Image"There is no alternative“, war die Kampfparole von Margaret Thatcher und ihren neokonservativen Rabauken, die nun EU-Kommission, EZB, Regierung und Großindustrie trommeln. Wir sagen: es gibt Alternativen zu Schuldenbremse und EU-Budgetdiktaten! Unter dem Motto „SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime!“ führen wir in der Solidar-Werkstatt derzeit eine intensive Debatte um solidarische, ökologische und demokratische Alternativen.



"There is no alternative“, war die Kampfparole von Margaret Thatcher und ihren neokonservativen Rabauken. Zwei Jahrzehnte später hören wir dieselbe Parole von EU-Kommission, EZB, Regierung und Großindustrie, um mit Schuldenbremse und neuen Budgetdiktaten die Demontage des Sozialstaats durchzupeitschen. Wäre die Medienlandschaft nicht bereits derart neoliberal hirnerweicht, würde wohl den meisten rasch dämmern, dass der Kaiser, der das ausruft, pudelnackt ist. Er erklärt zur Krisentherapie, was uns die Krise eingebrockt hat. Finanz- und Wirtschaftskrise und - im Gefolge - die Erhöhung der Staatsschulden sind schließlich das Ergebnis jahrzehntelanger neoliberaler Wirtschaftspolitik, wie sie die EU sogar in Verfassungsrang gehoben hat.

Insofern ist klar: Natürlich gibt es Alternativen, vorausgesetzt wir wagen es, aus der neoliberalen Zwangsjacke des EU-Konkurrenzregimes auszubrechen. Nur wer dieses Regime zum Tellerrand der Politik erhebt, vermag keine Alternativen mehr zu sehen.

Image Wir haben unter unsere Verhältnisse gelebt! Unter dem Motto „SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime!“ führen wir in der Solidar-Werkstatt derzeit eine intensive Debatte um solidarische, ökologische und demokratische Alternativen, die wir in einem neuen Programm für einen Solidarstaat in Österreich verdichten wollen. Unsere Grundüberlegung: Wir brauchen nicht weniger Staat, sondern wir brauchen deutlich mehr und einen grundsätzlich anderen Staat. Denn: Der Hauptgrund für die tiefe Krise, in der wir uns befinden, ist nicht, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten, ganz im Gegenteil: Wir haben unter unsere Verhältnisse gelebt! Sowohl die Löhne und Gehälter als auch die Nachfrage des Staates sind weit hinter der rasch wachsenden industriellen Produktivität zurückgeblieben, sodass diese in krisenverschärfenden Exportoffensiven und der Aufblähung des Finanzkasinos verprasst wurde, statt in gesellschaftlich sinnvolle Bahnen gelenkt zu werden.

In welche Bahnen wollen wir Geld und gesellschaftliche Arbeit lenken:

Gesundheit und Pflege:
- Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung – jede/r soll unabhängig von seinem/ihrem Einkommen Anspruch auf qualitativ hochstehende Pflegedienstleistungen haben
- Psychotherapie auf Krankenschein
- Einbeziehung von Zahnersatz, Zahnregulierung, Sehbehelfen und Brillen in die soziale Krankenversicherung

Bildung:
- Gesamtschule der 10 bis 14-Jährigen bei gleichzeitiger Senkung der Klassenschülerzahlen auf das finnische Niveau (rd. 15)
- Flächendeckende Ganztagsschulen
- Schul- bzw. Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr
- Recht auf fünf zusätzliche Bildungsjahre für jede/n nach dem 18. Lebensjahr Erhöhung des Hochschulbudgetsauf 2% des BIP

Öffentlicher Verkehr:
- Ausbau des Öffentlichen Verkehrs
 nach dem Muster der Schweiz (Ausbau in der Fläche, Halbstundentakt zwischen allen regionalen Zentren)
- Nulltarif auf allen Öffentlichen Verkehrsmitteln

Investitionsoffensive Gemeinden und Energie:
- Steigerung der kommunalen Investitionen zumindest auf den Stand vor dem EU-Beitritt
 (ca. 1,4% des BIP; derzeit bereits unter 0,6%)
- Erreichung eines energieautarken Österreichs auf der Grundlage erneuerbarer Energien innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahrzehnte.

Entwicklungszusammenarbeit:
- Umsetzung des Millenniumsziels von zumindest 0,7% des BIP für Entwicklungszusammenarbeit  (derzeit klägliche 0,3%)

20 bis 30 Milliarden mehr statt 9 Milliarden weniger. Das ist eine kurze Skizze unseres Diskussionsstands, vieles muss noch vertieft und ergänzt werden. Wir haben uns trotzdem über eine erste finanzielle Schätzung dieses Programms gewagt und sind auf einen Betrag von ca. 20 bis 30 zusätzlichen Milliarden an öffentlichen Mitteln gekommen. Manch einer mag sich die Augen reiben: Mit der Schuldenbremse will die Regierung bis 2017 die staatlichen Ausgaben pro Jahr um mindestens 9 Milliarden zurückfahren und wir fordern 20 bis 30 Milliarden zusätzlich? Können wir uns das leisten? Ja, das können wir, besser gesagt, das müssen wir uns leisten, wenn wir nicht von Krise zu Krise weitertaumeln wollen, weil die hohe wirtschaftliche Produktivität in gefährlichen Exportschlachten und Wirtschaftskriegen um die globalen Waren- und Kapitalmärkte verpulvert wird, die ganze Volkswirtschaften in den Ruin reißen und unabsehbare soziale, politische und militärische Konfrontationen heraufbeschwören. Oder einfacher: Wir müssen uns diese Ausgaben leisten, wenn wir den potentiellen Reichtum zum realen Reichtum vieler machen wollen: soziale Existenzsicherheit, gesundes Leben, eine lebenswerte Umwelt auch für nachfolgende Generationen, ein respektvolles Miteinander, mehr Bildung und Mitbestimmung für alle, friedliche Kooperation auf internationaler Ebene.

Vollbeschäftigungspolitik und Wertschöpfungssteuern. Wir sehen zwei Hauptquellen, mit denen der Ausbau der öffentlichen Leistungen finanziert werden kann:

Vollbeschäftigungspolitik: Vollbeschäftigung ist möglich, denn der Ausbau des Solidarstaats braucht viele Köpfe und Hände. Und Arbeitslosigkeit ist wohl die größte Vergeudung, die wir uns derzeit leisten. Sie führt zu politischen Verwerfungen, demütigt die Betroffenen und ist teuer: Jeder Arbeitslose kostet ca. 26.000 Euro im Jahr (17.000 Arbeitslosenunterstützung plus 9.000 Entlang von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen). Schon durch die Halbierung der Arbeitslosigkeit und dem besseren Ausschöpfen der gerade in Österreich hohen Arbeitsmarktreserven (z.B. unfreiwilliger Rückzug auf Hausarbeit oder Teilzeitarbeit) könnten rd. 6-7 Milliarden Euro zusätzlich in die öffentlichen Kassen gespült werden.

Wertschöpfungssteuern: Mit dem Tod des damaligen Sozialministers Alfred Dallinger im Jahr 1989 ist auch die Diskussion um die Wertschöpfungsabgabe im Bodensee versunken. Es gilt sie zu bergen. Mit einer rd. 5%-Abgabe auf alle Komponenten der Wertschöpfung können rd. 13-14 Milliarden zusätzlich mobilisiert werden. Gerade die Einbeziehung der Abschreibungen sichert die Überführung wachsender industrieller Produktivität in den Ausbau gemeinschaftlichen Dienstleistungen.

Neues Verteilungsmuster. Wertschöpfungsbezogene Steuern sichern nicht nur ein entsprechendes Volumen, wir sehen sie auch als Grundlage für einen individuellen Anspruch aller auf die vielfältigen öffentlichen Leistungen. Damit entfaltet sich ein neues Verteilungsmuster, wie wir es derzeit ansatzweise in der sozialen Krankenversicherung kennen: Jeder zahlt entsprechend seiner finanziellen Leistungsfähigkeit, jede/r bekommt entsprechend seiner/ihrer Bedürfnisse. Wer profitiert von einem solchen Solidarstaat? Sehr viele, denn neuere Untersuchungen bestätigen, dass in egalitären, sozial entspannten Gesellschaften alle glücklicher sind, auch die Reicheren. Natürlich profitieren die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung besonders, da sie für relativ geringe Beiträge den unentgeltlichen Anspruch auf Leistungen erhalten, die derzeit für sie entweder nur unter großen Entbehrungen oder gar nicht erschwinglich sind: vom Hochschulstudium für sie bzw. ihre Kinder über qualitativ hochwertige Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen bis hin zu einer umweltfreundlichen Mobilität.

Trotzdem muss man den Einwand ernst nehmen, dass für Geringverdiener auch 5% mehr an Abgaben schmerzhaft sind. Im Ringen um einen Solidarstaats kann und darf daher die sog. Primärverteilung zwischen Arbeit und Kapital nicht ausgeklammert werden. Vollbeschäftigungspolitik und der Ausbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen und gemeinnützigen Sektor würden dabei die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit enorm stärken. Vor allem die unteren Einkommensgruppen der ArbeitnehmerInnen, die im letzten Jahrzehnt besonders stark zurückgefallen sind, müssen rasch aufholen. Wir fordern deshalb einen Mindestlohn von 1.500 Euro brutto.

Gesellschaftliche Übel können keine nachhaltige Finanzierungsgrundlage sein. Auch andere Steuern sind wichtig: So treten wir für höhere Steuern auf Vermögen, Spekulation und Umweltverbrauch, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Großverdiener und Konzerne und eine Aufhebung der Privilegierung des Exports bei der Mehrwertsteuer ein. Im Unterschied zu ÖGB oder ATTAC sehen wir darin aber keine tragfähige Grundlage für den Aufbau eines Solidarstaates. Warum?
Zum einen wird das Volumen gerade im Bereich der Vermögenssteuern nicht ansatzweise ausreichen, um 20 bis 30 zusätzliche Milliarden zu mobilisieren. Die Bewertung von Vermögen ist außerdem höchst volatil, wie wir gerade während der Finanzkrise deutlich gesehen haben. Ein Sozialstaat muss aber auf stabilen Einnahmefundamenten beruhen, wie sie nur wertschöpfungsbezogene Abgaben, basierend auf einer Vollbeschäftigungspolitik, gewährleisten können. Zum anderen sehen wir Vermögens-, Finanztransaktionssteuern oder Umweltabgaben als Lenkungsabgaben, d.h. damit werden gesellschaftliche Übel (überbordender Reichtum, exzessive Spekulation, Umweltzerstörung, usw.) besteuert – mit dem Ziel, diese Übel zurückzudrängen. Ihr Erfolg bemisst sich daran, dass die Einnahmen zurückgehen. Wollte man durch solche Steuern jedoch dauerhafte Sozial- und Bildungsausgaben finanzieren, müsste man diese Übel geradezu kultivieren. Das halten wir nicht für sinnvoll. Einnahmen aus diesen Steuern können wertvoll sein, um Investitionen anzuschieben (z.B. Umweltsteuern, um eine ökologische Infrastruktur aufzubauen), und sie können helfen, Steuersenkungen (z.B. bei unsozialen Massensteuern wie der Mehrwertsteuer oder bei der Lohn- und Einkommenssteuer für mittlere Einkommen) gegenzufinanzieren.

Zweifellos sehen wir auch viele Bereiche, wo gespart werden sollte, z.B. bei Rüstung, Überwachungsstaat, Straßenbau. Am meisten gewinnen bzw. ersparen wir uns jedoch, wenn die knappen Umweltressourcen geschont, soziale und politische Konfrontationen abgewendet und die Menschen gesünder, klüger und glücklicher werden, indem wir jetzt intelligent mehr ausgeben. Wir ahnen gar nicht, welche Kostenlawine - und welches Leid - wir uns in Zukunft dadurch ersparen können.

Viele Fragen sind noch offen. Es braucht noch viel Diskussion, aber vor allem viel soziale Bewegung, um den Weg für eine Alternative Richtung Solidarstaat zu öffnen, weil ebenso mächtige wie bornierte Interessensgruppen dem entgegenstehen. Eine nachhaltige Erhöhung der Staatsquote, wie sie für einen Solidarstaat Österreich unumgänglich ist, würde durch die Verschärfung des EU-Stabillitätspakts 2011 sogar explizit verboten. Ein Solidarstaat ist Gegenprogramm und Alternative zu Schuldenbremse und EU-Budgetdiktaten.

Wir laden alle Interessierten ein, sich in und mit der Solidar-Werkstatt dafür zu engagieren.

Gerald Oberansmayr

www.solidarwerkstatt.at