Pünktlich zum 20-Jahresjubliäum des EU-Beitritts erklären uns Politik und Medien wieder einmal, wie sehr wir nicht alle vom EU-Beitritt profitiert hätten. Wir sehen das ein wenig anders: Wenige haben profitiert, viele haben verloren. Wir dokumentieren das in einer Beilagenserie, die mit dem Werkstatt-Blatt 1/2015 mit den Themen Verteilung und Verkehr beginnt.
Laut Arbeiterkammer ist die Lohnquote – also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen – von fast 75% (1994) auf 67% (2013) gesunken (3). Während bis Mitte der 90er Jahre Lohnzuwachs und Wachstum des Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch einigermaßen Hand in Hand gegangen sind, werden seither die Lohn- und GehaltsempfängerInnen völlig vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt (sh. Grafik 1). Das BIP pro Kopf (netto real) stieg von 1994 bis 2013 um 26,5%, dass durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmer pro Kopf (netto real) sank dagegen um 3,4%. Das belegt auch der Einkommensbericht 2014 des Rechnungshofes (sh. Grafik 2):
- Die mittleren Einkommen der ArbeitnehmerInnen (Median) sind zwischen 1998 und 2013 real (also inflationsbereinigt) um 4% gesunken.
- Die mittleren Einkommen der ArbeiterInnen sind in diesem Zeitraum real um 14% gesunken.
Besonders die untersten Einkommensgruppen stürzen regelrecht ab:
- Die Einkommen des untersten Zehntels (1. Dezil) aller ArbeitnehmerInnen sind seit 1998 um 35% real zurückgegangen;
- die Einkommen des untersten Zehntels der ArbeiterInnen sind um sage und schreibe 44% gesunken. Mit verantwortlich dafür ist auch die enorme Ausweitung von Teilzeit und prekärer Beschäftigung.
Die Statistiken der Statistik Austria zeigen, wer die wirklichen Gewinner der letzten 20 Jahre sind. Zwischen 1997 und 2012 sind die Gewinn- und Dividendenausschüttungen an die Eigentümer der Kapitalgesellschaften real um fast 92% gestiegen (sh. Grafik 2).
EU-Verträge zementieren Neoliberalismus ein
Der Zusammenhang zwischen dieser Verteilung von unten nach oben und dem EU-Regime liegt auf der Hand. Über die EU und ihre Verträge ist ein Konkurrenzregime im Primärrecht einzementiert worden, das – wie der deutsche Staatsrechtler Andreas Fishan feststellt - „Politik nur in einer ganz besonderen, nämlich neoliberalen Weise zulässt“ (1). Privatisierungs- und Liberalisierungsdruck, ungehemmter Freihandel und Kapitalverkehrsfreiheit, die Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die Interessen der exportorientierten Großindustrie, Verpflichtung auf die unsozialen Budgetvorgaben der EU-Kommission schwächen vor allem die ArbeitnehmerInnen bzw. die unteren Einkommensgruppen. Die steigende Arbeitslosigkeit führt zur Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse und untergräbt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Die „Schwächung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“, das Absenken von Mindestlöhnen, die Aushöhlung von Kollektivverträgen und das Aufweichen des Kündigungsschutzes gehören zu den erklärten Zielen der EU-Kommission (2).
In Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Irland diktierten EU-Kommission und EZB direkt die Absenkung von Mindestlöhnen und die Auflösung von Kollektivverträgen und Arbeitnehmerschutz. Kapitalorientierte Politik versetzt das mittlerweile in regelrechte EUphorie. „Die Gewerkschaften werden fallen wie die Berliner Mauer“ (3), jubelte eine rechte spanische Ministerin, nachdem sich in Spanien unter dem Druck der EU innerhalb von nur zwei Jahren die Anzahl der gültigen Tarifverträge halbiert hatte.
Anmerkungen:
(1) Andreas Fishan (2008), Herrschaft im Wandel – Überlegungen zu einer kritischen Theorie des Staates, in: PapyRossa, Köln 2008
(2) Europäische Kommission (2012): Labour Market Developments in Europe 2012, European Economy Nr. 5/2012
(3) zit. nach Lukas Oberndorfer, AK-Wien, Autokratische Wende in der EU?, gpa-djp, Juni 2012