Der EU-Fiskalpakt zwingt die Stadt Wien zu Ausgabenkürzungen bis 2020, um das hochheilige Nulldefizit zu erreichen. Dafür gespart werden soll unter anderem bei der Gesundheit.

Am 10.8.2017 berichtete die „Presse“, dass der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) 20 Prozent einsparen will. Auch wenn diese Zahl wieder dementiert wurde, bestätigt wurde vom KAV, dass im Gesundheitsbereich gekürzt werden soll.

Wachsende Bevölkerung – sinkende öffentliche Ausgaben

Der KAV ist eine Unternehmung der Stadt Wien, in der alle städtischen Spitäler, Pflegeheime und Ausbildungsstandorte zusammengefasst sind. Die Sparvorgaben kommen von der Stadtregierung, die ihrerseits unter Druck steht. Die Stadt muss nämlich bis 2020 das „Nulldefizit“ erreichen. Warum „muss“ sie das? Weil das die Vorgaben sind, die im Rahmen des EU-Fiskalpakts bzw diverser EU-Budget-Verordnungen nicht nur dem Bundes-, sondern auch den Länder- und Gemeindebudgets vorgegeben werden – und mittels innerösterreichischen Stabilitätspakt als Art. 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern festgezurrt wurden. Das erfährt man freilich kaum einmal in einer Zeitung und schon gar nicht im Gekreische des Wahlkampfes, dazu muss man sich in den „Finanzrahmen für die Jahre 2017 und 2018 – 2022 sowie Strategiebericht für die Jahre 2017 – 2019“ der Stadt Wien (1) vertiefen. Dort erfährt man, dass es bei den verschiedenen Defizitvorgaben nicht so sehr um die Reduzierung des Defizits geht – das könnte man ja auch durch eine Erhöhung der Einnahmen senken – nein, es geht um die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, und zwar absolut: Die öffentlichen Ausgaben Wiens sollen von 13.392,1 Mio. (2017) auf 13.170,4 Mio. Euro (2020) gesenkt werden. Das ist nominell ein Minus von 2% (real ist das angesichts der Inflation deutlich mehr), während gleichzeitig die Bevölkerung um fast 30.000 Menschen jährlich wächst, also in diesem Zeitraum um 4 bis 5% zunehmen wird.

Bereits im Vorjahr hat der – mittlerweile gekündigte - KAV-Chef Udo Janßen sämtliche Primare aufgefordert, in ihren Abteilungen die Ausgaben um 10 Prozent zu kürzen. Als Begründung nannte Janßen den von der Stadtregierung festgelegte „Budgetpfad“, der „bis 2020 die Reduktion der erwarteten Defizite auf einen ausgeglichenen administrativen Haushalt ohne Neuverschuldung vorsieht“ (2).

"Ich brenne hier aus"

Speziell im Gesundheitsbereich hinzu kommt, dass mit der sog „Gesundheitsreform“ die Ausgaben in diesem Bereich „gedeckelt“ werden, also unterhalb der Wachstumsrate des BIP liegen müssen. Was das angesichts einer generell deutlich wachsenden Bevölkerung, eines noch deutlicheren Anstiegs der älteren Bevölkerung und der damit verbundenen Zunahme von Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit heißt, erfordert nicht viel Fantasie, es genügt ein Blick in die Wirklichkeit des KAV: monatelange Wartezeiten auf dringende Operationen, Schließung von Abteilungen und Spitälern, überfüllte Ambulanzen, Gangbetten, fehlende Geräte für lebensnotwendige Therapien und ein Personal, das zunehmend ausbrennt. Symptomatisch dafür ein Dialog, den eine anonyme KAV-Assistenzärztin schildert: „Heute in der Morgenbesprechung fällt die verzweifelte Aussage einer erfahrenen Oberärztin: ‚Ich brenne hier aus!‘ Die lapidare Antwort des Abteilungsvorstandes: ‚Das tun wir alle‘“ (3)

Die EU-Sparvorgaben sind nicht nur sozialpolitisch unverantwortlich, sie sind auch wirtschaftspolitisch kontraproduktiv. Seit Einführung des Fiskalpakts hat sich die Anzahl der Langzeitarbeitslosen von 50.000 auf 120.000 mehr als verdoppelt. Der Fiskalpakt richtet sich nur vordergründig gegen öffentliche Defizite und Verschuldung, sein eigentliches Ziel ist es, „den Sozialstaat zu einem Auslaufmodell“ zu machen, wie EZB-Chef Mario Draghi einmal unumwunden erklärte (4). Damit sollen die exportorientierten Großkonzerne von lästigen Sozialkosten „befreit“ werden. Im Gesundheitsbereich kommen freilich weitere Interessenten hinzu: Je desolater das öffentliche Gesundheitswesen, desto besser sind die Profitaussichten privater Gesundheitskonzerne. Deutsche Gesundheitskonzerne wie Helios versuchen auch am österreichischen Gesundheitssektor vorzudringen.

Widerstand wirkt!

Immer mehr Menschen spüren, dass diese Sparpolitik im Gesundheitsbereich direkt in die Zwei-Klassen-Medizin hineinführt. Zunehmend regt sich Widerstand von Pflegepersonal, ÄrztInnen – und auch von PatientInnen. So hat eine überparteiliche BürgerInneniniative 21.000 Unterschriften gegen die Schließung der Augenambulanz im Wiener Donauspital gesammelt – und damit im Sommer 2017 schließlich einen Erfolg erzielt: Die 24-Stundenversorgung, 7 Tage in der Woche bleibt im 22. Bezirk erhalten.

Gerade im Gesundheitsbereich ist es wichtig, dass sich Beschäftigte und PatientInnen nicht gegeneinander ausspielen lassen. Es liegt im gemeinsamen Interesse, sich für Gesundheitsleistungen für alle auf höchst möglichen Niveau einzusetzen und den Marsch in die Zwei-Klassen-Medizin zu verhindern. Dabei gilt es, immer auch die Rahmenbedingungen zu thematisieren, die zu dieser unverantwortlichen Sparpolitik führen: EU-Fiskalpakt und die darauf aufbauenden Deckelungsvorgaben im Gesundheitsbereich. Diese neoliberalen Rahmenbedingungen zu überwinden, bedeutet freilich das Bohren dicker Bretter. Beginnen wir damit!

Petition unterstützen:
WEG MIT DEM DECKEL - Gesundheit für alle statt Zwei-Klasse-Medizin!

Quellen:
(1) https://www.wien.gv.at/finanzen/budget/va17/pdf/02.pdf
(2) Die Presse, 11.5.2016
(3) http://www.jungmediziner.net/branchen-news/2016/09/14/warum-ich-den-kav-verlasse
(4) Interview in: Wallstreet-Journal, 22.2.2012