ImageKönnen Sie sich noch an den Lieblingsspruch der Neoliberalen erinnern: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Nach Jahren neoliberaler Wirtschaftspolitik und EU-Binnenmarktprogramm zeigt sich der Bankrott dieser Ideologie: Die Umverteilung von Arbeit zu Kapital hat zur Aushungerung der Kaufkraft und damit zum Rückgang der Investitionen und zu rapid steigender Arbeitslosigkeit geführt. Daher: Wann wenn nicht jetzt – Löhne rauf und zwar kräftig! Weil es gerecht – und wirtschaftlich vernünftig ist.

Die Lohnquote – also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen – geht bereits seit den 80er Jahren zurück. Seit dem EU-Beitritt hat sich diese Entwicklung dramatisch verschärft. Neuere Daten des WIFO bestätigen die Recherchen der Werkstatt Frieden & Solidarität (sh. Guernica 2/2008). So sind seit 1994 die Nettorealeinkommen pro Arbeitnehmer um 1,4% gesunken, während das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im selben Zeitraum um 21,5% gestiegen ist. D.h.:  Seit dem EU-Beitritt und der damit verbundenen Unterordnung unter das EU-Binnenmarktprogramm und die Sparzwänge der Wirtschafts- und Währungsunion klafft die Schere zwischen Gewinn- und Lohneinkommen immer weiter auseinander.

Investitionsquote sinkt. Dass die Kluft zwischen Gewinnen und Löhnen, zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, wird auch von hartgesottenen Neoliberalen nicht bestritten. Aber sie rechtfertigen diese Umverteilung als Anreiz, um Investitionen anzukurbeln und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eine Analyse der ökonomischen Entwicklung der letzten 25 Jahre belegt das Gegenteil: Diese wachsende soziale Ungleichheit ist nicht nur ungerecht, sie ist auch wirtschaftspolitisch verkehrt. Die (unbereinigte) Lohnquote ist seit 1980 von 75% auf 64,4% gesunken. Die um die Verschiebung der Sozialstruktur bereinigte Lohnquote ging noch deutlicher zurück. Der sinkenden Massenkaufkraft folgen sinkende Investitionen. So ging zwischen 1981 und 2007 die Investitionsquote (Anteil der Bruttoinvestitionen am BIP) von 25,5% auf 21,2% zurück (sh. Grafik 1). Zum Vergleich: Hätten wir heute noch jene Investitionsquote von Anfang der 80er Jahre – also den von  keynesianischer Wirtschaftspolitik geprägten späten Kreisky-Jahren -, würden über 11 Milliarden Euro mehr an Investitionen getätigt.

Arbeitslosenquote steigt. Es verwundert daher auch nicht, dass sich seit Anfang der 80er Jahre – parallel zur wachsenden Ungleichverteilung -  die Arbeitslosenquote von 1,8% auf 6,8% fast vervierfachte (sh. Grafik 2). Dabei ist die derzeitige offizielle Arbeitslosenquote hochgradig geschönt. So geht z.B. die Arbeiterkammer davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen um bis zu 50% höher ist als in den Arbeitsmarktstatistiken angegeben, wenn SchulungsteilnehmerInnen, PensionsvorschussbezieherInnen, Lehrstellensuchende, Menschen mit ALG-Bezugssperre, usw. eingerechnet würden. Mit den sinkenden Löhnen sinkt auch das Arbeitslosengeld. Dessen durchschnittliche Höhe ist seit dem Jahr 2000 real um 4% zurückgegangen und betrug im März 2008 nur mehr EUR 771,80 – weniger als die festgelegte Armutsgrenze (Quelle: AK NÖ).

Exportorientierte Großindustrie gewinnt. Die Lohnstückkosten – also die Lohnkosten je erbrachter Leistung – sind die für die Kalkulation der Unternehmen entscheidende Bestimmungsgröße. Hier sind alle Lohnbestandteile (auch die sog. Lohnnebenkosten) einberechnet und in Bezug zur dadurch erbrachten Leistung gesetzt. Die Lohnstückkosten sind in Österreich seit 1994 um über 15% zurückgegangen. Das straft das ewige Gezeter der Kapitalsseite von den „hohen Lohnnebenkosten“ Lügen. Davon profitiert in erster Linie die exportorientierte Großindustrie, für die die sinkenden Arbeitskosten den Kampf um die Exportmärkte erleichtern, ohne dass sie von der Kehrseite der Medaille – der schwächelnden Kaufkraft - sonderlich getroffen wird. Freilich hindert das die Konzerne trotzdem nicht, am „Standort Österreich“ zu deinvestieren und – siehe Semperit oder Glanzstoff – weiter östlich zu ziehen, wo Löhne von einem Zehntel der österreichischen oder noch weniger locken. Im Zeitraum 2000 bis 2005 stieg das BIP um 7,5%, der Konsum hinkte mit 5,8% bereits deutlich hinterher, die Investitionen gingen sogar absolut um 1,1% zurück. Nur die Exporte entwickelten sich mit einem Plus von 33% geradezu explosionsartig. VerliererInnen dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik sind daher nicht nur die ArbeitnehmerInnen, sondern auch die Großzahl der Klein- und Mittelbetriebe, deren Ertragslage an der Massenkaufkraft hängt. Die sinkende Lohnquote schwächt daher längerfristig kleinere Unternehmen zu Gunsten der großen Industrie- und Bankkonzerne. So sind die gesamten Betriebsüberschüsse und Selbständigeneinkommen von 2000 bis 2006 nominell um 31% gestiegen. Das ist fast das Doppelte des nominellen Wachstums der Löhne und Gehälter in diesem Zeitraum (plus 17%). Doch es sind immer noch Peanuts im Vergleich zu den Gewinnen der 30 größten börsenotierten ATX-Unternehmen, die von 2002 bis 2006 ihre Gewinne um fabelhafte 380% steigern konnten, also um mehr als das 10-fache der durchschnittlichen Gewinnsteigerung.

„Alles ist möglich.“ Das immer weitere Zurückfallen der Löhne und Gehälter offenbart auch eine Bankrotterklärung der Politik der ÖGB-Führung. Während der Anteil der ArbeitnehmerInnen-Einkommen „historische Tiefstwerte“ (Bericht EU-Kommission) erreicht, unterschrieb der damalige ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch im November 2004 einen Zwischenbericht zur sog. EU-Lissabon-Strategie, in der die ArbeitnehmerInnen zur „Zurückhaltung bei den Lohnforderungen“ aufgerufen wurden (1). Präsident Hundsdorfer setzt die Linie seines Vorgängers fort. Statt für Arbeitszeitverkürzung und höhere Löhne zu kämpfen, mauschelte die ÖGB-Spitze im Vorjahr mit der Wirtschaftskammer ein Arbeitszeitgesetz aus, das eine 60-Stunden-Woche während der Hälfte des Jahres ermöglicht und den Unternehmen Überstundenzuschläge sparen hilft. Für die Herbstlohnrunde hat Hundsdorfer zwar einen stärkeren Lohnanstieg gefordert, doch die Faust dürfte nur in der Hose geballt sein. Industriellen-Chef Veit Sorger ließ öffentlich verlautbaren, dass er statt „überdimensionierter Lohnerhöhungen“ Einmalzahlungen favorisiere, die nicht auf zukünftige Lohnrunden angerechnet werden. Außerdem will Sorger Lohnabschlüsse entsprechend der Ertragslage der Unternehmen aufspalten, um eine solidarische Lohnpolitik zu unterlaufen. Statt diese unverschämten Attacken des Industriellenchefs entschieden zurückzuweisen, antwortete Hundsdorfer kuschelweich: „Alles ist möglich.“ (Wirtschaftsblatt, 28.08.2008)

Gerecht und vernünftig. ÖGB-Präsident Hundsdorfer lässt keine Gelegenheit aus, die „Sozialpartnerschaft“ mit der Kapitalseite zu beschwören. Vielleicht kommt deshalb Wirtschaftskammerboss Leitl nicht mehr aus dem Grinsen heraus. Denn genau diese „Sozialpartnerschaft“ hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der Anteil der ArbeitnehmerInnen am Kuchen rapid kleiner geworden ist. Seit dem EU-Beitritt sind die Reallöhne pro Arbeitnehmer um über 1% gesunken, während das reale BIP pro Kopf um fast 25% gestiegen ist. Gleichzeitig hat die Arbeitslosenquote zu- und die Investitionsquote abgenommen. Diese Entwicklung muss endlich wieder umgekehrt werden. Ohne gewerkschaftliche Kämpfe, ohne Bruch mit der Sozialpartnerschaft wird das nicht gehen. Daher: Wann wenn nicht jetzt – Löhne rauf und zwar kräftig! Weil es gerecht – und wirtschaftlich vernünftig ist.

Anmerkungen
(1) Die Herausforderung annehmen – Die EU-Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok, 2004, S. 36

Der ausführliche Artikel mit den entsprechenden Grafiken und Tabellen findet sich in der guernica 4/2008. Ein Probeexemplar schicken wir gerne kostenlos zu. Mailto: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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