ImageSeit 2003 erlebt die Türkei einen Schub an Privatisierungen. Die Folgen: weniger Arbeitsschutz, immer mehr Arbeitsunfälle mit immer mehr toten Arbeiterinnen und Arbeitern. Seit Amtsantritt der AKP sind 14.000 Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen. Dieser neoliberalen Politik sind auch die 301 Grubenarbeiter im Soma zum Opfer gefallen sind. Die EU trägt Mitschuld an diesen Toten. Beiliegend der Text eines Werkstatt-Flugblattes für die Anti-Erdogan-Demonstration am 19. Juni in Wien, zu der auch die Solidarwerkstatt aufruft.

 

Die EU trägt Mitschuld, denn die EU-Vertreter fordern von der Türkei, insbesondere im Rahmen EU-Beitrittsverhandlungen, seit Jahren eine Politik der Privatisierung und Wirtschaftsliberalisierung. Sie haben die AKP-Regierung durch die Eröffnung weiterer EU-Beitrittskapitel stets ermuntert und immer wieder belohnt für deren Angriffe auf Gewerkschaftsrechte und ihre brutale Privatisierungs- und Ausverkaufspolitik. Das Resultat sind täglich Arbeitsunfälle mit Toten.
 
Seit die AKP-Partei 2003 die Regierung übernahm, hat das Land ein neoliberaler Schub erfasst, der bis heute andauert. Allein in den sieben Jahren von 2002 bis 2009 verkauften die türkischen Regierungen frühere Staatsunternehmen im Wert von 28,5 Milliarden US-Dollar – mehr als das Dreieinhalbfache der Privatisierungen in den 16 Jahren zuvor. Laut der türkische Zeitung Hürriyet, sind in den vergangenen zehn Jahren staatliche Unternehmen für mehr als 54 Milliarden US-Dollar privatisiert worden.(1)

„Arbeitsstil der Privatwirtschaft“

Die Tragödie in Soma mit über 300 Toten zeigt den direkten Zusammenhang von Privatisierung und den katastrophalen Arbeitsbedingungen. Der betroffene Betrieb in Soma war bis zu seiner Privatisierung im Jahr 2005 in öffentlicher Hand. Der heutige Konzern-Chef Alp Gürkan protzte in einem Zeitungsinterview vor zwei Jahren mit folgenden Zahlen: „Der Staatsbetrieb produzierte eine Tonne Steinkohle für 130 US-Dollar und schrieb deshalb rote Zahlen. Wir haben die Produktionskosten pro Tonne auf 23,80 US-Dollar reduziert und erwirtschaften Gewinne.“ Auf die Frage, wie dieses „Wunder“ verwirklicht werden konnte, antwortete er: „Wir setzen den Arbeitsstil der Privatwirtschaft um.“(2) Konkret bedeutet dieser Stil: Erhöhen des Drucks auf die Belegschaft, Entlassungen, Lohndumping, Einsatz von Leiharbeitern, Sparen an Arbeitsschutz und -sicherheit, Verhindern von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit u.v.m. Und wenn die Leitungsetage des jeweiligen Unternehmens wie Gürkan gute Beziehungen zur Regierungspartei pflegt, braucht man keine unangekündigten Inspektionen und auch keine Sanktionen wegen Nichteinhaltung von Mindeststandards befürchten.

3 bis 4 tote ArbeiterInnen täglich
Soma ist kein Einzelfall. In der Türkei kommt es jährlich zu rund 700.000 Arbeitsunfällen. Knapp jeder 40. Beschäftigte ist jährlich an einem Arbeitsunfall beteiligt. In der 12-jährigen Regierungszeit der AKP verloren ca. 14.000 Arbeiter bei Arbeitsunfällen ihr Leben. Die Unfallrate ist sieben Mal höher als der EU-Durchschnitt. Weltweit nimmt das Land Platz 3 der ILO-Liste mit 82 Ländern ein. Statistisch sterben in der Türkei täglich drei bis vier Menschen bei Arbeitsunfällen.
Der Bergbau ist im Landesdurchschnitt die gefährlichste Branche. In den letzten 12 Jahren kam es in Kohlebergwerken zu über 70.000 Arbeitsunfällen – das entspricht einer täglichen Rate von 20 Unfällen. Der internationale Vergleich zeigt, dass die Zahl der getöteten Arbeiter pro abgebaute Mio. Tonne Kohle in der Türkei 360 Mal höher als in den USA ist. Laut der Gewerkschaftorganisation DISK haben die Todesfälle in der Bergbauindustrie in den Jahren der Privatisierungspolitik der AKP-Regierung um 40 Prozent zugenommen. 2002 kam es zu 872 Todesfällen in der Bergbauindustrie, 2013 kehrten 1.235 Kumpel nicht mehr von der Arbeit nach Hause zurück. Gleichzeitig sanken die durchschnittlichen Löhne der Minenarbeiter in privatisierten Minen um 30 Prozent.

Westliche Konzerne profitieren

Die transnationalen Konzerne zeigen sich erfreut über diese katastrophalen Arbeitsbedingungen. Lagen die ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei bis 2003 bei durchschnittlich einer Milliarde im Jahr, so sind sie mit der Privatisierungspolitik der AKP-Regierung sprunghaft in die Höhe geschnellt. Ihren Höhepunkt erreichten sie 2007 mit 22 Milliarden. Mit der Wirtschaftskrise gingen diese Kapitalimporte zwar zwischenzeitlich deutlich zurück. Im Jahr 2013 lagen sie allerdings bereits wieder bei knapp 13 Milliarden US-Dollar. Drei Viertel davon kommen aus der EU, der Großteil davon aus Deutschland. Auch österreichische Konzerne (z.B. OMV) mischen mittlerweile kräftig mit.

Viertgrößter Waffenimporteur

Die AKP-Regierung kollaboriert aber nicht nur wirtschaftlich sondern auch militärisch eng mit den westlichen Großmächten. Diese schüren Krieg und Gewalt gerade in jenen Ländern der „europäischen Peripherie“, die nicht zur völligen Öffnung für das EU-Freihandels- und Liberalisierungsregime bereit sind – mit dem Ziel, einen prowestlichen „Regime-Change“ herbeizuführen. Diese Blutspur reicht vom ehemaligen Jugoslawien, über Libyen und Syrien bis zur Ukraine. Die AKP-Regierung unter Erdogan unterstützt diese westliche Kriegspolitik auf vielfältige Art und Weise – von der Ausrüstung und Finanzierung islamistischer Gotteskrieger in Syrien bis hin zur Stationierung von US-amerikanischen, deutschen und niederländischen Patriotraketen im syrischen Grenzgebiet.

Die türkische Regierung wird dafür reichlich mit Kriegsgerät versorgt. Die Türkei zählt weltweit zum viertgrößten Waffenimporteur. Das Kriegsgerät kommt nahezu ausschließlich aus dem Westen: 40% der Lieferungen von schwerem Kriegsgerät an die AKP-Regierung (im Zeitraum 2003 – 2013) stammen aus EU-Ländern (davon mehr als Zwei-Drittel aus Deutschland), rd. 30% aus den USA, weitere 29% kommen von engen US-/EU-Verbündeten (Südkorea, Israel, Saudi-Arabien).(3)

Quellen:
(1) Sevim Dagdelen, in: Neue Rheinische Zeitung, 28.05.2014
(2) Türkei-aktuell, 14.5.2014, sh. www.solidarwerkstatt.at
(3) Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), www.sipri.org


Aufruf der Solidarwerkstatt
Euer Kampf ist unser Kampf!

Die AKP-Regierung in der Türkei erfüllt die Wünsche der großen EU-Konzerne: Schwächung der Gewerkschaften, hemmungslose Privatisierung und Neoliberalismus. Die AKP-Regierung marschiert Hand in Hand mit der Kriegspolitik von EU und USA in der Nahostregion. Was können wir in Österreich tun, um uns mit Gewerkschaften und Friedensbewegung in der Türkei zu solidarisieren? In erster Linie müssen wir uns selbst befreien! Wir müssen uns befreien von den EU-Vorgaben, die den Sozialstaat gefährden, die die Neutralität Österreichs zertrümmern, die österreichischen Konzernen eine räuberische Expansion ermöglichen – nicht zuletzt auch in der Türkei. Wir müssen verhindern, dass Österreich weiter mitmacht bei der EU-Politik, die den Mitgliedsstaaten und solchen, die es werden wollen, brutale Privatisierungsprogramme diktiert; wir dürfen nicht mehr weiter mitmachen bei einer EU-Politik, die Gewalt schürt und Waffen exportiert, um Länder in Afrika, im Nahen Osten und Osteuropa unter neokoloniale Kontrolle zu bekommen. Deshalb engagiert sich die Solidarwerkstatt für den Austritt Österreichs aus der EU. Wir wollen ein souveränes, aktiv neutrales Österreich, das solidarisch mit den Ländern des Südens ist statt beim EU-Imperialismus mitzumarschieren.

Der Kampf um Selbstbefreiung und um internationale Solidarität sind für uns zwei Seiten einer Medaille! Wir sagen daher den Menschen in der Türkei, die für ihre demokratischen und sozialen Rechte, für Frieden und Freiheit auf die Straße gehen:

Euer Kampf ist unser Kampf! Sizin mücadeleniz bizim mücadelemizdir!


Der Artikel kann hier als Flugblatt heruntergeladen werden.

Artikel: Kein Grubenunglück, sondern Massenmord!