ImageAm 17. November 2010 beschloss der Nationrat eine Novelle zum Arbeitsverfassungsgesetz, die eine deutliche Verschlechterung bei der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen zur Folge hat. ÖGB-Spitzenfunktionären war wieder einmal das Partei- und Regierungshemd näher als der Gewerkschaftsrock - und stimmten für die Regierungsvorlage oder gingen auf Tauchstation.


Am 17. November wurde im Nationalrat eine Novelle zum Arbeitsverfassungsgesetz beschlossen. Neben einigen kleineren Verbesserungen (z.B. Verlängerung des Einspruchsrechts bei Kündigung, Senkung des passiven Wahlalters) bringt diese Novelle eine wesentliche Einschränkung der Mitbestimmung von BetriebsrätInnen bei der Einführung von leistungsbezogenen Entgeltformen. Der § 96 Abs. 1 Z.4 ArbVG, schrieb bisher die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrates vor bei "Einführung von Akkordlöhnen, akkordähnlichen Entgeltformen und sonstigen leistungsbezogenen Prämien und Entgelte, die auf Arbeits(Persönlichkeits)bewertungsverfahren, statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, ... beruhen". Bis zum 17. November 2010. Bei dieser Sitzung des Nationalrates wurde der Passus ab "sonstige leistungsbezogene Prämien und Entgelte" gestrichen.

Empörte BetriebsrätInnen. Paul Kolm, Dozent an der Universität Wien und bis 2007 Leiter der Abteilung Arbeit und Technik in der Gewerkschaft der Privatangestellten, über die gravierende Verschlechterung der Mitbestimmung durch diese Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes: „Damit  werden praktisch alle modernen erfolgs- bzw. leistungsbezogenen Entgeltsysteme aus der Zustimmungspflicht des Betriebsrates eliminiert. Betroffen sind vor allem entgeltwirksame Zielvereinbarungssysteme. Es geht dabei um die Einkommenshöhe, das Verhältnis von fixem zu variablen Einkommen, um Personalplanung, faktische Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Ich habe dutzende Betriebsräte bei ihren Verhandlungen zu diesen Themen begleitet. In vielen der mühsam errungenen Vereinbarungen wurden ArbeitnehmerInnen vor unzumutbaren Belastungen geschützt und in der Verteilung der Prämien auf die verschiedenen Gruppen im Betrieb mehr Gerechtigkeit erzielt. Die Zustimmung des ÖGB zur Entmachtung der Betriebsräte beruht offensichtlich auf der Unkenntnis der qualitativen und quantitativen Bedeutung von modernen Lohnformen. Sie erfolgt gegen den Willen der Betroffenen. Die GPA-djp hat auf ihrem Bundesforum in einem einstimmigen Beschluss dieses Vorhaben abgelehnt! Ich habe die Empörung der BetriebsrätInnen dort erlebt.“ (Standard, 11.11.2010) 

Katzian auf Tauchstation. Innerhalb kürzester Zeit unterschrieben tausende BetriebsrätInnen einen Aufruf der gpa-djp gegen diese Einschränkung der Mitbestimmung. "Viele betroffene BetriebsrätInnen sind über diese Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung mit Recht empört und sehen ihren jahrelangen Einsatz für transparente und mitarbeiterInnenfreundliche Lösungen im Zusammenhang mit der Einführung leistungs- und erfolgsbezogener Entgeltsysteme mit dieser Novelle aufs Spiel gesetzt. Wir erwarten noch eine entsprechende Korrektur in der parlamentarischen Behandlung", forderte der stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, Karl Proyer. GPA-djp-Vorsitzender und Nationalrats-Abgeordneter Katzian versprach noch beim GPA-djp-Bundesforum seinen massiven Einsatz gegen diese Novelle. Konkret sah dieser „massive Einsatz“ dann so aus, dass er bei der Sitzung des parlamentarischen Sozialausschusses den Mund dazu nicht aufbrachte und bei der Abstimmung im Nationalrat durch Abwesenheit glänzte. Gänzlich auf taube Ohren stieß die Gewerkschaftsbasis bei weitern gewerkschaftlichen Spitzenfunktionären im Hohen Haus. Franz Riepl, stv. Bundesvorsitzender der Gewerkschaft pro-GE, fungierte sogar als Pro-Sprecher bei diesem Tagesordnungspunkt, unterstützt von weiteren Arbeitnehmer-Repräsentanten wie Dietmar Keck (stv. Betriebsrats-Vorsitzender voestalpine) und Johann Hechtl (AK NÖ). Auch der eh. ÖGB-Chef und jetzige Sozialminister Hundsdorfer sowie die eh. ÖGB-Frauenchefin Czörgits waren – gemeinsam mit den Vertretern der Unternehmerverbände - voll des Lobes über diese Arbeitsverfassungs-Novelle. In ihren Kommentaren „übersahen“ sie einfach die einschneidenden Verschlechterungen bei der Mitbestimmung. Ebenso geflissentlich wurde ausgeblendet, dass die Abstimmung über die Verschlechterungen getrennt von den restlichen Änderungen erfolgte.

Gerald Oberansmayr (Solidarwerkstatt Österreich): „Immer wieder werden Gewerkschaftsbeschlüsse und gewerkschaftliche Anliegen von ÖGB-Spitzenfunktionären im Parlament ignoriert, ja mit Füßen getreten. Das Regierungs- und Parteihemd ist den Chefetagen im ÖGB offensichtlich wichtiger als der Gewerkschaftsrock. Eine ähnliche Erfahrung machen wir gerade in Hinblick auf die Teilnahme Österreichs an den EU-Battlegroups. Kein einziger ÖGB-Repräsentant im Nationalrat ist bereit, entsprechend den diesbezüglichen Beschlüssen des ÖGB-Bundeskongresses zu handeln. Alle GewerkschafterInnen, die es satt haben, dass sich ‚ihre’ VertreterInnen von Regierung und Parteisekretariaten am Nasenring durchs Parlament führen lassen, finden in der Solidarwerkstatt eine verlässliche Verbündete.“