ImageMit dem Anstieg der Leiharbeit kehrt das überwunden geglaubte „Hire and fire“ in die Arbeitswelt zurück.

Die Anzahl der LeiharbeiterInnen ist in Österreich in den letzten 15 Jahren rapid angestiegen: von rd. 20.277 auf über 71.741(2013), eine Steigerung um über 250% (sh. Grafik 1) Dass der Anteil der LeiharbeiterInnen an allen ArbeiterInnen und Angestellten mit 2,2% relativ gering ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in manchen Sparten die Zeitarbeit außerordentlich expandierte. In der Metallbranche etwa steht jeder Zehnte im Sold von Manpower, Trenkwalder & Co.

ImageMit der Novelle zum ArbeitskräfteüberlassungsGesetz (AKÜG) 2013 konnte zwar die formalrechtliche Stellung dieser Zeitarbeitskräfte verbessert werden, eine aktuelle Untersuchung der Arbeiterkammer zeigt jedoch nach wie vor erhebliche Diskriminierungen. Grundsätzlich sind Leiharbeiter zwar nunmehr beim Entgelt mit dem Stammpersonal gleichgestellt, im Falle des Arbeitskräfteüberlassungs-KV (AKÜ-KV) gilt sogar die bessere Regelung: entweder der AKÜ-KV oder jener des Beschäftigerbetriebes. Tatsächlich gibt es allerdings eine Differenz zwischen dem tarifvertraglichen Mindestlohnniveau und dem oft höheren faktischen innerbetrieblichen Lohnniveau. Zwar sind zur Abminderung dieses Unterschieds für bestimmte Branchen sogenannte Referenzzuschläge vereinbart, im Regelfall wird dadurch die Differenz zwischen KV-Lohn und Ist-Lohn allerdings nicht kompensiert. Das legen die Ergebnisse einer BetriebsrätInnenbefragung der AK und der Gewerkschaft PROGE, Anfang 2014, nahe (1): Bei der kollektivvertraglichen Einstufung sehen ein Viertel der Betriebsräte die ZeitarbeiterInnen als diskriminiert an. Hinsichtlich der Ist-Löhnen sogar 35%. Und bei Bonifikationen, Prämien und Betriebspensionen klagt eine Mehrheit über klare Benachteiligungen. Zurückgegangen ist zwar die Diskriminierung bei innerbetrieblichen Sozialleistungen, hinsichtlich Weiterbildungsmöglichkeiten fallen aber die Leiharbeitskräfte immer noch gravierend gegenüber ihren fixangestellten KollegInnen zurück (sh. Grafik 2). „Leiharbeitskräfte sind nach wie vor Arbeitnehmer zweiter Klasse“, resümiert AK OÖ-Präsident Johann Kalliauer (2).

Image„Das Hire and fire konnten wir nicht unterbinden“
Trotz all dieser Diskriminierungen kann durchaus bezweifelt werden, ob Leiharbeitskräfte dem Beschäftigerbetrieb unter dem Strich billiger kommen, immerhin wollen auch die Verleihfirmen daran verdienen. Warum sich diese neue Form atypischer Beschäftigung wachsender Beliebtheit erfreut, dürfte vor allem andere Gründe haben: Mit der Leiharbeit zieht die überwunden geglaubte (Un-)kultur des „hire and fire“ wieder in die österreichischen Werkstätten und Büros ein. LeiharbeiterInnen sind kein Personal- sondern Sachaufwand; sie können wie eine Palette Ziegel bestellt – und auch wieder abbestellt werden. Beim Kriseneinbruch 2009 wurden innerhalb eines Jahres über 11.000 Zeitarbeitskräfte abgebaut (rd. 16%). In nur 20 von 1200 Leiharbeitsfirmen gibt es Betriebsräte (sh. Interview Walter Theisl). Während Massenkündigungen bei der Stammbelegschaft zumindest durch Sozialpläne abgefedert werden, sehen die Zeitarbeitskräfte auch hier fast immer durch die Finger. Rene Schindler, der für die Gewerkschaft das neue Arbeitskräfteüberlassungsgesetz verhandelt hatte, weiß um die Grenzen der neuen rechtlichen Regelungen: "Das Hire und Fire konnten wir nicht unterbinden.“(3) Nur etwa 40 Prozent der geleasten Arbeiter werden länger als drei Monate in ein und demselben Betrieb beschäftigt.


„Der Nächste bitte!“

Doch Leiharbeitskräfte sind nicht nur der Treibsand am Arbeitsmarkt, den man bei Auftragsspitzen aufbaut, um ihn dann in der Flaute wieder rasch loszuwerden. LeiharbeiterInnen werden in vielen Unternehmungen mittlerweile zu einer Dauererscheinung. Bei vielen Unternehmen gilt Leiharbeit als neue Personalrekrutierungsmethode. Ein Betriebsrat schildert diese Praxis in seinem Unternehmen: „Eine Zeit lang haben wir 500 permanente Leiharbeitskräfte gehabt. Da hat es keine direkte Aufnahme einer Arbeiterin oder eines Arbeiters gegeben. Das läuft nur über Leiharbeit zuerst. Ausprobieren und Schauen: Wie ist er, was kann er, wie entwickelt er sich. Wenn es nichts ist: Der nächste bitte! Das ist leider so.“(1)

Diese dauerhafte „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ gibt den Geschäftsführungen neue Mittel zur Entsolidarisierung der Belegschaft in die Hand, um den Leistungsdruck für alle zu erhöhen. Wer nicht zu ständiger Mehrarbeit und Flexibilität bereit ist, kann jederzeit ersetzt werden. Mit der Peitsche der raschen „Abbestellung“ und der Karotte der Übernahme in das Stammpersonal können Leiharbeitskräfte besonders diszipliniert werden. Letzteres geht in den meisten Fälle nicht auf: Nur 12% der Leasingkräfte werden nach ihrem Arbeitseinsatz vom Beschäftigerbetrieb übernommen (4).

„Einvernehmlich“ in die Arbeitslosigkeit

Rechtliche Schutzbestimmungen werden von Leasingfirmen oftmals brutal ausgehebelt. Besonders beliebt: Sobald ein Leasingarbeiter vom Beschäftigerbetrieb „abbestellt“ wird, wird ihm vom Überlasser eine „einvernehmliche“ Lösung des Arbeitsverhältnisses „nahegelegt“, um keine Stehzeiten finanzieren zu müssen. Die meisten Leiharbeitskräfte gehen zähneknirschend darauf ein, weil sie sonst keine Chance auf eine weitere Vermittlung haben. Motto: Wenn du nicht mitspielst, bist du beim nächsten Mal nicht mehr mit dabei. Sobald wieder ein Auftrag vorhanden ist, melden sie sich aus der Arbeitslosigkeit zurück. Über die Weihnachtsfeiertage 2012 haben die Gewerkschaften rund 2400 Fälle von Scheinkündigungen registriert, mit denen sich Unternehmen der Bezahlung von Feiertagen und Stehzeiten entledigen (5). Laut einer Studie der L&R Sozialforschung seien 40 Prozent mit der vermeintlich einvernehmlichen Lösung nicht einverstanden (6). Die finanziellen Belastung werden auf die LeiharbeiterInnen durch Arbeitslosigkeit und die Allgemeinheit, die für die Arbeitslosigkeit zahlt, abgewälzt.

ImageDasselbe Spiel wiederholt sich bei Krankenständen. Leasingarbeiter, die krank werden, kommen rasch unter Druck „einvernehmlich“ das Arbeitsverhältnis zu beenden. Das Leasingunternehmen erspart sich die Entgeltfortzahlung, Krankengeld zahlt die Krankenkasse. In keiner anderen Wirtschaftssparte gibt es mehr Krankengeldfälle als in der Leasingbranche. Obwohl von allen unselbständig Beschäftigten in Oberösterreich nur 3,9 Prozent in der Leiharbeitsbranche arbeiten, entfallen 9,7 Prozent aller Krankengeldfälle auf diese Sparte (7). Besonders krasse Fälle, die an die Öffentlichkeit gedrungen sind, lassen erahnen, welche Unsitten in dieser Branche herrschen. Bekannt wurde etwa der Fall eines Krebspatienten, der im Spitalsbett zur „Einvernehmlichen“ gedrängt wurde (3).

Diese Praxis, kranke Leiharbeiter in die Arbeitslosigkeit zu drängen, veranlasst viele, krank in die Arbeit zu gehen. Zu diesem Ergebnis kommt der AK-Arbeitsgesundheitsmonitor aus dem Jahr 2012. 44 Prozent der befragten Leasingbeschäftigten gaben bei der Befragung an, in den vorangegangenen sechs Monaten zumindest einmal krank zur Arbeit gegangen zu sein – von den fest angestellten Befragten taten dies „nur“ 39 Prozent (7).

Zeitarbeit zehrt an Nerven und am Geldbörsel
Diese prekären Arbeitsbedingungen hinterlassen ihre Spuren bei den ArbeiterInnen. Dauernde Jobwechsel, Spitzenbelastungen, fehlende Anerkennung, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit zehren an den Nerven und am Geldbörsel. Laut einer Studie der L&R Sozialforschung über LeiharbeiterInnen (4) leben 65 Prozent der zeitarbeitenden Frauen und 40 Prozent der Männer an der Armutsgrenze. Das Einkommen beträgt der Studie zufolge oft weniger als 800 Euro, nur ein Drittel der Leiharbeitenden kann von der Arbeit gut leben.
Unübersehbar sind auch die physische und psychische Spuren dieser prekären Arbeitsform: Knapp sechs Prozent aller Krankenstände in Oberösterreich entfielen im vergangenen Jahr auf die Leiharbeitsbranche (6). Damit liegt der Leasingbereich auf dem dritten Platz unter allen Berufssparten, obwohl LeasingarbeiterInnen deutlich jünger sind als der Durchschnitt der Beschäftigten. Bei Leiharbeiter weisen doppelt so viele Personen Krankenstände aufgrund psychischer Diagnosen auf wie bei Stammbeschäftigten. Der Konsum von Psychopharmaka liegt um 25% über dem Durchschnitt der anderen ArbeitnehmerInnen (7).

1977 und 1982 legte die Gewerkschaft bereits Gesetzesentwürfe zum Verbot der Leiharbeit vor. Es ist Zeit, diese wieder aus der Schublade zu holen. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dem Trend in Richtung noch prekärerer Formen der Beschäftigung einen Riegel vorzuschieben. Walter Theisl, Betriebsrat bei Manpower, verweist darauf, dass zuletzt die Zahl der LeiharbeiterInnen bereits rückläufig war, weil sie in den Unternehmen durch „neue Selbständige“ ersetzt werden, die noch flexibler und rechtloser sind. Theisl: „Diese haben keine Kollektivverträge, keinen Urlaubsanspruch, keine Bezahlung im Krankheitsfall, keine Kündigungsfrist, keinen Anspruch auf Arbeitslosenentgelt, keine Maximalarbeitszeit und arbeiten - zum Teil – bis zu 16 Stunden am Tag.“

Gerald Oberansmayr
2.7.2014


Anmerkungen:
(1) AK, PRO-GE, Leiharbeit - Faktische Auswirkungen des Gleichbehandlungsgebots, April 2014
(2) AK OÖ, Leiharbeiter weiterhin benachteiligt, 10.11.2013
(3) Profil, 17.6.2013
(4) L&R Sozialforschung, Leiharbeit in der Krise, Wien 2010
(5) Kurier, 17.12.2013
(6) AK OÖ-Pressekonferenz, Leiharbeit macht krank, Linz, 2.8.2013
(7) OÖ-GKK, Studie „Leiharbeit und Versorgung psychischer Erkrankungen“, Linz 2011