dem Bankwesengesetz 1994 wurden ausländischen Finanzinstituten grenzüberschreitende Geschäfte sowie die Errichtung von Filialen in Österreich erlaubt. Durch die Maßnahmen im Rahmen der Kapitalmarktoffensive 2000 wurde der Finanzmarkt Österreichs weiter liberalisiert und die Wiener Börse gestärkt: Die Finanzierung über Ausgabe von Aktien und der Handel mit Wertpapieren wurden durch steuerliche Anreize angeregt. Wertpapierhandel außerhalb von Börsen (over the counter ) wurde offiziell zugelassen.“
„Sterben oder Expandieren“ nannte der frühere Hypo-Chef Wolfgang Kulterer die Devise der Hypo-Alpe-Adria unter den Bedingungen des durch den EU-Beitritt liberalisierten Finanzmärkte. Die „Sterben oder Expandieren“-Strategie im „entfesselten“ Finanzmarkt mündet letztlich in beidem: Zuerst Expandieren, dann Sterben bzw. von Größeren geschluckt werden. Dafür stehen Bank Austria, die BAWAG und – mit enormen Kollateralschaden für die öffentlichen Finanzen – die Bankpleiten der vergangenen Jahre. Seit 2009 haben die Hypo Alpe Adria, Kommunalkredit und Volksbanken AG dem Staat 11,4 Milliarden Euro gekostet. (sh. Grafik oben) Allein die Hypo Alpe Adria verursachte Kosten von rd. 8 Milliarden Euro, das gesamte Risiko, das vom Bund übernommen wurde, liegt bei 19 Milliarden Euro.

Telekom Austria: „Ausgeräumt wie eine Weihnachtsgans“

Image„Die Telekom wird ausgeräumt wie eine Weihnachtsgans“, klagten bereits 2003 in den ersten Jahren nach der Teilprivatisierung die Betriebsräte bei der Telekom-Austria. Sie ahnten damals noch nicht, was in den folgenden Jahren noch kommen würde. Denn diese Entwicklung hat sich in den Jahren 2004 bis 2011 in einem beispiellosen Ausmaß beschleunigt (sh. Grafik). Die nackten Zahlen: In diesen acht Jahren wurde in Summe ein Gewinn in der Höhe von 1.679 Millionen Euro erwirtschaftet, zugleich wurden in diesem Zeitraum 1.952 Millionen an Dividenden an die Aktionäre der Telekom ausgeschüttet. Einen Raubzug ohnegleichen an der Substanz des Unternehmens stellen vor allem die Jahre 2008 bis 2011 dar. In diesen vier Jahren machte die Telekom in Summe einen Verlust von 11,5 Millionen Euro, zugleich wurden in diesem vier Jahren – bitte festhalten! – 1.166 Millionen an die Aktionäre ausgeschüttet!

Zum Nachrechnen: Das mehr als 100-fache dessen, was an VERLUST gemacht wurde, ist zugleich an GEWINNAUSSCHÜTTUNG an die Aktionäre weitergereicht worden! Die Zeche für diese Abzocke zahlten die Beschäftigten. Im Zuge der Telekom-Privatisierung wurden in Österreich rd. 10.000 Arbeitsplätze abgebaut. Mittlerweile wird die Telekom vom mexikanischen Milliardär Carlos Slim beherrscht, der 60% der Telekom-Anteile hält.

Energieliberalisierung: Haushalte zahlen für die Großindustrie

Infolge von EU-Richtlinien kam es zwischen 1996 und 2003 zur völligen Liberalisierung des Strommarktes. Wirklich davon profitiert haben nur die Großkunden aus der Industrie, deren Preisersparnis durch die Liberalisierung in einer Wifo-Studie auf bis zu 56% geschätzt wird. Insgesamt erspart sich die Industrie laut E-Control durch die Liberalisierung rd. eine Milliarde Euro im Jahr. Die Zechen zahlen einerseits die Beschäftigten: Die Stromliberalisierung hat 5.000 Jobs in dieser Branche vernichtet. Und andererseits die rd. fünf Millionen Haushalte, deren Preise zum Teil kräftig gestiegen sind. Z.B. in Wien: Strompreissteigerung plus 8,6 % (2013), plus 4,5% (2014), plus 4,1% (2015). Selbst der E-Control stößt sauer auf, dass etwa im Jahr 2013 „Gewinnmargen bis zu 30%“ vor allem auf Kosten der KleinkundInnen erwirtschaftet wurden.

Einstieg von Atomkonzernen: Die Liberalisierung hat zum Einstieg von Atomkonzernen bei  österreichischen Energieversorgern geführt. Die deutschen Atomkonzerne EnBW bei der niederösterreichischen EVN und RWE bei der Kärntner KELAG, der französische Atomkonzern EDF bei der Energie Steiermark (der jetzt seine Anteile an eine australische Investmentfondsgesellschaft weiterverkauft). Der deutsche Atomkonzern E.ON kooperiert eng mit der Tiroler TIWAG.
Vernachlässigung der Investitionen: Liberalisierung heißt auch, dass die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Aktionäre wollen rasches Geld sehen. Ihnen ist die nächste Quartalsbilanz wichtiger als die langfristige Versorgungssicherheit. Damit steigt die Gefahr von Stromausfällen und Netzzusammenbrüchen. Statt Gewinne vorausschauende in Ausbau, Instandhaltung und Wartung der Infrastruktur zu investieren, werden üppige Dividenden ausgeschüttet. Eine AK-Untersuchung zeigt, dass zwischen 2013 und 2015 die Umsätze (-11,5%) und Gewinne (-23,2%) der zehn größten österreichischen Energieunternehmen deutlich zurückgegangen sind. Mit Ausnahme eines Unternehmens (Verbund), sind jedoch die Dividendenausschüttungen unverändert hoch geblieben, bei drei Unternehmen sogar deutlich angehoben worden. Die Regulierungsbehörde E-Control schätzt die notwendigen Investitionen im Zeitraum 2013 bis 2020 auf 8,7 Mrd. Euro ein. Die von den Energieunternehmen tatsächlich geplanten Investitionen liegen um mehr als ein Drittel darunter. Die Investitionstätigkeit der österreichischen Energieunternehmen liegt heute im Durchschnitt um rd. 30% unter dem Niveau der Zeit vor der Liberalisierung.


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