ImageVier Wochen nach der sogenannten „Wende in Europa“ (Volksstimme 1-2-2015) – ist sie schon wieder abgesagt. Die Märchenerzählungen über die EU haben die Anstrengungen für eine soziale und demokratische Überwindung der Krise in die Irre geführt. Sie machen aus sozialen Bewegungen ein komödiantisches Treiben. Damit muss Schluss gemacht werden. Ein Kommentar von Boris Lechthaler.


Am 25. Jänner begann „die Wende in Europa“ (Volksstimme 1-2-2015) – vier Wochen später ist sie schon wieder abgesagt. In den ersten Tagen nach Syrizas Wahlsieg am 25. Jänner 2015 dachte ich noch, es handle sich mitunter um ein didaktisches Manöver, das uns hier die neue griechische Regierung vorführt: Vielleicht ist die direkte Forderung nach einem Ausstieg Griechenlands aus dem EU-Konkurrenzregime erst dann mehrheitsfähig, wenn die Menschen zur Kenntnis nehmen müssen, dass ein Ende der Austeritätspolitik, ein Ende von Massenarbeitslosigkeit, sinkenden Löhnen und Sozialleistungen, grassierender öffentlicher Armut innerhalb des EU-Regimes unmöglich ist. Die letzten Wochen vermitteln jedoch den Eindruck, Tsipras, Varoufakis und Genossen gingen wirklich davon aus, mit dem Hund wedeln zu können. Und, glaubt man den letzten Meldungen, gehen sie noch jetzt davon aus, die Menschen in Griechenland würden es nicht merken, dass sie gewedelt werden.

Manolis Glezos, 92-jähriger EP-Abgeordneter von Syriza, sagte dazu am 22. Februar: „Das griechische Volk stimmte für das, was Syriza versprochen hat: Dass wir das Austeritätsregime, also die Strategie nicht nur der Oligarchien von Deutschland und den anderen Gläubigerländern, sondern auch der griechischen Oligarchie, abschaffen; dass wir das Memorandum und die Troika und die ganze Austeritätsgesetzgebung aufheben; dass wir sofort per Gesetz die Troika und ihre Folgen beseitigen. Ein Monat ist vergangen und aus diesem Versprechen ist dieses Handeln geworden. Es ist eine Schande. Von meiner Seite entschuldige ich mich bei der griechischen Bevölkerung dafür, dass ich diese Illusion unterstützt habe.“ (Akin, Nr. 5, 205)

ImageDimitris Belantis und Stathis Kouvelaki, Mitglieder des ZK von Syriza, schreiben in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten der deutschen Partei „Die Linke“: „… Die wichtigsten Punkte unseres Programms werden dadurch (durch den provisorischen Vertrag zwischen Griechenland und der Eurozone, Anm. B.L.) praktisch außer Geltung gesetzt. … Der Anstieg des Mindestlohns auf 750 Eur wird nicht kurzfristig von unserem Parlament ‚einseitig‘ durchgesetzt werden können. … Fast kein Gesetzesentwurf kann ohne Einverständnis der Troika, die jetzt zu ‚den Institutionen‘ umgetauft wurde, und ohne finanzielle Ausgleichsmaßnahmen eingebracht werden. Auch die Maßnahmen für die Lösung der humanitären Krise dürfen keine negativen finanzpolitischen Konsequenzen haben…. Den Finanzierungsvertrag von den Memoranden zu trennen, ist einfach unmöglich. …“ (Junge Welt, 28.2.2015) Die beiden ersuchen ihre vermeintlichen deutschen Verbündeten gegen diesen Vertag zu stimmen. Das ist auch schon wieder Geschichte, denn am 27.2.2015 haben 41 von 55 „linken“ Abgeordneten im Bundestag zugestimmt. Belantis und Kouvelaki warnten noch, ein „Ja“, würde „den Weg in eine Welt der falschen Illusionen“ öffnen.

Na ja, in dieser Welt der falschen Illusionen befinden wir uns schon die längste Zeit.  Wir können spekulieren, ob die, die sie besonders eifrig verbreiten, dies tun, weil sie selbst in ihnen gefangen sind oder weil sie einen persönlichen Vorteil darin finden, wenn das Publikum in ihnen gefangen bleibt. Egal. Wer ernsthaft an der Durchsetzung einer solidarischen und demokratischen Wende arbeiten will, muss der real existierenden EU ins Auge sehen: Die EU ist ein imperiales Gebilde zur Sicherung der Vorherrschaft der alten industriellen Eliten im Weltmaßstab. Zur Durchsetzung ihrer strategischen Ziele unterwerfen sie die Menschen auf dem alten Kontinent einem unerbittlichen Produktivitätsregime. Der Arbeiter in Piräus steht alltäglich mit seinem Kollegen in Wolfsburg in direkter Konkurrenz. Mit EU-Regime und Euro werden ihnen alle Möglichkeiten genommen, durch nationale Gesetze, eigene Institutionen, einer eigenen Währung auch nur den kleinsten Widerstand zu üben. „Denn dieses System, die Währungsunion mit der Zentralbank, aber ohne Transfermechanismen und –automatismen, war gewollt. An die Stelle der Transfers im alten Sinn der ‚nationalen Solidarität‘ soll schließlich die ‚innere Abwertung‘ treten. Mit den Transfers soll möglichst ein- für alle Male Schluss sein. Die unsichtbare Hand würde alles regeln, wenn bloß die Löhne bei Bedarf sinken.“ (A.F. Reiterer: www.antiimperialista.org/de/node/244659) Die griechische Tragödie ist deshalb auch nicht bloß Ergebnis einer Finanzkrise. Sie begann nicht im Herbst 2008, sondern mit der Einführung des Euro. Wer jetzt im Zeichen der Solidarität bloß finanzielle Hilfen für Griechenland fordert, verschweigt, dass am Ende des Tages die Früchte dieser Hilfen wiederum in Berlin landen würden.

Es geht nicht um eine Richtungsentscheidung in der EU. Dies zu behaupten, bedeutet Ziel und Wirkungsweise des EU-Regimes außer Acht zu lassen.  Es gehe um Durchgriffsrechte, äußerte Angela Merkel bereits 2011. Das wäre auch so, wenn Tsipras in Berlin und Merkel in Athen regieren würde. Jeder Scheck, der im Rahmen dieses Regimes in Umlauf gebracht wird, findet erst eine Deckung, wenn er in Berlin bestätigt wird.

Die Märchenerzählungen über die EU haben die Anstrengungen für eine soziale und demokratische Überwindung der Krise in die Irre geführt. Sie machen aus sozialen Bewegungen ein komödiantisches Treiben. Damit muss Schluss gemacht werden.

ImageDie Solidarwerkstatt organisiert am 17. Mai 2015 wieder den Umzug vom Haus der EU zum österreichischen Parlament unter der Losung: „SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime!“ Wir laden alle Menschen, die es sich nicht nehmen lassen wollen, auszusprechen, was Sache ist, herzlich ein, sich an dieser Veranstaltung zu beteiligen. Das ist auch ein Akt der Solidarität mit den Menschen in Griechenland. Diese leiden nicht nur am EU-Spardiktat. Sie wurden von Gauklern – auch österreichischer Provenienz – dazu gebracht, zu glauben, es läge an ihnen, dem EU-Regime eine andere Richtung zu geben. Und haben zur Not nun auch noch den Spott bekommen. Wer sich der Unterordnung unter das EU-Konkurrenzregime verweigert, kann zunächst dem Gespött und dann mit einiger Anstrengung auch der Not entkommen.    

Von Boris Lechthaler


Siehe zu diesem Thema auch:
Giannis Varoufakis Programm
von Albert F.Reiterer
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1208&Itemid=86