ImageMit dem Artikel 188n AEUV*) können die nationalen Parlamente bei Freihandelsverträgen selbst dann, wenn sie zur Mitentscheidung berechtigt sind, dauerhaft entmündigt werden. Österreich erlebt das gerade beim EU-Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien. Man kann ahnen, was das für TTIP, CETA, TISA & Co bedeutet.  



Die EU-Kommission gehört zu den Motoren einer aggressiven Freihandelspolitik. Dazu wird sie per EU-Vertrag ermächtigt. Denn in der EU ist die Grundsatzfrage, ob man Freihandel grundsätzlich für sinnvoll oder – wofür es gute Gründe gibt – für weniger sinnvoll hält, der demokratischen Entscheidungsfindung weitgehend entzogen. Das Bekenntnis zur „Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen“ ist im Artikel 206 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU eingraviert. Ein bleibt ein Geheimnis jener grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten, die sich jetzt über TTIP mokieren, warum sie seinerzeit (2008) alles getan haben, um den Vertrag von Lissabon ohne Volksabstimmung durchzuwinken, der die EU-Kommission dazu ermächtigt, ja gerade zu dazu verpflichtet, schrankenlosen globalen Freihandel zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Ventil nur in eine Richtung

 

Auch im Bereich der Handelspolitik funktioniert die EU wie ein Ventil, das nur in eine Richtung geht. Man kann zwar vielleicht blockieren, die Richtung selbst aber kann man nicht bestimmen – und einmal vollzogene Entscheidungen sind kaum mehr revidierbar.

Der EU-Vertrag von Lissabon sorgt zugleich dafür, dass die Blockierung von Freihandelsverträgen, die von EU-Kommission ausverhandelt worden sind, nur eingeschränkt möglich ist. So werden bei reinen Freihandelsverträgen die nationalen Parlamente gar nicht mehr gefragt, sondern nur mehr bei sog. „gemischten“ Verträgen. Was ein „gemischter“ Vertag ist – also über reine Handelsagenden hinausgeht – ist aber keineswegs eindeutig. Die grundsätzliche Entscheidungskompetenz darüber liegt bei der EU-Kommission, allenfalls beim EUGH. Hinsichtlich TTIP herrscht derzeit ein juristischer Meinungsstreit zwischen Kommission und einigen nationalen Regierungen, ob es sich um ein solches „gemischtes“ Verfahren handelt oder nicht. Ob nationalen Parlament in solchen brisanten und kaum mehr revidierbaren Entscheidungen überhaupt mitreden dürfen, ist also eine Frage des juristischen Gutdünkens.

Parlamente werden über Artikel 188n*) entmündigt...

Doch damit der EU-Postdemokratie noch nicht genug. Denn auch wenn die Kommission den nationalen Parlamente gnädigerweise die Mitentscheidung einräumt, heißt das noch lange nicht, dass sie damit realen Einfluss auf die Entscheidung nehmen können. Dafür sorgt ein Passus im Artikel 188n*) im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Dieser ermöglicht es nämlich dem Europäischen Rat, also den Regierungschefs, ein solches Abkommen schon einmal „vorläufig anzuwenden“. Nur das Europaparlament muss dem zustimmen. Diese „vorläufige Anwendung“ gilt für die Dauer des Ratifikationsprozesses. Wobei nichts darüber ausgesagt wird, was passiert, wenn dieser Ratifikationsprozess scheitert, weil nationale Parlamente zur Zustimmung nicht bereit sind. In Deutschland wurde der wissenschaftliche Dienst des Bundestages angefragt, was die Nichtratifizierung durch nationale Parlamente für völkerrechtliche Verträge bedeuten würde, die durch die EU „vorläufig angewendet“ werden. Die Antwort: Gar nichts. Dann wird das Abkommen auf unbestimmte Zeit „vorläufig angewendet“, also die Parlamentarier dauerhaft entmündigt.

...am Beispiel des EU-Freihandelsvertrags mit Peru und Kolumbien

Wer glaubt, dass es sich dabei um eine juristische Spitzfindigkeit handelt, die keine praktische Bedeutung habe, irrt gewaltig. Bis heute hat das österreichische Parlament das Freihandelsabkommen der EU mit Peru und Kolumbien nicht ratifiziert. Die EU aber hat es bereits vor mehr als einem Jahr, am 1. August 2013, bereits „vorläufig angewendet“, es also faktisch in Kraft gesetzt.

ÖGB-Präsident Foglar und AK-Präsident Kaske hatten übrigens im April 2013 die Nationalratsabgeordneten aufgefordert, diesem EU-Freihandelsabkommen nicht zuzustimmen, da es „die fundamentale Verletzung von Gewerkschaftsrechten legitimiert“. Ein - wie sich jetzt herausstellt - ebenso löblicher, wie wirkungsloser Akt, da er über den Artikel 188n ausgehebelt wurde. Ob der Aufruf der ÖGB- und AK-Führung allerdings sonderlich ernst gemeint war, darf bezweifelt werden. Bis dato wurde kein gewerkschaftlicher Protest laut, dass die EU das österreichische Parlament (und möglicherweise noch etliche andere) ignoriert und den Freihandelsvertrag zur Anwendung gebracht hat. Und den österreichischen Parlamentarieren selbst scheint die eigene Entmündigung ebenfalls keine Aufregung wert zu sein. Eine Nachfrage im Hohen Haus ergab, dass eine Abstimmung darüber im österreichischen Nationalrat „nicht absehbar“ sei.

Gerald Oberansmayr

10.11.2014

*) Korrektur: Das ist eine veraltete Nummerierung. Die aktuelle Nummerierung ist Artikel 218.


Angesichts dieser demokratiepolitischen Ungeheuerlichkeit ist die Parlamentarische Bürgerinitiative "FAIRHANDEL(n) STATT FREI(?)HANDEL!" wichtiger denn je.

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