karin leukefeldEin Bericht über Vortrag und Diskussionsrunde mit der Bonner Journalistin Karin Leukefeld zur aktuellen Situation und historischen Werdegang des Syrienkonflikts. Stattgefunden am 27. April 2017 im Congress in Leoben.

 

Fragen über Syrien und den aktuell andauernden Konflikt gibt es ja viele. Ist es ein religiöser oder ein Stellvertreterkrieg? Welche Konfliktparteien stehen sich gegenüber? Was ist Wahrheit, was Lüge? Alle diese Fragen sind durchaus nicht immer leicht zu beantworten, wie Leukefeld in ihrem Referat selbst betonte.

Historisches

Sie begann ihren Vortrag mit dem Zerfall des osmanischen Reiches. Frankreich war zu jener Zeit Besatzungsmacht Syriens. Der damalige Plan Frankreichs sei die Zergliederung Syriens in ethnisch getrennte Kleinstaaten gewesen. "Wie das bei Besatzungsmächten so üblich ist", meinte Leukefeld dazu. Die Kontrolle solcher kleinen Länder sei einfacher als jene von größeren Staaten.

Um dies zu erreichen, habe es Bündnisse mit regionalen Gruppen gegeben. Frankreich habe dafür die Kurden und die Aleviten unterstützt (dieses Bündnis bestand noch bis 1949). Diese sollten als Bündnispartner gegen die syrische Nationalbewegung fungieren. Ebenfalls unterstützt sei die Kurdische Autonomieregion von den USA, der Türkei und Deutschland worden, welche von der Peschmerga militärisch abgesichert werden sollte. Dieser Plan habe aber nie in die Praxis umgesetzt werden können, da die Syrer von Anfang an gegen solche Bestrebungen gewesen sein.

Anfang der 70er Jahre kam dann Hafiz al-Assad an die Macht. Als ehemaliger Militär regierte er mir eiserner Hand. Doch gab es auch während seiner Amtszeit einen moderaten Fortschritt. Was wohl auf den Einfluss der Sowjetunion zurückzuführen sei, fügte Leukefeld noch hinzu.

Ursachen des Kriegs

Unter Baschar al-Assad gab es dann weitere Reformen und Reformvorschläge, welche allerdings von der ausländisch geprägten Opposition abgelehnt wurden. Aber auch Reformen konnten die Spaltung in der syrischen Bevölkerung letzten Endes nicht verhindern. Die Gründe dafür seien zweierlei Natur. Zwar sind die Städte sehr modern und säkular, doch ländliche Gegenden sind sehr traditionell und religiös geprägt. In Letzteren würde das Wort der örtlichen Prediger mehr bedeuten als das Gesetzt aus Damaskus. Und gerade jene Prediger hätten sich besonders für den Kampf gegen die syrische Regierung stark gemacht. Andererseits sind auch noch ökonomische Grunde zu beachten. Die Arbeitslosigkeit war, obwohl relativ gering verglichen mit anderen Staaten der Region, doch recht hoch. Dies hatte zur Folge, dass viele, vor allem männliche Syrer in den dogmatisch geführten arabischen Golfstaaten Arbeit suchten. Was ebenfalls zur Verhärtung der Fronten beigetragen habe.

Dass dieser Konflikt aber tatsächlich ausbrechen konnte, sei noch einer wesentlichen Voraussetzung geschuldet: Waffen. Diese gab es in Syrien nämlich fast gar nicht. Der damalige Mindestlohn betrug 50 Dollar pro Monat. Der Erwerb eines Sturmgewehres würde allerdings etwa 1000 Dollar verschlingen, und das ohne Munition. Woher kamen dann die vielen, bis heute verwendeten Waffen? Leukefeld präsentierte dazu eine Graphik, welche sie mit statistischen Erhebungen begründete. Daraus wurde ersichtlich, dass das Gros des Waffenstroms über Katar und Saudi Arabien floss, welche zum Großteil aus Europa und Osteuropa stammten. An die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA) verteilt hätte diese Waffen dann die Türkei – unter Aufsicht des türkischen Geheimdienstes sowie der CIA. Dieser Umstand belege klar, dass diese Eskalation vom Westen gewünscht war.

Sicherlich ebenfalls eine Rolle gespielt hätte laut Karin Leukefeld, dass Syrien ein wichtiges Öl- und Erdgastransitland ist. Erdgasvorkommen aus Israel und Katar hätten Europa unabhängig von Russland-Gas machen sollen. Zudem verweigerte Assad die Zustimmung zu einem geplanten saudisch-amerikanischen Pipelineprojekt, welches von Jordanien aus über Syrien in die Türkei, und dort in die Nabucco-Pipeline führen sollte.

Rolle Russlands

Ein weiterer Aspekt erregte ebenfalls die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer. Russland wird bis zum heutigen Tag scharf vom Westen dafür kritisiert, sich auf der Seite Syriens in diesen Konflikt militärisch einzumischen. Die Regierung in Damaskus bat bei Ausbruch des Krieges Russland offiziell um militärischen Beistand. Eine solche Bitte um Beistand ist im Völkerrecht durchaus verankert. Es sei diesbezüglich erstaunlich, welche verwunderten Reaktionen Leukefeld oft entgegneten, würde sie darauf hinweisen, "dass es heutzutage auch noch ein Völkerrecht gibt". Ganz im Gegensatz zum Verhalten der USA, welche auf syrischem Territorium Militärbasen unterhalte, was eine (völkerrechtswidrige) Besetzung Syriens sei. Eine Besetzung, die im Gegenzug für die Bewaffnung der kurdischen Einheiten auf deren kontrolliertem Territorium, möglich gemacht würde.

Giftgasangriff

2013 wurde ein Vorfall bekannt, nach dem in Damaskus Chemiewaffen zum Einsatz gekommen waren. Die UN fand damals keine Hinweise, auf wen dieser Anschlag zurückzuführen war. Der Westen vermutete die Anordnung des Angriffs bei der syrischen Regierung. Die USA plante in einem solchen Fall mit Luftschlägen gegen Syrien zu reagieren. Doch der damalige US-Präsident Barack Obama ruderte in letzter Minute zurück, da laut Informationen, die der Obama-Administration vorlagen wären, die Anschuldigungen gegen Assad "wahrscheinlich falsch" seien und sie keinen Plan für die Zeit danach gehabt hätten.

Ein erneuter Angriff bei dem Giftgas im Spiel war, wurde dann 2017 bekannt. Experten der Organisation für das Verbort von Chemiewaffen (OPCW) bestätigten den Giftgaseinsatz bei Chan Scheichun, einer Stadt in Idlib im Nordwesten von Syrien. Damaskus bestritt etwas damit zu tun zu haben und beschuldigte die Rebellen dort ein Chemiewaffenlager unterhalten zu haben, welches unter Beschuss geraten wäre. Die USA, Israel und Frankreich hingegen machten die syrische Regierung verantwortlich. Daraufhin bot Syrien an, sich einer UN-Untersuchung zu unterziehen. Doch dazu kam es nicht mehr. Diesmal bombardierten die US-Streitkräfte. Der Fall ist bis heute ungeklärt.

Heutige Aufteilungspläne

Leukefeld meinte, Syrien solle heute wieder unter den Playern aufgeteilt werden. Dafür aber sei die Unterstützung verschiedener Akteure notwendig. Die USA unterstütze zu diesem Zweck die Kurden; die Türkei und Jordanien die sogenannten moderaten Rebellen, welche Leukefeld handfeste Islamisten nennt; Russland und der Iran unterstützen die syrische Regierung; und der IS werde von der Türkei und Saudi Arabien unterstützt – was nicht ganz klar wäre, doch gebe es Hinweise dafür. Als Mittel zur Durchsetzung der Aufteilungspläne würden der Krieg, die Sanktionen des Westens sowie der Entzug des Wassers von Euphrat und Tigris genutzt. Interessant in diesem Zusammenhang , so Leukefeld, sei die Tatsache, dass autoritäre Regime, wie jene in Polen, Ungarn oder der Türkei, keine Sanktionen zu erwarten hätten. Sehrwohl aber Syrien, wo die Menschen sterben und die Flüchtlingsproblematik dadurch nur noch angeheizt würde.

Kritisch vor allem sei auch die Situation der Türkei. Die türkische Regierung habe eigene Großmachtspläne, und wolle bis 2023 zur zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Doch die Lage sei hochgefährlich, denn Erdoğan habe viele Feinde.

Die Weißhelme

Ein weiterer Akteur, der immer wieder medial in Erscheinung tritt, ist die Zivilschutzorganisation Weißhelme. Leukefeld erläuterte, dass sie in der Türkei von einem ehemaligen britischen Geheimdienstoffizier gegründet wurden. Unterstützung erhalten die Weißhelme von den USA, Frankreich und Deutschland. Und ihr Stammpersonal würden sie aus Oppositionellen beziehen. Dieses Stammpersonal sei allerdings dadurch aufgefallen, dass sie auf Fotografien gemeinsam mit Mitgliedern der AlNusra-Front mit Gewehren in der Hand, oder auf aufgestapelten toten Soldaten der syrischen Armee zu sehen waren. Zudem sei bemerkenswert, dass sie alleine aus Deutschland sieben Millionen Euro bezogen und stets mit Helmkameras unterwegs sein. – Was für Zivilschutzorganisationen nicht üblich sei, wie Leukefeld am Beispiel der UNHCR erläuterte. Die Weißhelme hätten also einen Auftrag, und dieser wäre eine Kampagne zu machen. Wobei sie "sicher auch geholfen haben", betonte Leukefeld.

Beilegung des Konflikts

Bei der Frage der Beendigung des Krieges seien mehrere Punkte zu beachten. Zum einem gebe es – was im Westen kaum bekannt sei – ein staatliches Amnestieprogramm. Dazu habe die syrische Regierung eigens ein Ministerium für Versöhnung eingerichtet. Wer seine Waffen abgebe, könne, ohne Haft fürchten zu müssen, in sein altes Leben und seinen Beruf zurückkehren. Zudem biete es Unterstützung beim Abzug von Truppen, die nicht bereit sein ihre Waffen abzugeben, aber sich aus den umkämpften Gebieten zurückziehen möchten. Korridore würden hierfür freigeräumt und Busse zur Verfügung gestellt. Vor allem die Frauen beider Seiten – die laut Leukefeld von Anfang an schon gegen Bewaffnung und Krieg eingetreten sein – würden das Amnestieprogramm unterstützen.

Zweitens sei es in Gegenden in denen die Islamisten die Kontrolle übernommen hätten, zu breiter Ernüchterung gekommen. Die Syrer seien an sich ausgesprochen moderate Muslime. Doch von einem Tag auf den anderen hätten die Männer Bärte und die Frauen Vollverschleierung tragen müssen. Auf einmal wurden Hände abgehackt oder Köpfe öffentlich abgeschlagen. Der IS sei derart grausam vorgegangen, dass die Leute dort von Kalifat und Islamisten geheilt sein. Der amerikanische militärische Geheimdienst DIA hätte schon längst in einem Papier vor der gnadenlosen Grausamkeit gewarnt. Doch habe das zu keinen Reaktionen geführt.

Die Zersplitterung in kleine, hoch bewaffnete Strukturen sei jedenfalls keine Lösung für Leukefeld. Doch bilde sich aktuell eine neue Opposition, welche riesigen Zulauf habe. Sie sei nicht korrumpiert und sei an einer gesamtsyrischen Lösung interessiert. Es gebe viele Kräfte, die einen Dialog aller Konfliktparteien suchten – selbst mit den Golfstaaten. Hier blockiere aber vor allem Israel.

Tom Pierer