Am 5. Februar versammelten sich zahlreiche Beschäftigte aus der Sozialwirtschaft am Wiener Stephansplatz. Sie forderten die Einführung der 35 Stundewoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Da die Arbeitgeber bislang diesbezüglich Gesprächsverweigerung betreiben, hat der ÖGB bereits eine Streikfreigabe erteilt.

„Arbeitszeit runter, Löhne rauf!“ hallte es immer wieder über den Stephansplatz. Die zahlreichen ArbeitnehmerInnen der Sozialwirtschaft ließen keinen Zweifel, dass sie – nachdem in den letzten vier Jahren immer wieder die Forderung nach 35 Stundenwoche abgeschmettert wurde – diesmal keine Abfuhr mehr akzeptieren werden. Da die Arbeitgeber bezüglich Arbeitszeitverkürzung Gesprächsverweigerung betreiben und die Gewerkschaft mit einer Lohnerhöhung von 2,35% abspeisen wollen, stehen die Zeichen auf Sturm. Der ÖGB hat bereits eine Streikfreigabe erteilt, in wenigen Tagen könnten die Streiks bereits beginnen.

30 bis 40% verdienen unter der Armutsgefährdungsschwelle

Was die RednerInnen sagten, war nicht neu, und muss doch immer wieder gesagt werden: Die Arbeit der 125.000 Beschäftigen in der Sozialwirtschaft – Pflege, soziale Arbeit, Betreuung von Kindern, Jugendlichen, Menschen mit Beeinträchtigung – gehört zu jenen Tätigkeiten, ohne die unsere Gesellschaft fürchterlich arm wäre. Es ist eine Schande, dass gerade diese Arbeit rund 20% unter dem durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsniveau liegt, dass viele Menschen nur Teilzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht leben können. 30% bis 40% der in der Sozialwirtschaft Arbeitenden verdienen unter der Armutsgefährdungsschwelle. „Es darf nicht sein, dass Menschen, zu deren Arbeit es oftmals gehört, Armut zu bekämpfen, durch diese Arbeit selbst arm werden“, brachte es eine Rednerin auf den Punkt. „Soziale Arbeit ist körperliche und emotionale Schwerarbeit“, forderte eine Betriebsrätin endlich Wertschätzung für diese Arbeit ein, die sich auch in verbesserten Arbeitsbedingungen niederschlagen muss. Die 35 Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich senkt die Arbeitsbelastung und würde insbesondere für TeilzeitarbeiterInnen eine kräftige Lohnerhöhung bringen. 70% der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft arbeiten Teilzeit, der überwiegende Teil sind Frauen. Heftige Kritik wurde auch an der türkis-grünen Regierung geübt, die mit der Senkung der Körperschaftssteuer Geschenke an die Konzerne verteilt – Geld, das bitter im Sozialbereich fehlt.

Einzelne Stimmen aus dem Arbeitgeberlager lassen aufhorchen

Aufhorchen ließen Berichte, dass auch im Arbeitgeberlager mittlerweile einzelne Stimmen hörbar sind, die eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bereich der Sozialwirtschaft fordern, weil sie begreifen, dass immer mehr Beschäftigte in dieser Branche ausbrennen, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen für diese oftmals zermürbende Arbeit zu gewinnen. Ein Redner zitierte einen Arbeitgeber, der kritisierte, dass „auf dem Rücken der Beschäftigten zur Entlastung der Landesbudgets gespart wird“. Das trifft den Nagel auf den Kopf: Der Sektor der Sozialwirtschaft wird zum größten Teil über die öffentlichen Haushalte finanziert. Der Austeritätskurs, der über die EU-Vorgaben, insbesondere den EU-Fiskalpakt, den öffentlichen Haushalten aufgezwungen wird, trifft die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft ebenso wie die Menschen, die auf diese Leistungen existenziell angewiesen sind.

Bruch mit den EU-Austeritätsvorgaben

Das türkis-grüne Regierungsprogramm bekräftigt das Festhalten an diesen EU-Austeritätsvorgaben; mit dem in diesem Programm festgehaltenen Ziel, die Staatseinnahmenquote von derzeit 42,6 auf 40% zu senken, droht eine dramatische Aushungerung der öffentlichen Budgets. Halten wir uns vor Augen: Diese Absenkung würde den öffentlichen Budgets jährlich rund 10 Milliarden Euro entwenden. Zum Vergleich: Das entspricht fast dem Doppelten der jährlichen öffentlichen Pflegeausgaben in Österreich, die bei 5,7 Milliarden liegen (Stand 2017).

Norbert Bauer, Solidarwerkstatt-Vorsitzender und vida-Betriebsrat, demonstrierte am 5. Februar mit. Er ruft auf, den Kampf für die 35-Stundenwoche mit dem Engagement für die Beendigung der Austeritätspolitik zu verbinden: „Die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Bereich der Sozialwirtschaft, die Überwindung des Pflegenotstands in Österreich, verlangen den Bruch mit den Sparvorgaben des EU-Fiskalpakts und die Bekämpfung der türkis-grünen Pläne, die Staatseinnahmenquote zu senken. Wir brauchen vielmehr eine kräftige Ausweitung der öffentlichen Budgets, um uns den großen sozialen Herausforderungen stellen zu können. Um das durchzusetzen, müssen wir an breiten gesellschaftlichen Allianzen arbeiten.“
(5.2.2020)

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