Die Solidarwerkstatt hat den Kampf der Gewerkschaft für die Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich nach Kräften unterstützt. Das nun paktierte Verhandlungsergebnis ist durch und durch enttäuschend: Statt drei Stunden Arbeitszeitverkürzung in einem Jahr, eine Stunde Arbeitszeitverkürzung in drei Jahren – und diese dürfen sich die Beschäftigten durch Wegfall einer Lohnerhöhung und Verschlechterung bei den Mehrstundenzuschläge faktisch selbst bezahlen. Zehn Überlegungen, warum (und wie) trotz alledem die Hoffnung lebt.

  1. Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig eine gut funktionierende Sozialwirtschaft ist. Wir alle haben ein Interesse daran, dass die in Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen Arbeitenden nicht ausbrennen, dass sie fair bezahlt werden und gute Arbeitsbedingungen haben.
  2. Rund 40% der Beschäftigten in dieser Branche sind burnout-gefährdet. Ihre Einkommen liegen rund 17% unter den Durchschnittseinkommen in Österreich. 30% bis 40% der in der Sozialwirtschaft Arbeitenden verdienen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Eine Betriebsrätin hat es bei der Protestkundgebung am 5.2.2020 in Wien pointiert formuliert: „Menschen, zu deren Arbeit es oftmals gehört, Armut zu bekämpfen, werden durch diese Arbeit selbst arm.“ 

  3. Diese Missstände sind für die Betroffenen und für die gesamte Gesellschaft unhaltbar. Mit der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich kann ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, um diese Missstände zu überwinden. Sie hilft den Vollzeitbeschäftigten, ihre Belastung zu reduzieren und verschafft den Teilzeitbeschäftigten – zu 80% sind das Frauen - endlich eine spürbare Lohnerhöhung.

  4. Die Regierung hat in die Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft Druck auf die Arbeitgeber gemacht, keinesfalls der 35-Stundenwoche zuzustimmen. Der Hintergrund ist klar: Im türkis-grünen Regierungsabkommen wird die EU-oktroyierte Austeritätspolitik bekräftigt; die Staatsabgabenquote soll sogar von knapp 43% auf 40% gedrückt werden. Das allein würde mittelfristig bedeuten, dass den öffentlichen Budgets 10 Milliarden Euro entzogen werden, die vor allem im Sozialbereich schmerzlich fehlen.

  5. Der überwiegende Teil der Einnahmen der Unternehmen der Sozialwirtschaft kommen aus öffentlichen Mitteln. Eine 35-Stundenwoche, eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf ein durchschnittliches Einkommen, eine Ausweitung der Beschäftigung in diesem Bereich kann es daher nur geben, wenn diese Politik der Aushungerung der öffentlichen Budgets beendet wird.

  6. Wer diese Aushungerung der öffentlichen Budgets beenden will, muss zum Bruch mit den EU-Fiskalregeln bereits sein. Denn diese geben – unter dem Deckmantel der Defizitbekämpfung - der EU-Technokratie bzw. den Eliten der großen EU-Staaten die Instrumente in die Hand, die Demokratie auszuhebeln und den Staaten eine neoliberale Budget- und Wirtschaftspolitik zu diktieren. Auch wenn jetzt mitten in der Corona-Krise diese Budgetvorgaben gelockert werden, kann es schneller gehen als uns lieb ist, dass die EU-Technokratie das Budget-Korsett wieder bis aufs Blut zusammenschnürt.

  7. Das enttäuschende Verhandlungsergebnis hat sicher mehrere Gründe wie z.B. die Corona-Krise, die die gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen abwürgte. Gleichzeitig hat diese Gesundheitskrise eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie bedeutend die Arbeit der Menschen in der Sozialwirtschaft ist. Unmittelbar nach Überwindung der Krise hätte die Gewerkschaft mit diesem gesellschaftlichen Rückenwind gestärkt in die Verhandlungen und Kämpfe für eine 35-Stundwoche gehen können. Warum sich die Mehrheit der ÖGB-VerhandlerInnen unter diesen Voraussetzungen auf einen dreijährigen Kollektivvertrag einzementieren ließen, der weit weg von den ursprünglichen Forderungen ist, kann nur als Torheit bezeichnet werden.

  8. Es ist zu befürchten, dass diese Torheit System hat. Denn der Großteil des ÖGB-Establishments ist immer noch voll und ganz darauf eingeschworen, die neoliberalen EU-Rahmenbedingungen unter einen Glassturz zu stellen. Personifiziert wird diese Haltung durch ÖGB-Präsident Katzian, der seinerzeit im Parlament dem EU-Fiskalpakt zugestimmte. Exekutiert wird diese Politik, indem den Gewerkschaftsmitgliedern das Recht auf eine Urabstimmung über KV-Ergebnisse verweigert wird.

  9. Diese EU-Rahmenbedingungen, insbesondere die Austeritätsdiktate, sind durch und durch arbeitnehmerInnen- und gewerkschaftsfeindlich. Wenn eine Gewerkschaft nicht zum Bruch mit arbeitnehmerInnen- und gewerkschaftsfeindliche Rahmenbedingungen bereit ist, muss sie auf Dauer verlieren – die Kämpfe, das Vertrauen ihrer Mitglieder, ihre gesellschaftliche Zukunft.

  10. Die Hoffnung lebt. Sie lebt in einer - gerade im Bereich der Sozialwirtschaft – aktiven Gewerkschaftsbasis, sie lebt in der lauter werdenden Forderung nach einer Demokratisierung der ÖGB-Politik, sie lebt in der Möglichkeit breiter gesellschaftlichen Bündnisse für einen Bruch mit der Austeritätspolitik, sie lebt im Kampf für ein solidarisches und selbstbestimmtes Österreich, das die entscheidende Rahmenbedingung für diesen Bruch darstellt.