Auszug aus einem Beitrag von Stathis Kouvelakis in Jacobin-Magazin. Stathis Kouvelakis ist Mitglied des Zentralkomitees von Syriza und der „Linken Plattform“ innerhalb von Syriza.
Die politische Strategie des „Links-Europäismus“, für die die Mehrheit von Syriza, also auch die Syriza als solche, fünf Jahre lang eingetreten ist, hat eine vernichtende Niederlage erlitten. Das ist jenes Konzept, dass man die Memoranden und die Austerität im spezifischen Rahmen der Eurozone bzw. im Rahmen der EU überwinden könne. Dass es keines alternativen Planes bedürfe, weil schlussendlich eine positive Lösung innerhalb des Euros gefunden werden könne, dass man bei Verhandlungen etwas durchsetzen könne, wenn man sich als „guter Europäer“ inszeniert und Treuebekenntnisse zum Euro ablegt.
Ich denke, dass in den letzten Monaten sehr deutlich demonstriert wurde, dass nichts davon möglich ist. Es wurde deshalb so deutlich demonstriert, weil genau das von einem politischen Subjekt versucht wurde, das bis zum Schluss an diese Möglichkeit glaubte und sich ein Bein ausgerissen hat, innerhalb dieses EU-/Euro-Rahmens zu arbeiten und sich hartnäckig weigerte, einen anderen Weg in Erwägung zu ziehen.
Aus diesem Grund hilft uns der Vorwurf, dass Tsipras ein „Verräter“ sei, nicht weiter, auch wenn es emotional verständlich ist, dass sich jemand verraten fühlt, wenn innerhalb einer Woche ein 62-Prozent „Nein“ in ein „Ja“ verdreht wird. Alexis Tsipras, der griechische Premierminister, führte keinen Geheimplan aus, um uns zu verkaufen. Er sah sich mit dem völligen Bankrott seiner Strategie konfrontiert. Und wenn eine politische Strategie scheitert, bedeutet das, dass nur mehr die Wahl zwischen schlecht und noch schlechter verbleibt. Und genau das ist geschehen. Dieser „Links-Europäismus“, um den sich die Debatte Syrizas und die Euro-Linke generell drehte, hat eine niederschmetternde Niederlage erlitten. […]
Die neue Vereinbarung, die von der griechischen Regierung unterzeichnet wurde, setzt nicht einfach die Troika-Herrschaft fort, sie vertieft diese. Wir sind nun in einer Situation, in der der griechische Staat und jede gewählte griechische Regierung keinen einzigen Hebel mehr in der Hand hat, um noch irgendeine Politik zu machen. Das ist wohl die tiefere Absicht der Memoranden, vor und neben der Implementierung eines weiteren barbarischen Austeritätspakets.
Neokoloniale Ketten
Das Finanzamt wurde völlig vom Rest des Kabinetts getrennt und unter die Kontrolle der Troika gestellt und hat völlige Autonomie gegenüber der Regierung erhalten. Ein Finanzrat wurde eingerichtet, der automatisch Einschnitte vornehmen kann, sobald es eine Abweichung von den Fiskalzielen gibt, die im Memorandum festgelegt wurden. Der heimtückische 50-Milliarden Fonds wurde ebenfalls unter der direkten Kontrolle der Troika geschaffen, und das gesamte öffentliche Eigentum Griechenlands, das für die Privatisierung vorgesehen ist, befindet sich unter seiner Rechtssprechung.
Sogar EL.STAT, das griechische Statistikamt, ist augenscheinlich in eine Behörde verwandelt worden, die direkt von der Troika kontrolliert wird und als Instrument dient, um auf Basis täglicher Statistiken die Vorgaben der Memoranden zu exekutieren.
Ich gehe soweit zu behaupten, dass Griechenland in ein […] Land verwandelt wurde, dessen Hände und Füße in neokolonialen Ketten liegen, mit dem Status eines bedeutungslosen und ruinierten Halb-Protektorats am Balkan. Unter diesen Umständen stehen wir vor der Herausforderung, die nationale Souveränität zurückzugewinnen, als Voraussetzung nicht einmal um eine antikapitalistische, sondern um schlicht und einfach eine demokratische und progressive Politik betreiben zu können. […]
Austritt aus Eurozone und EU
Wir müssen Griechenland und die Menschen in Griechenland von den Ketten der Eurozone befreien, und sofort einen Plan ausarbeiten, für ein Ende der Spardiktate (Memoranden), für den Austritt aus dem Euro und für die umfassende Konfrontation mit der EU, die meiner Meinung nach bis hin zum EU-Austritt gehen sollte. […]
Dieses Projekt – und das ist keineswegs unvereinbar mit dem bisher gesagten – ist zutiefst internationalistisch. Nicht nur weil die Verteidigung der grundlegenden Klasseninteressen der arbeitenden Menschen eines Landes von Natur aus internationalistisch ist, da die ausgebeuteten Schichten verschiedener Länder gemeinsame Interessen haben. Es ist internationalistisch in einem sehr viel konkreteren Sinn, weil ein Bruch des schwächsten Gliedes der Eurozone und der EU den Weg für weitere Brüche in Europa öffnet und dem reaktionären und unbeliebten EU-Gebäude einen mächtigen Schlag versetzt. […]
Der Kampf der Griechen und anderer europäischer Völker gegen den eisernen Käfig der EU wird den Klassen- und den imperialistische Charakter dieses Gebäudes offen legen und wird es auf diese Weise ermöglichen, die Kämpfe in den Zentren mit breiteren Bewegungen gegen imperialistische und kapitalistische Herrschaft auf globaler Ebene zu verbinden, insbesondere mit den Bewegungen des globalen Südens […].
Beitrag in voller Länge auf Englisch auf www.jacobinmag.com
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