Noch vor der Sommerpause 2013 haben SPÖ, ÖVP und FPÖ die neue österreichische Sicherheitsstrategie beschlossen. Diese bekennt sich ausdrücklich zur Teilnahme an der EU-Militarisierung "in allen ihren Dimensionen".


Kurz vor der Sommerpause Anfang Juli beschloss der österreichische Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ die neue österreichische Sicherheitsstrategie (ÖSS). Von Medien, auch solchen, die sich selbst gerne das Prädikat „Qualitätsjournalismus“ verleihen, wurde diese neue Sicherheitsstrategie (1) als Bestätigung der Neutralität verkauft. Es sei dahin gestellt, ob das damit zusammenhängt, dass in den Redaktionsstuben schon so gespart werden muss, dass man sich das Studium von einigen Seiten nicht mehr leisten kann und deshalb die Presseaussendungen des Bundeskanzleramts unrecherchiert abdruckt, oder ob es sich um eine redaktionelle Leistung handelt, die ihren Gegenwert in einer Vielzahl von Inseraten der öffentlichen Hand findet. Tatsache jedenfalls ist: Nichts könnt weiter von der Wirklichkeit entfernt sein; die österreichische Sicherheitsstrategie offenbart die voller Bereitschaft der österreichischen Regierung samt ihres rechtsextremen Beiwagerls, die Neutralität zu Grabe zu tragen und sich in jeder Hinsicht der weiteren EU-Militarisierung zu verschreiben.

Diese Bereitschaft ist in einem Satz der ÖSS zusammengeschnürt: „Österreich wird sich an der Sicherheitspolitik der EU in allen ihren Dimensionen beteiligen.“ (S. 10, Analyseteil = AT). Was es heißt, sich in „allen Dimensionen“ an der EU-Sicherheitspolitik zu beteiligen, wird im Folgenden weiter ausgeführt:

„Österreich wird als Mitglied der EU die GASP*) aktiv mitgestalten und sich im Rahmen seiner Kapazitäten weiter am gesamten Spektrum der im EUV genannten Arten von GSVP-Aktivitäten**), einschließlich der Battlegroups, beteiligen.“ (S. 11, AT) Wer vom „gesamten Spektrum“ spricht, meint natürlich auch härteste Kriegseinsätze. Das wird nochmals unterstrichen, indem in der ÖSS auch die Mitwirkung an der „zu schaffenden Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ) angestrebt wird (S. 11, AT). Dazu muss man wissen: Wer sich an der SSZ beteiligen will, MUSS „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen“ und zu Militärmissionen „mit höchsten Anforderungen“ Gewehr bei Fuß stehen (Art. 42, EU-Vertrag). Zu den Einlasskriterien in die SSZ gehört daher - wie in einschlägigen EU-Strategiepapiere bereits kursiert - die Bereitschaft zur Teilnahme an ALLEN EU-Militärmissionen sowie an ALLEN strategischen EU-Rüstungsprojekten (2).

Balkan, Naher Osten und Nordafrika

Im Empfehlungsteil lässt die ÖSS auch keinen Zweifel daran, dass man bei EU-Kampfeinsätzen vorne mit dabei sein will: „Das Österreichisch Bundesheer soll über robuste Fähigkeiten für anfordernde Einsatzszenarien mit entsprechender Durchhaltefähigkeit verfügen. Diese können entweder im Rahmen der Battlegroup oder in einem anderen multinationalen Rahmen zum Einsatz gelangen.“ Man will aber nicht nur vorne, sondern auch ganz oben sein: „Die Übernahme einer Führungsfunktion im Rahmen einer regionalen Battlegroup ist zu prüfen. Ferner soll die Fähigkeit zur Übernahme von Führungsaufgaben bis zur operativen Ebene bei GSVP-Einsätzen sichergestellt und ausgebaut werden.“ (S. 6, Empfehlungsteil = ET). Sichergestellt werden sollen „mindestens 1.100 Soldaten als Dauerleistung für Auslandseinsätze“ (S. 6, ET); zu ihnen können noch weiterer Kontingente im Rahmen der EU-Battegroups stoßen, die flexibel und innerhalb kürzester Zeit für Einsätze im Rahmen von 6.000 Kilometer rund um Brüssel bereit stehen.

Gewisse geographische Vorlieben, wo österreichische SoldatInnen marschieren sollen, werden in der ÖSS angedeutet: „Aufgrund seiner geopolitischen Lage und sicherheitspolitischen Betroffenheit sowie seiner erworbenen Expertisen und Netzwerke werden auch in Hinkunft in erster Linie Missionen in Südost- und Osteuropa sowie im Nahen Osten für Österreich Priorität haben. Abhängig von internationalen Entwicklungen ist das dortige Engagement anzupassen und gegebenenfalls zu erweitern, etwa vom Balkan in den Donauraum und die Schwarzmeerregion oder vom Golan in weitere Bereiche des Nahen und Mittleren Ostens oder ins nördliche Afrika.“ (S. 13f, AT) Auch die dazu passenden Bedrohungssenzarien und Einsatzgründe finden sich in der ÖSS: „Knappheit von Ressourcen (Energie, Nahrungsmittel, Wasser) … und die Bedrohung der Verkehrswege“. (S. 4, AT)

Bundesheer nach Griechenland?

Aber nicht nur am Balkan, im Nahen Osten und im nördlichen Afrika sollen österreichische SoldatInnen unter EU-Kommando unterwegs sein, um Rohstoffe und Verkehrswege freizuschießen. Auch auf Einsätze im Inneren der EU stellt man sich bereits ein. Diesbezüglich aufhorchen lässt folgende Passage: „Teile des Bundesheeres sind gezielt darauf vorzubereiten, um bei Operationen mit der Europäischen Gendarmerieforce zusammenarbeiten zu können.“ (S. 7, ET) Die „Europäische Gendarmerieforce“ (EGFOR) ist eine paramilitärische Sondereinheit mit Hauptquartier im italienischen Vicenza, die die Mittel und Befugnisse von Polizei, Kriminalpolizei, Armee, Geheimdienst unter einem Dach vereinigt. Sie kann auf Anfrage bzw. Beschluss von EU oder NATO „robust und schnell“ eingesetzt werden, u.a. zum „Schutz der Bevölkerung und des Eigentums und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beim Auftreten öffentlicher Unruhen“ (Art. 4, EGFOR-Gründungsvertrag, 2004). Dazu passend nimmt die ÖSS die „sicherheitspolitischen Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise“ (S. 4, AT) ins Aufgabenspektrum der Streitkräfte auf. Bundesheer nach Griechenland und Portugal, um streikenden ArbeiterInnen „europäische Werte“ einzubläuen? Die ÖSS macht das jedenfalls denkbar.

Rechtsextreme und EU-Establishment im selben Boot

Die ÖSS ist keine Zukunftsmusik, sie reflektiert die - weitgehend abseits der Öffentlichkeit vor sich gehende - andauernde Verletzung der österreichischen Neutralität. So trainierte heuer im Frühjahr im Waldviertel das Bundesheer im Rahmen des EU-Großmanövers „European Advance“ die "multinationale Zusammenarbeit bei einer Offensivoperation einer EU-Battlegroup“ (APA, 7.6.2013). Entsprechend voll des Lobes ist das EU-Militärestablishment. Claude-France Arnould, die Leiterin der EU-Rüstungsagentur: „Ich möchte Österreich für den Einsatz in wichtigen Operationsgebieten danken, und allgemeiner für das Engagement, auf das wir uns von allen Mitgliedsstaaten so sehr verlassen: Österreichs beträchtliche Beiträge in so wichtigen Bereichen wie Cyber-Defence, Operationsunterstützung für die EU-Kamptruppen, Bewaffnung, Anti-Sprengfallen, etc. Die Themenliste zeigt Österreichs Entschlossenheit, und wir brauchen diese Entschlossenheit.“ (3)

Diese Entschlossenheit teilt die Regierung mit der extremen Rechten. Dass die Regierungsparteien für den Beschluss der ÖSS auch auf die Stimmen der FPÖ zählen durfte, zeigt einmal mehr, worauf die Solidar-Werkstatt schon seit langem hinweist: Die FPÖ ist keine EU-oppositionelle Kraft, im Gegenteil: Sie simuliert – mit kräftiger medialen Unterstützung - EU-Opposition, um für fortschrittliche Kräfte das Thema des EU-Austritts zu tabuisieren. Tatsächlich tritt die FPÖ für eine militärisch hochgerüstete EU-Weltmacht ein. FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer hat daraus nie in Hehl gemacht: „Dieses Europa muss eine unabhängige Weltmacht sein, das […] seine vitalen Interessen auch weltweit zu vertreten und durchzusetzen weiß. Eine gemeinsame Außenpolitik und eine gemeinsame Sicherheitspolitik sind dafür die unabdingbaren Voraussetzungen […] mit einer starken europäischen Armee mit internationalen Eingreiftruppen.“ (4)

Die Zustimmung der FPÖ zur ÖSS und damit zur Teilnahme an der EU-Militarisierung „in allen ihren Dimensionen“ öffnet hoffentlich manchem die Augen. Unseren Mainstreammedien samt „Qualitätsjournalismus“ werden sie wohl auch in dieser Hinsicht weiterhin geschlossen bleiben.

Gerald Oberansmayr
(
11.9.2013)


*) GASP steht für "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

**) GSVP steht für „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“

Weitere Anmerkungen:

(1)   Österreichische Sicherheitsstrategie - Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten, Juli 2013
(2)   siehe Bruges Political Research Paper, September 2010
(3)   zit. nach Truppendienst, 2/2013, 18f.
(4)   Andreas Mölzer, Europa im rechten Licht, Wien 2004