Die Einkommen der 125.000 Beschäftigten in der Sozialwirtschaft – das sind die im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich Arbeitenden - liegen rd. 17% unter dem österreichischen Durchschnittseinkommen. Die Menschen in dieser Branche arbeiten gerade jetzt mit höchstem Einsatz, sie gehören zu den HeldInnen der Corona-Krise. Doch das Ergebnis des KV-Abschlusses, mit dem ihnen dieser Einsatz gedankt wird, ist mehr als enttäuschend. Das Gewerkschaftsziel – die 35-Stundenwoche - bleibt in weiter Ferne. Zwei BetriebsrätInnen aus dieser Branche machen ihrem Ärger darüber Luft.

„Abschluss als Farce“

Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende bei „Bildung im Mittelpunkt GmbH“

Nun ist er da und leider kein „April-Scherz“: Die Gewerkschaften GPA-djp und vida haben einen Kollektivvertragsabschluss im privaten Sozial- und Gesundheitsbereichs (SWÖ) durchgedrückt. Es ist ein Abschluss auf drei Jahre, der sich im Wesentlichen nicht von dem zuletzt Anfang März einstimmig abgelehnten Arbeitgeberangebot unterscheidet.

Der Abschluss beinhaltet eine geringe Lohnerhöhung für heuer (2,7 Prozent) und nächstes Jahr (Inflationsanpassung +0,6 Prozent). 2022 folgt dann die geforderte Arbeitszeitverkürzung, aber auch sie ist eine Farce. Gerade einmal eine Stunde wird reduziert, die wir uns durch den Wegfall einer Lohn-/Gehaltserhöhung und mit einer Verschlechterung der Mehrarbeitszuschläge auch noch selbst zahlen.

Wie konnte es soweit kommen? Noch im Winter war die Stimmung kämpferisch, im Februar gab es in 300 Einrichtungen Warnstreiks, Aktionen und eine Demo für die 35-Stunden-Woche Anfang März. Weitere Streiks waren – vor den Corona-Maßnahmen – für Ende des Monats angesagt. In kaum einen anderen Sektor kämpften die Belegschaften in den letzten Jahren derart entschlossen für massive Verbesserungen. Auch die Gewerkschaft war vor Beginn der Verhandlungen im Herbst großspurig angetreten: 35 Stunden sind genug, hieß es von GPA-djp und vida, immer und immer wieder.

Jetzt haben die Gewerkschaftsspitzen der Branche gemeinsam mit den „Arbeitgebern“ offensichtlich die Corona-Krisensituation ausgenutzt. Von Seiten der Gewerkschaften hieß es bis Sonntag noch: „Dass momentan keine Verhandlungen oder Streiks stattfinden können, ist klar.“

Nun wurde trotzdem dieser Abschluss auf Biegen und Brechen im Eiltempo durchgedrückt – und das auch noch für drei Jahre. Der Protest ist abgewürgt. Eine demokratische Willensbildung und Diskussion war bei diesem Husch-Pfusch nicht möglich. Einwände oder Abänderungsanträge wurden schlichtweg nicht zugelassen. Eine Urabstimmung über den Abschluss lassen die Gewerkschaftsspitzen seit Jahren nicht zu.

Dabei hätte man mit der Corona-Krise auch Druck machen können. Gerade jetzt wird unsere Branche als „systemrelevant“ und die KollegInnen als „HeldInnen des Alltags“ angesehen. Öffentlichkeit und Medien sind uns gegenüber sehr positiv eingestellt. Statt diese Stimmung für zusätzlichen Druck für die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche zu nutzen, würgten die SpitzenrepräsentantInnen des gewerkschaftlichen Verhandlungsgremiums nun den Protest ab.

Natürlich mussten wir auf die veränderten Rahmenbedingungen aufgrund der Corona-Epidemie eingehen. Viele KollegInnen haben zurecht ihre Gehaltserhöhung dringend erwartet und gebraucht. Doch die wäre auch mit einem Ein-Jahres-Abschluss als Zwischenlösung möglich gewesen. Dann hätte man bald weiterkämpfen können und nicht einen Abschluss vorgelegt, der auf Jahre hinweg vom Tisch fegt, was die Belegschaften in den Betrieben gemeinsam Stück für Stück aufgebaut haben.

(Auszug aus: https://mosaik-blog.at/sozialbereich-kollektivvertrag/)

„Unverantwortlich gegenüber den Beschäftigten“

Stefan Taibl, Betriebsrat PSZ GesmbH

Noch vor einiger Zeit war man guter Dinge, die Medien, Betroffenen auf Seiten der Beschäftigten. Die Chance eine Arbeitszeitverkürzung im Sozial-, Gesundheits-, und Pflegebereich durchzusetzen, war noch nie so groß. Viele waren mit Einsatz dabei, sei es bei den diversen Protestmaßnahmen, Streiks usw. Dann kam Corona. Schon das Versammlungsverbot und die damit in Zusammenhang stehende Demoabsage war der erste Dämpfer. Bald sollte sich jedoch herausstellen, es kommt noch schlimmer.

Die Krise ist mittlerweile überall, Kündigungen werden ausgesprochen, Kurzarbeit angeordnet, Rettungspakete geschnürt. Im Sozial-, Gesundheits-, und Pflegebereich wird gearbeitet. Selbst für die erprobten Menschen, die es gewohnt sind, sich Krankheiten auszusetzen und ein Risiko einzugehen, sind die derzeitigen Arbeitsbedingung höchst belastend. Keine Rettungspakete in Sicht, keine Unterstützung durch politisch Verantwortliche, sondern ganz im Gegenteil Einsparungsankündigungen machen die Runde. Weniger Geld soll es geben, weniger Förderungen!

Dies erzeugt Druck, Druck einem Angebot zuzustimmen, das keines ist. (hier gehts zum Abschluss der KV-Verhandlungen). Dieser Abschluss ist unverantwortlich gegenüber den Beschäftigten, die auch jetzt, unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit, ihre unverzichtbare Arbeit im Dienste der Gesellschaft leisten. Seit Jahren wissen wir, dass die Beschäftigten unterbezahlt sind. Seit Jahren wissen wir, dass wir unmenschliche Arbeitsbedingungen haben. Dieser Abschluss verbessert nichts. Weder die Einkommen – die Unterbezahlung zu anderen Brachen wird sogar größer, noch die Arbeitsbedingungen – eine Stunde Arbeitszeitreduktion bedeutet Leistungsverdichtung, die wir Beschäftigten uns selber zahlen, weil es in diesem Jahr nicht einmal eine Inflationsanpassung gibt. Alle Verantwortlichen sind dringend aufgefordert, dieses Ergebnis zu korrigieren! Wir brauchen adäquate Einkommen, von denen man Leben kann, und verbesserte Arbeitsbedingungen. Und wir brauchen gerade jetzt die u.a. für solche Situationen vorgesehene Schmutz- und Erschwerniszulage (SEG Zulage) in allen Bereichen.

(Auszug aus: https://auge.or.at/bund/neues-vom-bund/der-swoe-abschluss-ist-erfolgt-und-viele-sind-enttaeuscht/)