Nachdem in den Jahren der Covid-Pandemie nicht so genau auf die Verschuldung geschaut wurde, fiel die schleichende Aushöhlung der Steuereinnahmen nicht so gravierend auf. Noch dazu konnte mit der steigenden Inflation begründet werden, dass den notleidenden BürgerInnen nun mehr im Portemonnaie bleiben soll. Jetzt, wo der EU-Fiskalpakt wieder in Kraft tritt (in modifizierter Form), beginnt sich die Aushöhlung der Beitragsgrundlage zu rächen – und eine Spirale des Sozialabbaus in Gang zu setzen.
Von der Steuerreform…
Mit der Einkommenssteuerreform wurden ab 2021 die Steuersätze gesenkt, vor allem für die mittleren und hohen Einkommen: zunächst mit der Senkung des Einkommenssteuersatzes von 25 auf 20%, dann mit der Absenkung der zweiten Stufe von 35 auf 30% und von 42 auf 40%. Da aber die Steuersenkungen im unteren Bereich bei den höheren Steuerstufen mitgenommen werden, profitieren die Steuerklassen höchst unterschiedlich. Genauer gesagt: Die untersten Einkommen profitieren gar nicht, und dann gilt: Die Steuererleichterung fallen umso üppiger aus, je mehr jemand verdient - von nur wenigen Euro bis über 1.500 Euro im Jahr ab 6.000 Euro monatlich. 4,26 Mrd. Euro im Jahr lässt sich man sich dieses Geschenk für oberen Einkommen kosten.
Ein weiteres Geschenk v.a. für die Reichen stellt die Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 23% dar. Hauptgewinner dieser Steuersenkung sind die größten Unternehmen: ¾ der Gewinne entfallen auf 2% der Unternehmen. Die Einnahmen aus der Gewinnsteuer sinken daher ab: von 13.500 (2023) auf 12.500 Millionen (2025). Kumuliert bis 2026 gehen dem Staatshaushalt 2,8 Mrd. Euro verloren.
… zur Abschaffung der kalten Progression…
Das größte Steuergeschenk für die Wohlhabenden und Reichen stellt wohl die Abschaffung der kalten Progression ab 2024 dar. Bezogen auf die Veranlagungsjahre 2024 bis 2027 beträgt die Gesamtentlastung durch die Abschaffung der kalten Progression 25,6 Mrd. € (2024: 3,7 Mrd. €, 2025: 5,7 Mrd. €, 2026: 7,4 Mrd. €, 2027: 8,9 Mrd. €). Dabei ist es in erster Linie eine Förderung derjenigen, die unter der Inflation am wenigsten leiden. Von der Abschaffung der kalten Progression profitiert das ärmste Einkommensfünftel satte 60 Euro im Jahr, das reichste Einkommensfünftel durchschnittlich das 8-Fache, nämlich 470 Euro.
… zur Lohnnebenkostensenkung
Doch der Geschenke noch nicht genug: Unter dem Begriff „Lohnnebenkostensenkung“ ist Schritt für Schritt in den letzten Jahren subtil die Axt an den Sozialstaat gelegt worden. Der Familienlastenausgleichsfond wurde seit 2016 schrittweise gesenkt – zunächst von 4,5% auf 4,1%, seit 2022 auf 3,9% und schließlich auf 3,7%. Der FLAF ist dienstgeberfinanziert, aus ihm werden wichtige familienpolitische Leistungen wie z.B. die Familienbeihilfe, das Kinderbetreuungsgeld, Schulbuchaktion oder die Schülerfreifahrt abgegolten. Fehlen die Mittel aus dem FLAF, müssen Bundesmittel zugeschossen werden, diese sind aber nicht dienstgeberfinanziert, sondern stammen zu 80% von ArbeitnehmerInnen.
Die soziale Unfallversicherung löst die Unternehmerhaftpflicht ab. Während notwendige Leistungsverbesserungen seit Jahren nicht umgesetzt werden, wurde der Beitragssatz in der Unfallversicherung in den letzten Jahren bereits mehrere Male gesenkt. Der Unfallversicherungsbeitrag, der von den DienstgeberInnen bezahlt wird, sank von 1,4% 2014 schrittweis auf 1,1% 2022 ab. Ein Teil der Beitragssatzsenkung wurde zu Lasten der Österreichischen Gesundheitskasse querfinanziert. Der sogenannte „Besondere Pauschbetrag“, der eine pauschale Abgeltung für die Behandlung von Arbeitsunfällen in nicht UKH-Spitälern regelt, wurde seit 2019 nicht mehr valorisiert und für die Jahre 2023 und folgende neu geregelt. Die Mehrbelastung der ÖGK der letzten Jahre beläuft sich damit auf fast 400 Millionen Euro.
Dabei wären Mittel aus der Unfallversicherung dringend notwendig: im Bereich der Unfallprävention und für die Ausweitung der Liste der Berufserkrankungen wie z.B. für Long Covid für alle, die sich im beruflichen Bereich angesteckt haben. Hauptprofiteur der Senkung der „Lohnenbenkosten“ sind hier wiederum die großen, personalintensiven Unternehmen (die gerne bereit waren, für die türkise Schatulle etwas springen zu lassen), während Klein- und Mittelbetriebe kaum einen Nutzen daraus generieren.
Der Insolvenzentgeltsicherungszuschlag, aus dem die Löhne von ArbeitnehmerInnen insolventer Unternehmen bezahlt werden, sank von 0,35% im Jahr 2020 auf mittlerweile 0,1% ab. Waren es bis 2020 noch rd. 350 bis 400 Millionen, so sind es derzeit nur mehr 230 Millionen.
Kumuliert über 10 Milliarden vorenthalten
Kumuliert summieren sich die Einnahmenausfälle durch „Lohnnebenkostensenkung“ seit 2016 auf insgesamt 7,3 Milliarden Euro. Pro Jahr kommen somit Mindereinnahmen von im Schnitt 1,67 Milliarden Euro zustande. Nimmt man die Senkung der Einnahmen durch die Einkommenssteuerreform, die Senkung der Gewinnsteuern und die Abschaffung der kalten Progression hinzu, kommt man schon allein für 2024 auf beträchtliche über 10 Milliarden Euro, die dem Staatshaushalt entnommen werden. Dahinter schauts noch düsterer aus.
Die Auswirkungen sind vielfach zu bemerken: So machte Landeshauptmann Kaiser Ende 2023 darauf aufmerksam, dass die Gemeinden das Ende der kalten Progression zu stemmen hätten, während ihre Aufgaben keineswegs kleiner geworden seien. Die Gesundheitsreform, für die der österreichische Ärztekammer-Vizepräsident und Bundesobmann der angestellten ÄrztInnen Harald Mayer 5,3 Milliarden für den ambulanten und stationären Bereich gefordert hat, ist mit 0,92 Milliarden im Zuge des Finanzausgleichs abgespeist worden. Sonst wäre ja die Deckelung der Gesundheitsausgaben (gemessen am BIP) nicht zu halten gewesen. Auch die Aufstockung des Pflegefonds (+644 Mio.) wird den Anforderungen an eine zeitgemäßes Pflegesystem nicht annähernd gerecht. Und der „Zukunftsfonds“ wird bestenfalls die Kostensteigerungen der Vergangenheit abdecken, aber nicht die dringend benötigten neuen Kinderbetreuungsplätze schaffen.
ÖVP-Pläne: Die Zeit der Monster…
Doch die Realitätsverweigerung geht noch weiter. Geht es nach den Plänen der ÖVP, so soll bis 2030 die Entlastung der Wohlhabenden und Reichen nochmals verschärft werden. So soll die unterste Steuerstufe von 20 auf 15% gesenkt werden und die Steuerstufe zwischen 67.000 und 99.000, die bislang 48% ausmacht, auf 40% gesenkt werden. Die Auswirkungen: Das unterste Einkommenszehntel profitiert mit satten 35 Euro im Jahr, das oberste Einkommenszehntel mit 1.932 Euro im Jahr (siehe Grafik 1). 2025 bis 2030 beträgt die aufsummierte Steuerentlastung 14,3 Milliarden Euro. Dazu kommen noch die Steuerbefreiung der Überstunden (-1,3 Milliarden bis 2030) und die Steuerbefreiung der Kapitalertragssteuer (-3,3 Milliarden bis 2030), die Eigenkapitalverzinsung (-10,2 Milliarden bis 2030) und schließlich noch das Glanzstück türkiser Voodoo-Steuerpolitik: die Reduktion der Dienstgeberbeiträge um jährlich 0,5%, beginnend mit 2025 macht das bis 2030 3% oder akkumuliert 19,9 Milliarden Euro. In Summe ergeben die Vorschläge, die Nehammer in seiner Rede in Wels gemacht hat, akkumuliert von 2025 bis 2030 sage und schreibe 49 Milliarden Euro. Eine Gegenfinanzierung ist nicht angedacht, sie ergibt sich von selbst: Angetrieben von der EU-Kommission, die ab 2024 wieder Ernst macht mit dem Fiskalpakt, geht der sozialpolitische Kahlschlag um.
Das Gesamtpaket der ÖVP mag schrill und irrlichternd wirken. Es wirkt wie der Abgesang der österreichischen Konservativen, die sich endgültig ihrem eigenen Untergang widmen möchten. Doch mit der EU-Kommission, mit den Rechtsextremen von der FPÖ und den Neoliberalen von der Neos stehen potentielle Bündnispartner für die Umsetzung dieses Programms bereit. Der italienische Marxist Antonio Gramsci meinte einmal, dass die Zeit der Monster anbräche, wenn die alte Welt im Sterben liegt und die neue noch nicht geboren ist. Nehammer und Co. haben ein Programm der Monster vorgelegt. Eine neue Ordnung, die auf Solidarität und Kooperation aufbaut, kann sie verscheuchen, indem sie die Finanzierung von Gesundheit, Pflege, Bildung, Kinderbetreuung, Klimaschutz, Gemeinden usw. auf eine solide Grundlage stellt. Auch wenn die Zeit auf unserer Seite sein mag, ein Spaziergang wird das mitnichten.
Gerald Oberansmayr