Die Solidarwerkstatt unterstützt den Kampf der Gewerkschaft für die Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im Bereich der Sozialwirtschaft. Wichtig wird es aber sein – wie es eine Betriebsrätin formuliert hat, „zum Schmied und nicht nur zum Schmiedl zu gehen“. Sprich: Es reicht nicht, Forderungen an die Arbeitgeber zu richten, wir brauchen eine breite gesellschaftliche Allianz für die Ausweitung der öffentlichen Budgets im Pflege- und Sozialbereich.

 

Ende November haben die Kollektivvertragsverhandlungen im Bereich der Sozialwirtschaft begonnen. Die Branche der PflegerInnen, BetreuerInnen und SozialarbeiterInnen umfasst rund 125.000 Beschäftigte, hat aber auch Auswirkungen auf andere KV im Sozialbereich, wie jenen der Caritas der Diakonie oder des Roten Kreuzes. Die Gewerkschaft geht dieses Mal mit einer einzigen Forderungen in die Verhandlungen: 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das käme einer Arbeitszeitverkürzung um 3 Stunden gleich, da derzeit in dieser Branche eine Normalarbeitszeit von 38 Stunden gilt. Für Teilzeitbeschäftigte, die in dieser Branche überwiegen, würde das bei gleichbleibender Arbeitszeit eine deutliche Erhöhung der Gehälter bedeuten (plus 8,6%). Die Solidarwerkstatt unterstützt den Kampf der Gewerkschaft für die Einführung der 35-Stundenwoche in der Sozialwirtschaft. Gerade in dieser gesellschaftlichen so wichtigen Branche, ist eine Attraktivierung der Arbeitsbedingungen notwendig, damit die Arbeitenden nicht ausbrennen und selbst zum Pflegefall werden.

Zugleich halten wir aber auch die Kritik, die von vielen BetriebsrätInnen („Sozial aber nicht blöd!“) an der Verhandlungsstrategie geübt wird, ausschließlich die 35-Stundenwoche zu fordern, für wichtig: Vollzeitbeschäftigte würden mit dieser Arbeitszeitverkürzung zwar höhere Stundenlöhne, erhalten, aber am monatlichen Gehaltszettel bliebe für sie eine Nulllohnrunde, de facto also Reallohnverluste. In einer Branche, in der die durchschnittlichen Löhne um fast ein Fünftel unter dem österreichischen Durchschnitt liegen, ist das nicht akzeptabel.

Aus dem Korsett des EU-Fiskalpakts ausbrechen!

Was auch dieses Jahr von der Gewerkschaftsführung wieder viel zu wenig betont wird, ist die Kritik an der staatlichen Austeritätspolitik, wie sie insbesondere mit dem EU-Fiskalpakt seit 2012 Einzug gehalten hat und wie sie auch das türkis-grüne Regierungsprogramm fortsetzen will. Der weitaus größte Teil der Gelder dieser Branche kommen aus öffentlichen Kassen. Wie sehr der EU-Fiskalpakt zum Beispiel in den Bereich der Pflege einschneidet, belegen die Zahlen der Statistik Austria: So sind die Pflegeausgaben pro Kopf der Bevölkerung, die 75 Jahre und darüber ist, seit Einführung des EU-Fiskalpakts real um 15% gesunken (sh. Grafik unten). Diese Sparpolitik bekommen immer mehr Menschen zu spüren: die zu Pflegenden, deren Angehörige und natürlich die im Pflegebereich Arbeitenden: durch Zweiklassenpflege, Armutsgefährdung, überstrapazierte Familiennetzwerke, unzumutbare Bedingungen in Pflegeeinrichtungen, prekäre Arbeitsbedingungen und Burnout der Beschäftigten.

Pflege Fiskalpakt Grafik

Eine Betriebsrätin hat das bei einer Gewerkschaftsdemonstration Anfang 2019 auf den Punkt gebracht: „Wir müssen zum Schmied und nicht nur zum Schmiedl gehen!“  – sprich: nicht nur zu den Arbeitgebern, sondern vor allem auch zu den für die Sparpolitik politisch Verantwortlichen. Die gewerkschaftlichen Forderungen laufen rasch ins Leere, wenn die öffentlichen Budgets im Pflege- und Sozialbereich nicht massiv angehoben werden. Um das durchzusetzen, braucht es breite gesellschaftliche Allianzen. Das ist möglich. So sind fast eine Million Menschen in Österreich – als PflegearbeiterInnen, pflegende Angehörige oder Pflegebedürftige – vom wachsenden Pflegenotstand betroffen.

Pflege in die Sozialversicherung!

Laut einer Studie von „Gesundes Österreich“ benötigt Österreich bis zum Jahr 2030 über 75.000 zusätzliche Pflegekräfte. Das erfordert den Ausbruch aus dem Korsett des EU-Fiskalpakts. Derzeit werden in Österreich rd. 2 Prozent des BIPs für Pflege ausgegeben. Wenn wir eine gute Pflege für alle sicherstellen wollen, brauchen wir gut und gerne das Doppelte. Die Solidarwerkstatt fordert daher die Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung. Ähnlich der sozialen Krankenversicherung muss jede/r – unabhängig von seinem/ihrem Einkommen – einen Rechtsanspruch auf diesselben qualitativ hochwertigen Pflegeleistungen bekommen. Das ist mit dem Recht auf Wahlfreiheit zu verbinden, indem auch pflegende Angehörige – ähnlich wie in skandinavischen Ländern – bei Pflegeverbänden oder Kommunen zu einem ordentlichen Kollektivvertrag sozialversichert angestellt sind. Der Sozialversicherungsbeitrag muss auf die gesamte Wertschöpfung ausgedehnt werden, um auch Gewinne und Abschreibungen in die Finanzierung miteinzubeziehen.

Entscheidende Verteilungsfrage

Der Einwand, dass wir uns das nicht leisten können, verkennt die entscheidende Verteilungsfrage, vor der wir stehen. Wofür wollen wir die steigenden industrielle Produktivität verwenden: für den parasitären Luxuskonsum weniger, für die brandgefährlichen Exportschlachten auf den globalen Weltmärkten, für einen hemmungslosen Automobilismus, für Massenarbeitslosigkeit – oder für die Ausweitung gemeinschaftlicher, sozialer und ökologischer Dienstleistungen und Infrastrukturen, die vom Ausbau umweltfreundlicher Mobilität über die Aufstockung der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialetats bis hin zur Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung reichen. Wer hier spart, vergeudet eine lebenswerte Zukunft. In der Forderung nach Ausweitung der öffentlichen Budgets verbinden sich Klima- und Sozialfragen. Hier können Gewerkschafts- und Umweltbewegung zusammenfinden. Und gemeinsam können wir viel erreichen!