ImageDer sogenannten „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) wird als „Rettungsschirm“ für notleidende, hoch verschuldete EU-Staaten propagiert. Nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein.


De facto ist der ESM ein von den EU-SteuerzahlerInnen, also der breiten Masse der Bevölkerung, finanziertes Instrument, um abzusichern,
 
- dass für die Gläubiger hoch verschuldeter EU-Staaten (in der Regel große Banken, Vermögensbesitzer und Konzerne) das Verlustrisiko minimiert bzw. die Renditen gesichert werden
 
- dass die gewählten Parlamente in jenen Staaten entmündigt werden, die in der Währungsunion niederkonkurriert wurden. EU-Binnenmarkt und Währungsunion berauben v.a. die schwächeren Staaten jener Instrumente (Kapitalverkehrskontrollen, Währungsabwertung), um ihre Binnenwirtschaft zu schützen und zu entwickeln. Nach der Niederlage im Handelskrieg kommt die Überschuldung – und dann als „Rettung“ der ESM, der die Menschen drakonischen Sozial-, Lohnabbau- und Privatisierungsprogrammen unterwirft. Zum Schaden können sie sie auch noch den Hohn gefallen lassen, als „Faulenzer“ und „Bittsteller“ vorgeführt zu werden.
 
- dass ein kleinster Kreis von Regierungsvertretern und Technokraten abseits demokratischer Kontrolle die Verfügungsgewalt über riesige Finanzmittel bekommt, um eine neoliberale Wirtschaftsdiktatur in der EU zu festigen und zu vertiefen. Über die Bande deregulierter Finanzmärkte wird EU-Europa in eine deutsch geführte Hierarchie gepresst.

Der finnische Europa-Minister Alexander Stubb hat den Zusammenhang sehr präzise beschrieben: „Der Euro ist im Grunde eine darwinistische Währung geworden. Es gilt das Prinzip vom Überleben des Stärkeren.“ (1) Wer im EU-Wirtschaftskrieg unterliegt, kommt mit dem ESM auch politisch unter die Knute.

Entsprechend antidemokratisch ist der ESM konstruiert:

Eigenmächtige Erhöhung des Stammkapitals
700 Milliarden müssen von den EU-Staaten entweder direkt einbezahlt (80 Milliarden) oder in Form von „jederzeit abrufbarem“ Kapitals (620 Milliarden) bereitgestellt werden. Damit soll ein „anfängliches Darlehensvolumen“ von maximal 500 Mrd. Euro sichergestellt werden. Aber es kann aber noch viel mehr werden, denn der Gouverneursrat kann eigenmächtig eine Erhöhung des Stammkapitals beschließen - sogar noch vor Inkrafttreten des Vertrages. Was heißt das finanziell für Österreich: 2,2 Mrd. direkt einbezahlbar (jährlich muss ab jetzt ein Fünftel einbezahlt werden), gesamte Haftung: 19,5 Mrd. (Beim Parallellaufen von ESM und EFSF ergeben sich in Summe sogar 4,5 Mrd. an Direktzahlungen und Haftungen in der Höhe von 40 Mrd Euro). 

Alle Macht dem Gouverneursrat
Die Verfügung über diese riesige Summe ist maximal entdemokratisiert: Die Entscheidung trifft ein Zirkel eine kleinen Technokratenelite von Regierungsvertretern mit dem bezeichnenden Namen „Gouverneursrat“, der wiederum ein Direktorium aus Leuten „mit großen Sachverstand im Bereich Wirtschaft und Finanzen“ bestimmt. Die Parlamente haben keine Mitentscheidung. Selbst innerhalb dieser Technokratenelite gibt es eine klare Hierarchie. Denn mit dem ESM wird Euro-Land endgültig zur Aktiengesellschaft. Abgestimmt wird nach dem eingezahlten Grundkapital. Nur die deutsche und französische Regierung verfügen bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (80% des Grundkapitals) über eine sog. „Sperrminorität“, alle anderen können überstimmt werden. Beim sog. „Dringlichkeitsabstimmungsverfahren“ (85% des Grundkapitals), mit dem auf Antrag alle wichtigen Finanzgeschäfte getätigt werden können, wenn EU-Kommission und EZB „Dringlichkeit“ konstatieren, schafft zusätzlich zur deutschen und französischen auch die italienische Regierung noch den Sprung zur Vetomacht (sh. Grafik unten).

Neokoloniale Programme
Die ESM-„Finanzhilfe“ wird – nach dem Muster der neokolonialen Strukturanpassungskredite“ des IWF - an von der EU-Kommission ausgehandelte „strenge Auflagen“ gegenüber dem Empfänger gekoppelt. Wörtlich: „Der ESM kann einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren. Diese Auflagen können von einem makroökonomischen Anpassungsprogramm bis zur kontinuierlichen Erfüllung zuvor festgelegter Anspruchsvoraussetzungen reichen.“ (Art. 12) Diese werden von der EU-Kommission „im Benehmen mit der EZB und wenn möglich unter Einbeziehung des IWF“ ausgehandelt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass diese „strengen Auflagen“ ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben und die Arbeitslosenquote in Griechenland und Spanien auf über 50% katapultiert hat

Reaktionäre „Euro-Bonds“
Der ESM kann Kredite vergeben, Anleihen am Primär- und Sekundärmarkt kaufen und er kann selbst Anleihen begeben, Kredite aufnehmen. Durch die Hintertür sind damit die „Euro-Bonds“ bereits Wirklichkeit geworden, und zwar als durch und durch reaktionäres Instrument zur neoliberalen Unterwerfung jener Staaten, die im entfesselten EU-Wirtschaftskrieg unter die Räder gekommen sind. Und möglicherweise für die Zukunft auch als Instrument der EU-Machteliten, um strategische Projekte, die in den Parlamenten auf Widerstand stoßen würden, zu finanzieren, z.B. große Rüstungsprogramme. Der ESM kann das Kapital auch beliebig auf den Finanzmärkten veranlagen. Jenes Geld, das hinten und vorne in den Sozial- und Bildungskassen fehlt, kann also munter weiter das Finanzkasino befeuern.

Immer mehr Menschen begehren gegen diesen Wahnsinn auf. Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe, lässt das kalt: „Wenn man angesichts einer historischen Zwangslage unpopuläre Maßnahmen treffen muss, die auch nicht von den eigenen Bürgern verstanden werden, ist das nicht eine Frage, die mich sonderlich bewegt.“ (2) Arroganz war schon immer das Markenzeichen von Mächtigen und Mächten, deren Zeit abläuft.

Gerald Oberansmayr

Anmerkungen: 
(1) Rede am Europa College in Brügge, zit. nach süddeutsche Zeitung, 19.11.2011)
(2) Standard-Interview, 26.01.2012


GRAFIK:
Abgestimmt wird im ESM nach eingezahltem Grundkapital

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