ImageAuch im öffentlichen Bereich werden immer mehr LeiharbeiterInnen beschäftigt. Ein Gespräch mit Raymond Karner, Betriebsrat bei der Leiharbeitsfirma AGO. Hunderte AGO-LeiharbeiterInnen, die lange Jahre im AKH-Wien gearbeitet haben, sind derzeit von der Kündigung betroffen. Werkstatt-Blatt: Warum hat sich die Stadt Wien derart massiv dagegen gewehrt, die AGO-Beschäftigten in das Stammpersonal zu übernehmen?

Raymond Karner: Einer der Hauptgründe ist sicher, dass von Seiten der rechten Stadtopposition seit Jahren gefordert wird, Einsparungen im öffentlichen Gemeindedienst zu vollziehen. Die Regierung setzt gerne das um, was die Opposition fordert, nur um nicht die eigenen Pfründe zu gefährden.
Dass der Bevölkerung im Endeffekt wissentlich ins Gesicht gelogen wird, ist wieder eine andere Sache. Es ist richtig, dass es einen Aufnahmestopp bei der Gemeinde gibt und somit die Personalkosten sinken. Was dabei aber nicht gesagt wird ist, dass zB. LeiharbeiterInnen nicht bei den Personalkosten aufscheinen sondern bei den Sachgütern. Oder dass Dienstleistungen wie die Gerätewartung oder die OP-Reinigung an Dritte ausgelagert werden. Abgesehen davon, dass sich hier Fragen der Haftung ergeben, sollte ein Unfall passieren – der/die PatientIn weiß ja nicht einmal wer geklagt werden muss: Gemeinde, Bund oder doch eine Fremdfirma? - ist das schlicht Augenauswischerei. Rund 30% aller Beschäftigten werden über derlei Konstruktionen im AKH eingesetzt. Wenn gleich viele Menschen benötigt werden, um den Krankenhausbetrieb überhaupt aufrecht erhalten zu können, beim Personal aber gespart werden soll, bleibt nur die Auslagerung von Arbeitsbereichen an Dritte. Und hier ist der Hund begraben: Wenn die gleiche Anzahl an ArbeiterInnen über eine Fremdfirma im AKH beschäftigt ist, die ihrerseits Gewinn machen will, das Ganze aber günstiger sein soll als wären sie direkt in der Gemeinde beschäftigt, dann ist das nur mittels niedrigerer Löhne und Gehälter möglich. Die Stadt Wien fördert mit ihrer Auslagerungspolitik schlichtweg Lohndumping.

WB: Euch ist es zwar nicht gelungen, die Kündigungen der LeiharbeiterInnen und das Outsourcing zu verhindern, aber Ihr konntet - zum ersten Mal in Österreich - einen Sozialplan für die AGO-ArbeiterInnen durchsetzen. Worauf führst Du diesen Erfolg zurück? Was bedeutet das für die Beschäftigten?


RK: Dass wir in unserer Firma den ersten Sozialplan innerhalb der Leiharbeitsbranche erreichen konnten, ist sicherlich ein kleiner Erfolg. Immerhin zeigt es, dass es auch in einer der am schlechtesten organisierten Branchen Österreichs – der Arbeitskräfteüberlassung – möglich ist, durch konsequente, engagierte und entschlossene Interessensvertretung den Firmeneignern Zugeständnisse abzuringen. Dies hätten wir niemals erreichen können, hätten nicht alle KollegInnen während der Sozialplanverhandlungen an einem Strang gezogen.
Andererseits ist der Sozialplan auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir sprechen hier nämlich nicht von einem Sozialplan wie man ihn beispielsweise aus der Industrie kennt, wo jede/r Arbeitnehmer/in mehrere Monatslöhne als Milderung für den Arbeitsplatzverlust erhält. Bei uns sind es zwischen € 165,- und € 500,- an Einmalzahlung. Bei den meisten reicht das nicht einmal für eine Monatsmiete. Die einmalige Zahlung von ein paar Hundertern kann nicht die Zukunftsängste der nächsten 10 Jahre nehmen.

WB: Welche Schlussfolgerungen ziehst Du aus Eurem mehrjährigen Kampf sowohl gegen die Repressalien der AGO-Geschäftsführung als auch die Stadt Wien (bzw. KAV), die die Übernahme verweigert haben?


RK:
Auf persönlicher Ebene war es eine grandiose Erfahrung hinter die Kulissen der österreichischen Politik und die Fassade des „Roten Wiens“ zu blicken. Wie sehr sich hier gewunden wird um nur ja nicht Farbe bekennen zu müssen. Vonseiten des AKH-Direktoriums hat es immer geheißen: „Wir sind nicht zuständig, geht zum KAV“. Beim KAV hat es dann geheißen: „Wir sind nicht zuständig, geht ins Rathaus“. Dort wurde uns von Gesundheitsstadträtin Wehsely gesagt: „Ich bin für ganz Wien zuständig, da geht mich so eine Kleinigkeit wie das AKH nichts an. Geht zum AKH oder zu euren Chefs.“ Und der AGO hat natürlich wiederum auf das AKH verwiesen. Zeitweise kamen wir uns vor, als müssten wir den Passierschein A38 von „Asterix erobert Rom“ bearbeiten oder wie Don Quijote gegen Windmühlen ins Feld ziehen. Niemand ist zuständig, aber alle entscheiden.

Das Highlight war aber sicher, als ich während des NR-Wahlkampfs 2013 zu einer TV-Diskussion mit BK Faymann ging, meine Fragen hinsichtlich des AKH aber schon vorab als einzige nicht zugelassen wurden und Faymann einen Bogen um mich machte, als er mich beim Eingang sah.
Wenn man Interessensvertretung so konsequent praktiziert, dass einem der Bundeskanzler höchstpersönlich aus dem Weg geht, um unangenehme Fragen nicht beantworten zu müssen, hat man als Betriebsrat doch etwas richtig gemacht.

Auf politischer Ebene ist das Resümee selbstverständlich desaströs. Es ist erschütternd, wie abgehoben und volksfern unsere PolitikerInnen sind. Wenn sich eine Partei sozialdemokratisch nennt und im selben Atemzug dafür sorgt, dass mehrere hundert Menschen ihre Arbeit verlieren, ist das nicht nur beschämend und traurig sondern schlicht Etikettenschwindel. Uns wurde aus dem Weg gegangen, mehrere Tausend Unterschriften wurden ignoriert, ebenso wie Briefe und Terminanfragen, Vereinbarungen wurden gebrochen, Maulkörbe verteilt, Weisungen uns nicht zu unterstützen wurden erlassen, usw.
Auf der anderen Seite bestätigen mich die gemachten Erfahrungen aber darin, weiter politisch aktiv zu sein und für die Rechte der arbeitenden Menschen zu kämpfen. Das Allerwichtigste ist aber mit Sicherheit, dass hunderte KollegInnen erkannt haben, wie wichtig eine betriebliche Interessensvertretung ist – wenn sie auch deren Interessen vertritt.