ImageInterview mit Univ. Prof. Dr. Joachim Becker (Wirtschaftsuniverstität Wien) über die Hintergründen der Budgetmisere Griechenlands und Krisenpolitik der EU. Die nun von der EU vorangetrieben Politik des prozyklischen Sparzwangs und der Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik erinnert den Ökonomen "an die Politik der Regierung Brüning in der Endphase der Weimarer Republik." Die Regierung Brüning ebnete Anfang der 30er Jahre mit ihrer krisenverschärfenden Sparpolitik maßgeblich dem Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten den Weg. Die Werkstatt Frieden & Solidarität organisiert mit Joachim Becker am Mi, 23. Juni 2010 eine Veranstaltung in Linz unter dem Titel "Der Fall Griechenland - Die Radikalisierung des Neoliberalismus durch die EU" 

 

 

Frage: Worin siehst Du als Ökonom die wesentlichen Gründe für die Budgetmisere Griechenlands?

Joachim Becker: Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste Grund hängt mit der aktuellen schweren Krise zusammen. Die Rezession hat in allen EU-Ländern einerseits die Staatseinnahmen zurückgehen lassen und andererseits zusätzliche Staatsausgaben erforderlich gemacht. In den Ländern mit einer schweren Krise des Finanzsektors, wie Großbritannien, Irland, den Benelux-Ländern und in geringerem Maße auch Deutschland, Österreich oder Frankreich, sind große Mittel in den Bankensektor geflossen. Teils wurden auch hohe Staatsgarantien vergeben. Dieser Faktor war in Griechenland allerdings nicht besonders bedeutend. Weiters sind durch die steigende Arbeitslosigkeit höhere Sozialausgaben erforderlich gewesen. Steigende Budgetdefizite und damit Staatsschulden sind also zunächst einmal Folgen der Krise, nicht ihre Ursache.

Daneben gibt es aber auch Ursachen, die spezifisch mit der politischen Ökonomie Griechenlands zusammenhängen. Das Budgetdefizit Griechenlands war schon vor der Krise verhältnismäßig hoch. Dies liegt an den recht geringen Steuereinnahmen Griechenlands, die ihre Ursache nicht zuletzt bei recht systematischer Steuervermeidung und –hinterziehung der Selbständigen, vor allem in den freien Berufen, haben. Der Sektor der Selbständigen ist in Griechenland größer als in anderen EU-Ländern. Die Probleme lagen mithin weniger auf der Ausgabenseite als auch der Einnahmenseite des Budgets.

Griechenland war und ist besonders verwundbar durch äußeren Druck, da die Staatstitel zu über 80% von AusländerInnen gehalten werden und das Land aufgrund seiner großen Außenhandelsdefizite von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland, beispielsweise in Form von Krediten, abhängig ist. Griechenland, Spanien und Portugal werden oft in einem Atemzug genannt. Doch im Hinblick auf das Ausmaß der Staatsschulden unterscheiden sie sich gravierend. Spanien liegt hierbei sogar unter dem EU-Durchschnitt.  Gemeinsam haben die drei Länder hingegen hohe Leistungsbilanz- und Außenhandelsdefizite. Speziell Spanien und Portugal haben im Rahmen des EU-Beitritts eine teilweise Deindustrialisierung erlitten. Griechenland zeichnet sich durch eine generelle Schwäche der Industrie aus. Oft wird hier zu Lande gesagt, die Griechen lebten über ihren Verhältnissen. Dabei war laut Eurostat ein Fünftel der griechischen Bevölkerung im Jahr 2008 armutsgefährdet. Das galt auch für 14% der Beschäftigten in Griechenland, was nach Rumänien der zweithöchste Wert ist.

Die restriktive Lohnpolitik Deutschlands der letzten Jahre hat dort zu einem raschen Anstieg der Exportüberschüsse beigetragen. Den Exportüberschüssen Deutschlands stehen die Handelsbilanzdefizite der südeuropäischen Länder gegenüber. Die deutsche Politik ist zu Lasten der anderen EU-Länder, aber auch der Beschäftigten in Deutschland selbst gegangen. Die relativ hohen Wachstumsraten in Spanien und Griechenland in den Jahren vor der Krise waren nicht zuletzt durch die rasante Zunahme der privaten Verschuldung, die durch den Beitritt zur Euro-Zone billiger geworden war, getragen. Zu den wichtigsten Gläubigern gehören Banken in Deutschland, aber auch in Frankreich. Diese haben ein Interesse daran, dass der griechische Staat seine Kredite weiter bedienen kann. Dies ist auch der Hintergrund für das EU-Stützungspaket.


Frage: Welche Folgen werden die von EU und IWF bezogen auf Griechenland getroffenen Maßnahmen haben?

Joachim Becker: Im Zentrum der Maßnahmenpakete stehen Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und bei den Pensionen. Hinzu kommen Privatisierungen und Steuererhöhungen. Der Akzent liegt eindeutig bei den ausgabeseitigen, nicht den einnahmeseitigen Maßnahmen. Das Griechenland-Paket entspricht der traditionellen Rezeptur des IWF und bedeutet eine Radikalisierung der neo-liberalen Politik.

Die starken Einkommenskürzungen werden einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung nach sich ziehen. Dies trifft die Steuereinnahmen erneut negativ. Dann wird es heißen: Es muss noch schärfer gespart werden, um die Budgetziele zu erreichen. So kommt dann eine Spirale von Kürzungen, Rückgang von Wirtschaftsleistung und Steuereinnahmen und dann erneuten Kürzungen in Gang. Dies ist eine deflationäre Logik. Die Schuldenproblematik wird so nicht gelöst. Bezogen auf das nun schrumpfende BIP wird die Last der Staatsschuld absehbar sogar weiter steigen.

Deutliche Wirkungen werden die Einkommenskürzungen hingegen auf die Importe haben. Die Handelsbilanz wird sich so verbessern, die Produktionsstrukturen allerdings nicht. Eine ähnliche Politik haben Europäische Kommission und IWF auch mit den Regierungen Ungarns, Lettlands und Rumäniens vereinbart. Die sozialdemokratischen Regierungen Portugals und Spaniens haben unter äußerem Druck ebenfalls Schritte zu Gehaltskürzungen bzw. Einschnitten bei Sozialleistungen angekündigt. Die Nachfrage wird so in der süd- und osteuropäischen Peripherie weiter zurückgehen oder jetzt erst recht einbrechen. In Ländern wie Deutschland und Österreich wird es dann heißen: Auch wir müssen den Gürtel enger schnallen. Denn sonst sind wir bei den Exporten nicht konkurrenzfähig. Damit läuft diese Politik auf die Generalisierung einer deflationären Tendenzen und einer Radikalisierung neo-liberaler Politik hinaus, die von den Rändern ausgeht.

Frage: Wie beurteilst du insgesamt die sog. „Anti-Krisen“-Politik der EU?

Joachim Becker: Nach ein paar vorsichtig keynesianischen Maßnahmen zu Beginn der Krise lässt die aktuelle Politik Parallelen zu den 1930er Jahren erkennen. Mich erinnert sie an die Politik der Regierung Brüning in der Endphase der Weimarer Republik. In der EU gibt es klare Signale für die Institutionalisierung einer pro-zyklischen Politik und die Aushebelung der parlamentarischen Budgetrechte. In den Ländern Süd- und Osteuropas mit Stützungsprogrammen von Europäischer Union (bzw. den Ländern der Euro-Zone) und IWF steht die Budgetpolitik ohnehin bereits jetzt unter dem faktischen Diktat von außen. Es gibt also auch Tendenzen zur weiteren Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik.

Nicht intendiertes, aber reales Resultat dieser Politik wird die Stärkung zentrifugaler Tendenzen in der EU sein. Diese gehen allerdings nicht von den peripheren Ländern, sondern eher vom Zentrum aus. Die deutsche Bundesregierung und das deutsche Kapital sind nicht bereit, von der neo-merkantilistischen, einseitig auf die Erzielung von Exportüberschüssen orientierten Politik abzugehen und über eine expansivere Lohn- und Budgetpolitik den Druck auf die Peripherieländer abzumildern. Stattdessen gibt es in Deutschland rassistische Anwürfe gegen Griechenland und eine beginnende Debatte darüber, ob die Euro-Zone ohne Griechenland nicht besser dastünde.  Solche Reaktionen sind als wohlstandschauvinistisch zu beurteilen.

Die Proteste gegen die restriktive EU-Politik sind hingegen bislang noch stark auf die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes beschränkt und national fragmentiert.

Joachim Becker ist a.o. Professor für Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und Redakteur der Zeitschrift „Kurswechsel"