Image Die Schuldenbremse quietscht. Sie wird nicht zur Überwindung der Wirtschaftskrise, sondern noch tiefer in sie hinein führen. Das wissen auch die Machteliten. Die wirkliche Agenda dahinter ist eine andere. Die Solidar-Werkstatt lädt zum Umzug "Gas geben für die Zukunft statt Schuldenbremse!" am 17. Dezember in Linz ein.


Das aufgeregte Getue von Regierungsvertretern, die „Finanzmärkte“ und „Ratingagenturen“ würden plötzlich eine Schuldenbremse verlangen, veralbert die Menschen. Finanzministerin Maria Fekter bleibt wenigstens bei der Wahrheit: „Wir müssen wegen der EU-Vorgaben das Budgetdefizit rascher abbauen als geplant.“(1) Dafür werde es, so Fekter „schmerzhafte Einschnitte geben.“ (2) EU-Justizkommissarin Vivane Reding würdige die Absicht der Regierung, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern, indem sie Österreich als „besten Schüler“ lobte und zugleich die anderen ermahnte: „Das will ich mehr in der EU sehen“. (3)

Schuldenbremse auf EU-Ebene bereits im Juni 2011 beschlossen

Tatsächlich gibt es nämlich eine verschärfte Schuldenbremse bereits seit Juni 2011 durch die Verschärfung des EU-Stabilitätspaketes („Six Pack“). Dadurch wurde das ominöse 60%-Kritierum in Bezug auf die Gesamtverschuldung in den Strafkatalog der EU-Kommission aufgenommen. Länder, deren Gesamtschuld die 60% übersteigen, müssen nach einer sog. „Zwanzigstel-Regelung“ dieses Jahr für Jahr abbauen. Die Solidarwerkstatt hat bereits im Frühjahr vorgerechnet, dass im Falle Österreichs damit Jahr für Jahr ein Belastungspaket in der Höhe von 2 bis 2,5 Milliarden Euro droht. Bei Verstößen können bis zu 0,2% des BIP an Pönale verhängt werden, im Fall Österreichs also immerhin rd. 600 Millionen Euro. Diese Strafen können in Hinkunft bereits verhängt werden, wenn sich innerhalb von 10 Tagen (!) keine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat dagegen ausspricht -  also ziemlich rasch.

Im sog. „Euro-Plus-Pakt“ hat sich zudem Österreich verpflichtet, diese verschärften EU-Vorgaben in nationales Recht überzuführen, wobei die deutsche „Schuldenbremse“ sogar explizit als Vorbild angeführt wird.  

Zehn Mal das Uni-Budget wegsparen

Die Debatte über die Schuldenbremse kommt also keineswegs unerwartet, sie ist das klare Resultat der Beschlüsse auf EU-Ebene von Juni 2011, denen Österreichs Regierungsvertreter auf Punkt und Beistrich zugestimmt haben. Auch die von Regierungsvertretern jetzt angekündigten Sparmaßnahmen sind keineswegs originell, sie lassen sich in den „Empfehlungen“ von EU-Kommission und EU-Rat vom 12. Juli 2011 nachlesen:
- Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“ (also v.a. der Sozialversicherungsbeiträge und damit der entsprechenden Sozialleistungen)
- Kürzung im Gesundheitsbereich und bei den Pensionen, insbesondere Erschwerung des Zugangs zur sog. „Invaliditätspension“ und Beendigung der „Hacklerregelung“
- Weitgehend ausgabenseitiger Abbau des Defizits um 0,75% des BIPs pro Jahr.

Letzteres ist auch der Grund, warum die von der Regierung zunächst ins Auge gefassten zwei Milliarden Kürzungen pro Jahr für Finanzministerin Fekter zu wenig sind. Fekter: „Das Konsolidierungspaket muss pro Jahr drei Milliarden umfassen. Das sind 0,75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes plus die Kosten des Wünsch-dir-Was.“ (1) Drei Milliarden pro Jahr bedeutet vom Volumen her, dass bis 2020 fast das eineinhalb-fache der gesamten Gesundheitsausgaben eines Jahres oder zehn Mal das Uni-Budget oder zwanzig-Mal das Umweltbudget eingespart wird.

Über den Verhältnissen gelebt?

Das wiederkehrende Argument, wonach soziale Kürzungen unumgänglich seien, weil wir „über unseren Verhältnissen“ gelebt hätten, ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten. Seit dem EU-Beitritt sind die Realeinkommen der ArbeitnehmerInnen real um 0,5% gesunken, während die Produktivität je Erwerbstätigen um 24% gestiegen ist. 110 Milliarden Euro sind den unselbständig Erwerbstätigen durch diese Umverteilung von unten nach oben seit Mitte der 90er Jahre verloren gegangen. Die große Mehrzahl der Menschen hat also deutlich „unter ihren Verhältnissen“ gelebt. Auch die öffentlichen Ausgaben sind seit dem EU-Beitritt relativ zum Bruttoinlandsprodukt nicht gestiegen, sondern gesunken. Zwischen 1995 und 2010 sind – im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP) die Ausgaben für Soziales, Bildung, Umweltschutz, Gemeinden, Wohnungswesen – relativ zum BIP –  um 107 Milliarden zurückgegangen.  

Beide Prozesse – Zurückfallen der Löhne und der öffentlicher Ausgaben – hängen eng mit den in den EU-Verträgen schon bisher verankerten wirtschaftspolitischen Vorgaben zusammen, die zu „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichten. Die damit verbundene wachsende Kluft zwischen arm und reich, sowohl innerhalb der EU-Staaten als auch zwischen ihnen, hat maßgeblich zur großen Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Jahr 2008 geführt. Dass Staaten nunmehr scheinbar dem anonymen Walten der Finanzmärkte ausgeliefert sind, ist vor allem das Resultat politischer Entscheidungen auf EU-Ebene: Der Deregulierung der Finanzmärkte, des Freihandelsdiktats, des Verbots von Kapitalverkehrskontrollen und des Verbots der zinslosen Refinanzierung der Staaten über die Notenbanken.

Doch wie reagieren die EU-Mächtigen auf dieses fulminante Scheitern des Neoliberalismus: Noch viel mehr desgleichen! Bereits im Vorjahr stellt Univ. Prof. Dr. Joachim Becker, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien, fest: „Die reaktionärste Wirtschaftspolitik ist in der EU festzustellen.“ Auf die durch den Neoliberalismus verursachte Wirtschaftskrise reagiere die EU „mit der Verschärfung des Neoliberalismus“.(5) Die deutschen Machteliten geben dabei immer deutlicher den Takt  vor: 2009 verankerte die deutsche Regierung die Schuldenbremse in Verfassungsrang, 2011 schafften sie es bereits, diese Schuldenbremse über die Verschärfung des Stabilitätspakets und den Euro-Plus-Pakt zur Vorgabe für die EU zu machen. 

Die wirkliche Agenda hinter der Schuldenbremse

Welche Auswirkungen die Drosselung staatlicher Ausgaben auf die Menschen und auf die Wirtschaft hat, kann in Griechenland studiert werden. Das von der EU geschnürte Sparpaket  hat zu einer tiefen wirtschaftlichen Rezession und zur Verdoppelung der Arbeitslosigkeit geführt, sodass – trotz, aber eigentlich wegen der drastischen Sparpolitik – die Staatsschulden weiter massiv angestiegen sind.  Die Einführung der Schuldenbremse dient keineswegs der wirtschaftlichen Erholung, das wissen auch ihre Befürworter sehr genau. Hinter der Schuldenbremse, hinter der ganzen Politik der neoliberalen „schlanken Staates“ steht eine ganz andere Agenda, nämliche die massive Umverteilung politischer und wirtschaftlicher Macht zugunsten der Herrschaftseliten:

- Entmachtung gewählter Parlamente und damit die Beseitigung demokratischer „Störpotentiale“, wie es sich auf nationalstaatlicher Ebene nach wie vor gibt. Statt dessen solle es volle Durchgriffsrechte für Brüssel, de facto für Berlin, auf die einzelstaatlichen Wirtschaftspolitiken und Haushalte geben. Die deutsche Kanzlerin Merkel, die in führenden Außenpolitik-Medien der BRD bereits als „EU-Kanzlerin“ (6) tituliert wird, und ihr „Vizkanzler“ Sarkozy werden demnächst einen Vorschlag auf den Tisch legen, um die EU-Staaten noch enger an ihre Leine zu legen.

- Großangriff auf die sozialen Sicherungssysteme, in Österreich vor allem die Sozialversicherung. Lohn- und Sozialkosten sollen EU-weit gesenkt werden, um die EU fit für die großen Exportschlachten zu machen

- Erklärung des Wirtschaftskrieges gegenüber dem Rest der Welt. Denn alle EU-Staaten auf das Exportchampion-Modell Deutschlands zu verpflichten, muss letztlich in einer aggressiven wirtschaftlichen Außenorientierung münden, die letztlich auch vor der kriegerischen Eroberung von Märkten und Rohstoffquellen nicht Halt macht.  

Der Widerstand aus Gewerkschaften und Arbeiterkammer gegen die Schuldenbremse ist erfreulich. Er bleibt freilich zahnlos, wenn nicht die Frage des Ausstiegs aus dem neoliberalen EU-Regime enttabuisiert wird. Die Versprechungen vom „sozialen Europa“ sind an der neoliberalen EU-Realität zerschellt. Es gilt daraus, die Konsequenzen zu ziehen, wenn wir uns wieder einen Raum für solidarische und demokratische Alternativen zurückerobern wollen.

Bevölkerung und Gemeinden mitentscheiden lassen!

Besonders gefordert sieht die Solidar-Werkstatt die GewerkschafterInnen im Nationalrat: Denn ein Drittel der Abgeordneten kann eine Volksabstimmung über ein Verfassungsgesetz erzwingen. (7) Über die Frage der Schuldenbremse muss es eine Volksabstimmung geben! Wir brauchen mehr und nicht weniger Demokratie, gerade in so wichtigen Fragen wie der Budgetpolitik. Auch die Gemeinden, die immer stärker unter der restriktiven Budgetpolitik leiden, müssen in die Entscheidung einbezogen werden. Die Solidar-Werkstatt verlangt daher: Keine budgetwirksame Verfassungsänderung ohne Zustimmung der Gemeinderäte, z.B. über eine Bundesgemeinderätekonferenz. 

Die Solidar-Werkstatt lädt ein zum Umzug

Jeder wird gebraucht, niemand ist überflüssig  
Gasgeben für die Zukunft statt Schuldenbremse!  
Mehr Geld für Bildung, Gesundheit, Pflege, Öffentlichen Verkehr, Umweltschutz und Gemeinden! Vollbeschäftigung füllt öffentliche Kassen! Raus aus der EU!
Samstag, 17. Dezember 2011
Treffpunkt: 10.30 Uhr, Schillerpark/Linz   


Anmerkungen:
(1) Der Standard, 26./27.11.2011
(2) Die Presse, 16.11.2011
(3) Kurier, 18.11.2011
(4) Council Recommendation of 12. July 2011 on the national reform programme 2011 of Austria and delivering a Council opinion on the updated stability programme of Austria, 2011-2014
(5) Guernica 1/2010
(6) www.internationalepolitik.de, 21.1.2011
(7) http://mehr-demokratie.at/index.php?option=com_content&view=article&id=402:volksabstimmung-ueber-europaeischen-stabilitaetsmechanismus-durch-oppositionsparteien-durchsetzbar&catid=1:meldungen&Itemid=2