Das Personenkomitee für eine Volksabstimmung über den EU-Fiskalpakt organisierte am 11. Mai eine Demonstration zum Parlament, um ein klares Zeichen zu setzen: Dieser Fiskalpakt ist ein Großangriff auf den Sozialstaat, den die EU-Machteliten wie etwa der EZB-Chef Mario Draghi bereits zum „Auslaufmodell“ erklärt haben. Und der Fiskalpakt ist ein Großangriff auf die Demokratie, weil die Mächtigen wissen, dass sie die Demontage des Sozialstaates auf demokratischen Weg nicht durchsetzen können. Deshalb zwingt dieser Pakt die gewählten Parlamente, die Budgethoheit an neoliberale Technokraten der EU-Kommission abzutreten. Dieses Budgetrecht, so wurde schon beim Auftakt am Westbahnhof betont, kann das Parlament aber gar nicht auf legale Weise nach Brüssel abtreten, ohne darüber zuvor eine Volkabstimmung abzuhalten.
Eine Tageszeitung spöttelte im Vorfeld der Demonstration am 11. Mai, dass ihm „keine besonders Prominenten“ angehören. Boris Lechthaler, der für das Personenkomitee die Abschlusskundgebung vor dem Parlament moderierte, zu diesem medialen Seitenhieb: „Ja das ist richtig, bei uns sind nicht die Karl-Heinz-Grassers, bei uns treffen sich nicht Schicki und Micki, bei uns engagieren sich Menschen, die als BetriebsrätInnen, als GemeinderätInnen, als AktivistInnen der Zivilgesellschaft wissen, wo die Menschen der Schuh drückt.“ Die RednerInnen bei der Abschlusskundgebung zeigten dann auch einen Querschnitt jener, die sich zusammengefunden haben, um Widerstand gegen den EU-Fiskalpakt zu leisten.
Am Beginn wurde eine Grußbotschaft von Dr. Matthias B. Lauer, Vorsitzender von ACUS (Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie) verlesen. Er bezeichnete den Fiskalpakt und den damit verbundenen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als „Frontalangriff auf den Sozialstaat, die Demokratie und die sozialen Rechte, die sich Generation (Generationen) von Beschäftigten, Erwerbslosen und Frauen erkämpft haben.“ Es gelte daher sich gegen den Fiskalpakt zusammenzuschließen „unabhängig davon, wie man sich zu anderen Fragen der Entwicklungsmöglichkeiten der Europäischen Union stellt.“ Nuray Orhan von der MigrantInnenorganisation DIDF (Föderation der demokratischen Arbeitervereine). betonte: „Der Neoliberalismus hat uns in die tiefe Wirtschaftskrise geführt, mit dem EU-Fiskalpakt soll der Marsch in diese Sackgasse verschärft fortgesetzt werden. Das müssen wir verhindern!“ Dabei sei es besonders notwendig, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen und unabhängig von Religion und nationaler Herkunft zusammenzuarbeiten. Gerhard Kohlmaier, AHS-Lehrer, Personalvertreter und Aktivist der „Steuerinitiative im ÖGB“ wies darauf hin, dass der Fiskalpakt „nicht nur ein Angriff auf den Sozialstaat, sondern auch ein Angriff auf das österreichische Bildungswesen ist“, das dadurch immer mehr in Richtung eines „Zwei-Klassen-Bildungssystem“ verändert werde. Horst Huemer, Arbeiterbetriebsratsvorsitzender in einem großen Industriebetrieb, berichtete aus seiner eigenen betrieblichen Tätigkeit, wie wichtig es sei, aktiv für die eigenen Rechte einzutreten und forderte „statt eines Fiskalpaktes einen Sozialpakt, mit dem die Sozialleistungen ausgebaut werden“.
Karin Chalupar, Gemeinderätin in Neuhofen (OÖ): „Die Wirtschaftskrise kann und darf nicht die Legitimation zur Beschneidung der Demokratie sein. Der autoritäre Kurs der EU-Wirtschaftspolitik muss den demokratischen Rechten der BürgerInnen weichen.“ Wolf-Götz Jurjans, Bezirksrat und Arbeiterkammerrat in Wien: „Das in jahrhundertelangen Kämpfen durchgesetzte Recht, über das Staatsbudget demokratisch entscheiden zu können, wird mit dem EU-Fiskalpakt in Frage gestellt . Der Sozialstaat, ebenfalls Ergebnis eines Kampfes von Generationen, droht dadurch stranguliert zu werden.“ Daher, so zitierte er abschließend den Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, sei die „Verhinderung des Fiskalpakts der BürgerInnen erste Pflicht.“ Internationale Grußworte an die DemonstrantInnen richtete auch Sabine Wils, deutsche EU-Parlamentarierin. Sie bezeichnete Fiskalpakt und ESM als die „vertragliche Festschreibung der Umverteilung von unten nach oben.“ Damit soll „das deutsche Modell des Lohndumping allen anderen EU-Staaten aufgezwungen werden.“ Das sei der vollkommen falsche Weg, sie plädierte daher für eine Europa mit gemeinsamen sozialen und ökologischen Standards. Erwin Maier von der Initiative „Mehr Demokratie“, bezeichnete die Frage, ob der Nationalrat bereits sei, den Fiskalpakt einer Volksabstimmung zu unterziehen, als „Nagelprobe“ für die Ernsthaftigkeit der derzeitigen Debatte über den Ausbau von Demokratie. „Die falschen Leute machen die falschen Regeln“, das zeige gerade der Umgang mit der Finanzkrise, so Maier; damit sich das ändere, müsse es in Hinkunft möglich sein, Volksabstimmungen von unten her einleiten zu können, statt sie vom Nationalrat erbitten zu müssen. Elisabeth Klatzer, Mitglied des ATTAC-Vorstandes, strich heraus, dass der Fiskalpakt keine Kündigungsklausel habe, damit er – wie die deutsche Kanzler Merkel forderte – „bindend und ewig“ gelte. Er sei daher ein „immerwährender Sozialabbauvertrag“, der unbedingt verhindert werden müsse. „Wir sind noch klein, wir werden größer“, gab sie sich zuversichtlich. Die angehende Mediendesignerin Eveline Steinbacher unterstrich: „Die im Fiskalpakt geplante Abgabe der Budgetsouveränität rührt an den Grundbausteinen unserer Verfassung und solche Änderungen schreiben zwingend eine Volksabstimmung vor. Die Ratifizierung durch das Parlament ohne vorherige Volksabstimmung ist daher illegal.“ Der Betriebsratsvorsitzende des VKI Oskar Streif, erinnerte daran, in welche unselige Vergangenheit zurückmarschiert werde, wenn in Zukunft EU-Kommission bzw. EUGH über die Budgetpolitik befinden könnten. „Das letzte Mal, dass in Österreich eine derartige Aufhebung der Gewaltteilung stattgefunden hat, war 1934, als das Parlament autoritär ausgeschaltet wurde.“ Norbert Bauer, Solidarwerkstatt und Betriebsratvorsitzender in einer Hotelkette, bezeichnete die Verschiebung der Ratifikation „als erster Etappenerfolg“. Er sei zwar davon überzeugt, dass letztlich ein Austritt aus dem neoliberalen EU-Konkurrenzregime unumgänglich sei, um wieder Spielraum für eine solidarische und demokratische Politik zu gewinnen, jetzt aber gehe es vorrangig darum „unabhängig von der Frage, ob wir eine soziale Veränderungen innerhalb der EU für möglich halten oder nicht, unsere Kräfte bündeln, um diesen Fiskalpakt zu verhindern.“
Jetzt gehe es darum, die nächsten Aktionen vorzubereiten. Alle, die sich daran beteiligen wollen, sind herzlich zum nächsten Treffen des Personenkomitees eingeladen: Mittwoch, 23. Mai 2012, 19 Uhr, Vereinslokal von DIDF (Gudrunstraße 133, 1100 Wien).
Mit einer von Günter Hager-Madun eigens adaptierten Version von "It's time to create another world" wurde die Kundgebung vor dem Parlament musikalisch beendet – in der Gewissheit, dass wir uns früher oder später in dieser Sache wieder vor dem Parlament versammeln werden.
Fotos von der Demo sind auf www.facebook.com/EUFiskalpakt zu finden. Kontakt zum Personenkomitte: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!