Die Auseinandersetzung um den Kollektivvertrag im Bereich der Sozialwirtschaft Österreich spitzt sich zu. Nach einer beeindruckenden Demonstration mit rd. 3.000 TeilnehmerInnen am 24. Jänner in Wien und dezentralen Kundgebungen am 31. Jänner stehen die Zeichen auf Arbeitskampf. Das Angebot der Arbeitgeber, die Löhne um 2,25% zu erhöhen, ist aus mehreren Gründen völlig unzureichend:

  • Dieses Angebot entspricht gerade einmal der aktuellen Inflationsrate (VPI=Verbrauchpreisindex), verweigert den in der Sozialwirtschaft Beschäftigten also jede Teilhabe an der steigenden Produktivität der Gesamtwirtschaft.
  • Und selbst diese VPI-Inflation ist für DurchschnittsverdienerInnen irreführend, da sich in diesem Warenkorb Luxus- und Alltagskonsum gleichermaßen finden. Viel zutreffender für ArbeitnehmerInnen ist die Preissteigerung im „Mikrowarenkorb“, also den Gütern des alltäglichen Verbrauchs. Dieser ist im Dezember 2017 auf 5,7% geklettert, also dem deutlich mehr als Doppelten des Arbeitgeber-Angebots (sh. Grafik). Ein/e Durchschnittsverdiener/in hat nichts davon, wenn die Fernflüge billiger werden, wenn gleichzeitig die Mieten, Betriebskosten und Nahrungsmittelpreise davongaloppieren.
  • Und selbst zu diesen DurchschnittsverdienerInnen zählen die Beschäftigten im Sozialbereich nicht. Ihr Löhne und Gehälter liegen um 19% unter dem österreichischen Durchschnittseinkommen.
    mikrowarenkorb 2017
Reale Lebenshaltungskosten laufen den Löhnen davon

Um dieser Entwicklung gegenzusteuern fordern die Gewerkschaften GPA und vida deutliche Reallohnerhöhung und eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, um der wachsenden Arbeitsbelastung entgegenzuwirken. Ein Drittel der in diesem Bereich Arbeitenden sind bereits burnout-gefährdet. Die Mobilisierung auf der Straße und die Bereitschaft zum Arbeitskampf sind unerlässlich, denn die Arbeitgeberseite macht – offensichtlich angespornt durch das neue VP/FP-Regierungsprogramm –Druck in Richtung der weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen: Anhebung der Höchstarbeitszeit, Verlängerung der Durchrechnungszeiträume, Verkürzung der Arbeitsruhe und Ausweitung der Wochenendarbeit.

Selbstentmündigung beenden!

Die Solidarwerkstatt unterstützt die gewerkschaftlichen Kämpfe für faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen im Sozialbereich und ruft zur Solidarität mit den Beschäftigten auf. Dabei heben wir besonders hervor, dass sich diese Forderungen nicht nur gegen die Arbeitsgeber im Sozialsektor richten müssen, sondern vor allem auch gegen die Politik. Denn der überwiegende Teil der Gelder dieser Sozialunternehmen kommt von der öffentlichen Hand. Dass der Arbeitsdruck in diesem Bereich immer größer wird, während die Löhne und Gehälter hinterherhinken, ist der Austeritätspolitik geschuldet, die den Sozialbereich besonders hart trifft. Und diese Austeritätspolitik wird nicht gemacht, weil sie wirtschaftspolitisch klug wäre – tatsächlich ist sie wirtschaftspolitisch außerordentlich dumm und kurzsichtig – sondern weil der EU-Fiskalpakt und andere EU-Verordnungen dazu zwingen, das hochheilige „Nulldefizit“ zu erreichen. Wer das nicht schafft, kommt unter Kuratel der EU-Kommission und wird in der Budgetpolitik weitgehend entmündigt. Der gewerkschaftsnahe Ökonom Stephan Schulmeister hat eindringlich davor gewarnt, dass dieser Pakt dazu führt, „den Sozialstaat zu strangulieren“ und „die Budgethoheit auf die EU-Kommission übergehen zu lassen“. Schulmeister weiter: "Mit dem EU-Fiskalpakt haben christ- und sozialdemokratische Politiker ihre Selbstentmündigung rechtlich abgesichert."( Die Presse, 13.5.2016).

Diese Selbstentmündigung hätte im Jahr 2012 freilich gar keine Mehrheit gefunden, hätten nicht die Spitzenvertreter des ÖGB im Nationalrat – wie etwa GPA-Vorsitzender Katzian oder Bau-Holz-Vorsitzender Muchitsch – dem EU-Fiskalpakt im Parlament zugestimmt. Seit Inkrafttreten des EU-Fiskalpakts ist die Anzahl der Langzeitarbeitslosen in Österreich dramatisch angestiegen: von 50.000 (2013) auf 121.000 (2017). Gleichzeitig wird der Sozial- und Gesundheitsbereich immer stärker ausgehungert bzw. „gedeckelt“. Die schwarz-blaue Regierung will diese Vorgaben des EU-Fiskalpakts in Form einer sog. „Schuldenbremse“ sogar in Verfassungsrang erheben. De facto handelt es sich nicht um eine Schuldenbremse, sondern um eine Sozialstaats- und Investitionsbremse, die ausschließlich den exportorientierten Großkonzernen dient und den Sozialstaat zu einem „Auslaufmodell“ (EZB-Chef Mario Draghi) machen soll.

Norbert Bauer (Vorsitzender der Solidarwerkstatt, Betriebsratsvorsitzender und vida-Funktionär): „Wenn wir die Demontage des Sozialstaats verhindern und faire Löhne im Sozialbereich durchsetzen wollen, dürfen wir vom EU-Fiskalpakt nicht schweigen. Mit dieser Unterordnung unter die Spar- und Entmündigungsdiktate der EU muss endlich gebrochen werden!“

Solidarwerkstatt
(1. Februar 2018)

Hinweis:

Aktionskonferenz
„Für ein lebenswertes Österreich – Nein zur Regierung der Industriellenvereinigung“
Demokratisch – sozial – souverän - neutral
Samstag, 28. April 2018
Ort: Festsaal der Arbeiterkammer Linz (Volksgartenstraße 40, 4020 Linz), Beginn: 10 Uhr
Veranstalter: Personenkomitee Selbstbestimmtes Österreich