ImageAm Samstag, 23. Oktober 2010 fand die 17. Vollversammlung der Werkstatt Frieden & Solidarität im Jugendzentrum „Stuwe“ in Linz statt. Beschlossen wurde unter anderem die Umbenennung auf „Solidar-Werkstatt Österreich“. Zum neuen Vorsitzenden wurde Norbert Bauer gewählt. Boris Lechthaler ist zukünftig für die Finanzen verantwortlich. Ein Bericht über die Ergebnisse dieser Vollversammlung und Überlegungen zu der Umbenennung unseres Vereins.


Am Beginn der Versammlung wurde in einer Gesprächsrunde das vergangene Vereinsjahr bilanziert. Im schriftlich vorliegenden Tätigkeitsbericht wurde eine Fülle an Aktivitäten dokumentiert. Mehrfach wurde unterstrichen, dass es der Werkstatt gelungen ist, sowohl in Bezug auf die Vielfalt an Themen weiterzukommen – Beispiele dafür sind unsere Kampagne für eine demokratische, solidarische und ökologische Verkehrswende, unsere Beiträge zu den Auseinandersetzungen im Bildungsbereich, der Pflege oder auch zur Staatsreform und zur Finanzierung der gemeinschaftlichen Aufgaben – als auch unser strömungspolitisches Profil zu vertiefen. Zunehmend wird deutlich, wie leicht es einerseits möglich ist, ausgehend  von unserem Solidarstaatsansatz ins Detail zu gehen und andererseits wie stimmig sich die Details ins Gesamte fügen. So ist es uns gelungen zu vielen konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Beiträge zu leisten. Diese werden auch vielfach angenommen. Freilich müssen wir auch festhalten, daß die Werkstatt als zentraler Hebel zur Durchsetzung einer solidarischen, demokratischen und ökologischen Wende noch nicht wahrgenommen wird. Hier bleiben traditionelle Organisationen, insbesondere Parteien, trotz aller Frustrationen nach wie vor die Träger der Hoffnung. Eine depressive Stimmung kam dennoch nicht auf. Zu zahlreich sind die positiven Rückmeldungen, die uns ermuntern dran zu bleiben. Im Finanzbericht spiegelt sich gewissermaßen auch diese Entwicklung. Die direkten Einnahmen aus dem Vertrieb von Publikationen gehen eher zurück, während die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen deutlich angestiegen sind.

 

Im Mittelpunkt der Versammlung stand der Antrag des Vorstands auf Änderung des Vereinsnamens, der nach einem langen Diskussionsprozess entwickelt wurde. Mit großer Mehrheit wurde der Vorschlag angenommen. Der Vereinsname lautet in Hinkunft in der Kurzversion: „Solidar-Werkstatt Österreich“ in der Langversion: „Solidar-Werkstatt – für ein solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich“. Boris Lechthaler hat nochmals  zugrundeliegende Überlegungen zur Namensfrage erläutert. (siehe unten)

 

Bei der Vollversammlung wurde auch der Vorstand neu gewählt. Den Vorsitz übernimmt Norbert Bauer. Norbert ist Betriebsratsvorsitzender bei einer internationalen Hotelkette in Wien und über die FCG auch in der Fachgruppe Hotellerie bei der Gewerkschaft Vida tätig. Er ist seit 7 Jahren bei der Werkstatt aktiv und hat insbesondere durch seine Filme wichtige Beiträge zur Werkstattarbeit beigetragen. Elke Renner und Rudi Schober wurden zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Elke ist pensionierte AHS-Lehrerin ist schon seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung und der demokratischen Bildungsbewegung (Redaktion „Schulhefte“) aktiv. Sie hat wesentlich zum Aufbau der Werkstattgruppe Wien beigetragen. Rudi ist Haustechniker in einem Studentenheim in Linz und SPÖ-Gemeinderat in Ottensheim. Er ist seit Jahren in der Werkstattgruppe Linz aktiv und hat in den Bereichen Energieautarkie, Verkehr und Gemeindedemokratie substanzielle Beiträge für die Werkstatt entwickelt. Zum Kassier wurde Boris Lechthaler gewählt. Boris ist Versicherungskaufmann bei einem internationalen Versicherungskonzern in Freistadt. Er ist Gründungsmitglied der Werkstatt und hat vor Jahren das Friedensvolksbegehren koordiniert. Zum Kassierstellvertreter wurde Stefan Daxner gewählt.

Stefan ist Student der Sozialwissenschaften in Linz und sehr stark in der „Uni brennt!“-Bewegung engagiert. Er ist seit Jahren in der Werkstattgruppe Linz aktiv. Zum Schriftführer wurde Gerald Oberansmayr gewählt. Gerald ist Erwachsenenbildner in Linz. Er ist Gründungsmitglied der Werkstatt und Redakteur der bisherigen „guernica“ und unserer Rundbriefe. Er ist seit Jahren in der Werkstattgruppe Linz aktiv und wird auch weiterhin die Verantwortung für unsere Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Zum Schriftführerstellvertreter wurde Udo Martin aus Salzburg gewählt. Udo ist Lehrer in Salzburg und bemüht sich um die Entwicklung von Werkstattaktivitäten ebendort. Zu Rechnungsprüfern wurden wie bisher Karl-Heinz Walter, pensionierter AHS-Lehrer in Wien, und Inge Scherff, Bilanzbuchhalterin in Wien, gewählt.


Unter dem Tagesordnungspunkt „weitere Anträge“ wurde auch die Neokonzeptionierung unserer Öffentlichkeitsarbeit beschlossen. (http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=303&Itemid=45) Der Name unserer Zeitung wird von „guernica“ entsprechend dem Vereinsnamen geändert. Gerald Oberansmayr dazu:
Wir wollen die Auflage deutlich steigern, indem wir unsere AbonnentInnen und LeserInnen einladen, selbst als "MultiplikatorInnen" der Zeitung aktiv zu werden. Der Web-Auftritt soll in Richtung inhaltlicher Vertiefung und verstärkter Einbeziehung von Menschen, die in Gemeinden, Betrieben, Schulen, usw. aktiv sind, weiter entwickelt und verbessert werden.“ 

Einstimmig beschlossen wurden auch die vorliegenden Anträge „Solidarstaat Österreich statt EU-Konkurrenzregime!“ (http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=286&Itemid=1) .Am Sonntag, 15. Mai 2011 wollen wir mit einer öffentlichen Aktion vor dem Parlament in Wien dieser Orientierung Nachdruck verleihen.

 

Beschlossen wurde auch eine Kampagne und Positionspapier zu „Bedarfsorientierte Pflegeleistungen – Einbindung der Pflege in das SV-System“(http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=293&Itemid=1).


Beschlossen wurde weiters zu den Themen „Regionalwährungen“ und „Demokratie vor Parteien“ eine Diskussion und Positionsbestimmung in Angriff zu nehmen.

 

Zum Abschluß der Vollversammlung spielten Herwig Strobl und Atanas Dinovski (11 Saiten Ostgefälle) „Musik von Dubai bis Dublin“.



Überlegungen zur Namensfrage
(von Boris Lechthaler-Zuljevic)

Wir haben uns von der Friedenswerkstatt Linz, über die Werkstatt Frieden & Solidarität, zur Solidar-Werkstatt Österreich entwickelt. Ein Element ist uns in unserer 17-jährigen Geschichte erhalten geblieben: Werkstatt. Damit verbindet sich unser Anspruch auf eine selbstbestimmte, tätige Organisation. Wobei unser Verständnis von Selbstbestimmung nicht auf eine Abkehr von der Gesellschaft, auf die Errichtung von quasi Inseln jenseits von Markt und Staat gerichtet ist. Wir sehen uns aber auch nicht als Aufklärungsinstanz, die über der Gesellschaft steht. Wir haben keine Welterklärungstheorie, kein Heilsversprechen, mit dem wir die Menschen in eine erleuchtete Zukunft führen wollen. Unser Verständnis von Werkstatt, selbstbestimmte Tätigkeit knüpft an die in der Gesellschaft vorhandene Alltagskompetenz für eine solidarische, demokratische und ökologische Organisation der gemeinschaftlichen Angelegenheiten an. Indem wir selbstbewußt unsere eigene Kompetenz heben und entfalten, wollen wir dazu beitragen, daß sich die Menschen ihrer eigenen Fähigkeiten besinnen und selbstbewußt die Gestaltung ihrer Angelegenheiten in Angriff nehmen. Das ist klarerweise mit Widersprüchlichkeiten, Spannungsfeldern, Konflikten verbunden. Unser Wirken ist nicht auf die Überwindung all dieser Konflikte gerichtet, nicht auf die Vision einer harmonischen Gesellschaft, sondern auf deren kreative Gestaltung. Politik im demokratischen Prozeß ist ein Stück Sinnverwirklichung des Menschen als eines gesellschaftlichen Wesens. 

Wenn wir auch keine Vision einer harmonischen Gesellschaft verfolgen, so haben wir doch Ziele. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, eine solidarische, demokratische und ökologische Wende, hier und heute. In unserem Programm „Für eine Friedensrepublik Österreich“ sprechen wir von der neoliberalen Konterrevolution vor 30 Jahren. Es wird viel über Neoliberalismus gesprochen und geschrieben und doch scheint das Verständnis für das Wesen seiner konkreten Durchsetzung nur mangelhaft entwickelt zu sein. Er ist nicht einfach ein über den Zeiten schwebendes Konzept, sondern er war und ist ein konkretes polit-ökonomisches Programm, alter, überkommener Eliten gegen die zur Durchsetzung drängenden emanzipativen Bestrebungen in der Gesellschaft. Dieses Programm hat sich auch nicht global gleichförmig entfaltet. Im einen Fall (USA,GB) führte es vorrangig zur Entfesselung der Finanzmärkte, in unserem Fall (EU,Deutschland, Österreich) zur Wiederingangsetzung eines industriebasierten Hegemonialzyklus. Es ist die damit verbundene konkrete Produktivitätspeitsche in den Fabriken, auf den Baustellen, in den Büros, die die Menschen, ihre Beziehungen beschädigt, ihnen ihr Selbstbewußtsein raubt. In der Krise wurde die Beschränktheit und Destruktivität dieses Konzepts offenkundig. Es sind die drei U's, die in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen:Umverteilung von Unten nach Oben, v. a. auch durch Rückführung der Staats- (Gemeinschafts-)quote, Ungleichgewichte in den internationalen Handelsströmen und Unregulierte Finanzmärkte. Dem muß die Entfaltung, vor allem auch der sozialen Rechte entgegengesetzt werden. Das kann nur gelingen, wenn ihre Einlösung materiell unterfüttert wird. Mobilität, Energieversorgung, Bildung, Pflege, Gesundheit sind sowohl in ihrer Bereitstellung als auch in ihrem Ge- und Verbrauch kollektive Leistungen. Deshalb bemühen wir uns insgesamt um den Ausdehnung der Gemeinschaftsquote. Wir fragen 50% Staatsquote, na und? Und weisen die Losung vom „schlanken Staat“ als neoliberale, rückschrittliche Blödheit zurück.
Wir müssen uns jedoch auch der sozialpsychologischen Voraussetzungen dafür bewußt werden. Denn diese gemeinschaftlichen Leistungen werden nur bereitgestellt werden können, wenn sie gemeinschaftlich finanziert werden. Es geht um die Verallgemeinerung von Rechten und Pflichten. Dieser Satz ist schnell hingeschrieben. Wenn wir ihn aber ernsthaft durchdenken, so führt uns das zurück zu den Ausgangsbedingungen der neoliberalen Wende. Es war die spezifische Konfliktkonstellation der traditionellen Solidariorganisationen mit den neuen sozialen Bewegungen, die es den alten Eliten ermöglichte, ihre rückschrittlichen Konzepte durchzusetzen, indem sie jeweils eine Seite gegen die Andere ausspielte. Das Gegenteil von Recht ist nicht Pflicht, sondern Unrecht. Und das Gegenteil von Pflicht ist nicht Freiheit, sondern Verantwortungslosigkeit. Unsere Freiheit wächst aus der Verallgemeinerung von Rechten und Pflichten und ist damit immer sowohl eine individuelle als auch eine gemeinschaftliche Leistung.

Es ist offenkundig, daß sich diese Verallgemeinerung von Rechten und Pflichten nur in einem konkreten politischen Raum durchsetzen läßt. In unserem Fall: in Österreich. Der Begriff Globalisierung ist wahrscheinlich die unglücklichste Wortschöpfung der vergangenen 30 Jahre, insbesondere dann, wenn er zum zentralen Ansatz der Kritik wird. Der Begriff suggeriert, es hätte einen Prozeß zur Herstellung von Gleichförmigkeit auf der Welt gegeben. Ein nüchterner Blick zeigt jedoch: Wir erleben eine höhere Dynamik, wachsende wechselseitige Abhängigkeit und damit aber auch Differenzierung. Die Welt war wahrscheinlich vor 500 Jahren gleichförmiger als heute. Komplexität wäre mitunter ein Begriff, der das besser fassen würde. Für die emanzipative Gestaltung dieser komplexen Verhältnisse ist die Existenz demokratisch verfasster Staaten unmittelbare Voraussetzung. Das hat überhaupt nichts mit einem isolierten Nationalismus zu tun. Das gilt auch für das EU-Europa. Gerade in der Krise hat sich gezeigt und wird sich noch zeigen, wie different die Gesellschaften in den europäischen Staaten sind. Das große EU- Projekt, das mit den USA, China und weiß Gott noch wem in Konkurrenz tritt, ist ein rein elitärer Ansatz, der die Durchsetzung emanzipativer Bestrebungen nicht befördert, sondern be- und verhindert. Wir fordern deshalb den Austritt aus der EU. Wir treten deshalb für ein solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich ein.  

„Solidar-Werkstatt Österreich“ ist damit nicht nur unser neuer Name, sondern die kürzeste Version unseres Programms.  

Programm "Für eine Friedensrepublik Österreich" auf http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=23&Itemid=51