grafik direktinvestitionenDer Sozialwissenschaftler Albert Reiterer (Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau) setzt sich in zwei Teilen mit den Auswirkungen von Kapitalströmen von und nach Österreich auseinander. Die "Globalisierung" erweist sich vorrangig als politisches Projekt, welches die Eliten in aller Zielstrebigkeit und mit hartnäckiger Energie durchsetzen. Für die Beschäftigten zeigt sich eine eindeutig negative Bilanz.

Teil 1: Die Beschäftigungswirkung von Kapitalströmen nach Österreich und aus Österreich

Vorbemerkung: Das Folgende ist ein Detail-Ergebnis aus einer umfangreicheren Arbeit über Direkt-Investitionen aus und in Österreich

Anfang der 1970er schrieben zwei Referenten der Wiener Arbeiterkammer eine Studie über „Auslandskapital in Österreich“ (Grünwald / Lacina 1970). Die Arbeit erregte ein gewisses Aufsehen und machte die beiden bekannt. Für beide war sie der Beginn einer persönlich er­folgreichen Karriere. Grünwald wurde 1978 Vorstandsvorsitzender der ÖIAG, der Dachge­sellschaft der verstaatlichten Industrie; später Aufsichtsratsvorsitzender der ÖMV. Lacina wurde erst Kabinetts-Chef bei Kreisky, 1982 dann Staatssekretär, 1984 Verkehrsminister und schließlich ab 1986 langjähriger Finanzminister. Über ihn wäre noch Einiges zu sagen, was abeer nicht hierher gehört. Mit der Arbeit über Auslandskapital hatte er sich einen „linken“ Ruf erworben. Als Finanzminister führte er eine hart neokonservative Politik nach dem Muster eines seiner Vorgänger, des Stefan Koren, oder dem des Wolfgang Schäuble. Insbesondere schenkte er den Konzernen durch die Körperschaftssteuer-Senkung viele, viele Milliarden.

Auslands-Kapital, Direkt-Investitionen aus dem Ausland, hatte in Österreich seit je einen zweifelhaften Ruf. Hatten doch die Nazis in der Zwischenkriegszeit starke deutsche Unter­nehmungen in Österreich als Fünfte Kolonne eingesetzt. Die Austrofaschisten setzten 1934 sogar einen „Regierungskommissar zur Bekämpfung staatsfeindlicher Umtriebe in der Pri­vatwirtschaft“ ein, der ausnahmsweise nicht gegen Arbeiter gerichtet war. „Die Industriere­gion Leoben-Donawitz sowie Eisenerz zählten am 25. und 26. Juli 1934 .. zu den Haupt­gebieten der nationalsozialistischen Putschaktion. … Leitende Angestellte des größten Industriekonzerns Österreichs, der Österreichischen Alpine Montangesellschaft (ÖAMG), [spielten] eine führende Rolle. Die Ursachen dafür lagen vor allem in jenen Entwicklungen innerhalb der ÖMAG, die eng mit der Übernahme von 56 % ihrer Aktien durch die Düsseldorfer Vereinigten Stahlwerke im Jahr 1926 zusammenhingen“ (Staudinger 1984, 15; weiters Fischer 1983).

In den 1950ern kontrollierte die österreichische Regierung die Investitionen sehr strikt. „Bis Anfang 1959 waren ausländische Direktinvestitionen bewilligungspflichtig. Die Nationalbank achtete darauf, daß die Beteiligungen nach Möglichkeit unter 50% lagen Sie wurden bewil­ligt, wenn sie zur Ausweitung der Produktion oder zur Schaffung neuer Produktionszweige beitrugen“ (WIFO 1960).

Es ist also von politischer Bedeutung, dass Lacina am Beginn seiner Karriere kritisch zum Auslandskapital stand, dann aber, nach der Vranitzky’schen Wende der Sozialdemokratie zum Neoliberalismus offenbar voll und ganz auf eine kritiklos-positive Betrachtung umge­schwenkt ist. Es hat Sinn, dies hier zu erwähnen. Das Problem besteht darin, dass auch manche Linke heute den Globalismus noch immer als Internationalismus sehen.

Und es war in der Vergangenheit immer von Auslandskapital in Österreich die Rede. Die ausgehenden Ströme bzw. die Bestände von Kapital österreichischer Eigner im Ausland waren unbedeutend. Die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft damals hinkte der westeuropäischen Entwicklung so sehr nach, dass dies fast natürlich schien.

Ein Blick auf die heutige Situation ist höchst aufschlussreich.

Nicht erst die Propagandisten der EU, alle, welche sich stets um eine Rechtfertigung für Steu­er-Geschenke an Unternehmungen bemühten, haben stets auf die Beschäftigungswirkungen des Auslandskapital in Österreich hingewiesen. Man müsse die Körperschaftssteuer senken, so der Exminister Lacina immer wieder, die Einkommenssteuer der Unternehmen somit. Denn sonst würden die nach Bratislava abwandern.

Die Beschäftigung durch Kapital aus dem Ausland in Österreich und umgekehrt wird von der ÖNB so errechnet, dass die Beschäftigung der Unternehmen mit ausländischer Beteiligung mit dem Anteil der Beteiligung gewichtet wird. Die Zahl, sowohl beim einkommenden wie auch beim ausgehenden Kapital ist somit ein synthetischer Wert. Aber er ist von hohem Interesse.

1990 ergab diese Methode eine Beschäftigungswirkung von 226.100 Arbeitsplätzen vonseiten des einkommenden Kapitals. Nicht wenig, könnte man meinen. Doch die Verflechtung hat sich intensiviert: Seit 1990 haben die Bestände des Auslandskapitals sich ver-18facht auf der einkommenden Seite; auf der ausgehenden Seite ver-51facht. Dem 18fachen Kapital steht eine Steigerung der Beschäftigtenzahl auf 251.082, also um 11 % gegenüber.

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Und die „Aktiv“-Seite, die ausgehenden Kapitalien?

Nach derselben Methode gerechnet, waren 1989 29.500 Arbeitsplätze von österreichischem Kapital im Ausland geschaffen. 2015 waren es 801.200. Das ist eine Steigerung von 2.617 %. Das also ist der Gewinn der Kapitalfreiheit für österreichische Beschäftigte. Anders ausge­drückt: Im Jahr 1989 schuf die Differenz von einkommenden Kapital zu ausgehenden 196.600 Arbeitsplätze in Österreich. Im Jahr 2014 ließ dieselbe Differenz, die sich im Vorzeichen des Saldo mittlerweile ja umgedreht hatte, 550.100 Arbeitsplätze in Österreich verloren gehen. Sie hätten mit Kapital aus Österreich hier geschaffen werden können. Dass dies unter bestehenden Verhältnissen nicht mechanisch geschehen wäre, ist schon klar. Doch wäre das nicht einer der Gründe, die bestehenden Verhältnisse zu ändern?

Gehen wir in einzelne Branchen. Der Anteil der „headquarters“ macht die Hälfte des Aus­landskapitals in Österreich aus. Doch davon werden nicht einmal 3000 Arbeitsplätze geschaffen! Eine wirklich nennenswerte Beschäftigungswirkung ergibt sich nur im Handel. Dort lautet die Angabe 73.58 Beschäftigte. Die aber wären so oder so vorhanden. Hier hat das ausländische Kapital nur die österreichischen Unternehmungen und ihre Profite übernommen. Billa war vor und nach dem Verkauf des Jahres 1996 an den deutschen Rewe-Konzern vorhanden. 1998 hatte Billa rund 25.000 Beschäftigte, im Jahre 2016 dagegen 18.400. In diesem Fall von einer Beschäftigungswirkung durch Auslands-Investitionen zu sprechen, wäre regelrecht verblendet. Selbst im Finanz- und Versicherungswesen, welches den zweitgrößten Anteil (s.o.) am Auslandskapital ausweist, zeigt die Beschäftigungstendenz seit fast drei Jahrzehnten eher nach unten (1989: 16.035; 2014: 15.725 Beschäftigte).

Die angeblich so wichtigen Direkt-Investitionen in und aus Österreich zeigen also für die Beschäftigten eine eindeutige, und enorme, negative Bilanz. Doch der Kapitalexport, vor allem in die Ostländer, findet nicht zufällig satt. Gewinnen schon die Arbeiter und Angestellten nichts, verlieren vielmehr, so gewinnen die Exporteure umso mehr an Profiten.

 

Teil 2: Auslandskapital und Direktinvestitionen


Karl W. Deutsch hat gerne darauf verwiesen, dass die Außenhandelsverflechtung vor dem Ersten Weltkrieg stärker war als zu seiner Zeit, d. h. noch in den 1950ern. Er hat daraus auf geringere globale Integration geschlossen. Doch der sinnvollere Indikator dafür ist die Kapitalverflechtung zwischen den Nationalwirtschaften. Gehen wir es einmal naiv an.

1974 machten die passiven Direktinvestitionen (DI) aus dem Ausland in Österreich umge­rechnet 2,128 Mrd. € aus. Dem standen 422 Mill. € von Kapital aus Österreich im Ausland gegenüber. Der eingegangene Bestand machte also das Fünffache des ausgegangenen aus. Damit sind wir von den Verhältnisse der End-1950er noch gar nicht so weit entfernt, wo es wenig Auslandskapital in Österreich gab, aber fast überhaupt keines aus dem Land wegging.. Das blieb auch noch einige Zeit so. Doch stiegen auf beiden Seiten Ströme und Bestände schneller als das BIP.

Die folgenden Daten stammen von der OeNB. Sie beginnt ihre vergleichbare Zahlenreihe mit 1968 eingehend („passiv“) bzw. 1974 ausgehend („aktiv“).

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Ab 1980 begannen die ausgehenden DI stärker zu steigen als die eingehenden. 1985 standen 4,36 Mrd. „fremden“ Kapitals in Österreich 1,36 Mrd. „österreichischen“ Kapitals anderswo gegenüber. Die Schere war also etwas enger geworden. Doch dann stiegen für wenige Jahren die ausländischen DI in Österreich schneller als die DI aus Österreich im Ausland (1988: 6,22 Mrd. zu 1,24).

Ab 1989 setzte schließlich eine doppelte Bewegung ein. Beide Ströme, und damit auch die resultierenden Bestände begannen stark zu steigen. Die ausgehenden, die „österreichischen“ allerdings stiegen wesentlich schneller als die eingehenden.

2003 war der Bestand von Kapital aus Österreich im Ausland schließlich zum ersten Mal höher als der eingekommene Bestand. 44,3 Mrd. im Ausland standen 42,6 Mrd. an Auslands­kapital in Österreich gegenüber. Ab 2008, also mit und nach der Finanzkrise, verfestigte sich diese Tendenz. Die letzten Zahlen stammen aus 2015. Nun macht der Bestand in Österreich 150,8 Mrd. aus. Die österreichischen Kapitalisten verfügten im Ausland hingegen über 186,6 Mrd. „im engeren Sinn“ – über die Zahlen und ihre Güte wird später noch zu sprechen sein.

Doch zum Verständnis muss man diese Daten in Bezug zu fundamentalen Größen der Wirt­schaft setzen. Man rechnet diese Stände z. B. als Prozentwerte wesentlicher ökonomischer Systemgrößen. Das könnten sein: das BIP, besser die Abschreibungen. Leider lässt sich die theoretisch entscheidende Größe, der Anteil am Gesamtkapital nicht seriös berechnen. Denn der gesamte Kapital-Bestand einer Wirtschaft unterliegt dem Bewertungs-Problem. Nun gibt es inzwischen eine Reihe von Versuchen, den Kapital-Koeffizienten (k = K/Y) zu berechnen. Man schätzt ihn in hoch entwickelten Wirtschaften meist auf etwa 3. Das heißt: Der gesamte Kapitalbestand macht das Dreifache des BIP aus. Das wäre für Österreich 2016 1.150 Mrd. Damit hat man einen Richtwert. Andere Rechnungen gehen wesentlich höher (vgl. Piketty / Zucman 2014; dazu kritisch Reiterer 2015). Es scheint, dass der Kapital-Koeffizient in sich de-industrialisierenden Dienstleistungswirtschaften in den letzten Jahrzehnten in der Tendenz sinkt, was wenig überraschend wäre. Das ganze hängt engstens mit dem zusammen, was man unter dem Slogan „tendenzieller Fall der Profitrate“ debattiert. Darüber wird ein anderes Mal zu sprechen sein.

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Insbesondere die eingehenden Transaktionen sind enorm beweglich und instabil. Das deutet auf erhebliche spekulative Motivation hin. Die ausgehenden Investitionen pro Jahr sind eher stetig, wenn auch natürlich von Stimmungen und Konjunkturen abhängig. Das wiederum zeigt, dass sie sich eher an längerfristigen Unternehmens-Interessen orientieren. Die Betrachtung nach Branchen später wird dies tendenziell bestätigen.

Hier ist noch nicht der Platz, eine ausführliche Interpretation zu bringen. Dazu bräuchten wir auch die Daten zu den einzelnen Ländern und über die Branchen. Die möchte ich aus Platzgründen erst in Kürze präsentiere.

Doch der mir heute wesentliche Punkt ist in aller nur wünschbaren Deutlichkeit zu erkennen:

Die Verflechtung der österreichischen Wirtschaft mit der übrigen Welt war ein politisch ange­triebener Prozess. Zwar gab es bereits von etwa 1987 weg ein leichtes Steigen dieser Ver­flechtung. Vielleicht könnte man dies als spontane Mondialisierung kennzeichnen. Das ist allerdings fast irreführend. Denn 1986 gab es in Österreich einen Regierungswechsel. Die neue Regierung mit dem SP-Kanzler Vranitzky an der Spitze begann eine entschiedene Um­orientierung nicht nur der Wirtschafts-, sondern auch der Außenpolitik. Auch damals stand also die Politik als treibende Kraft im Hintergrund. Der Haupteffekt war der EG-Anschluss Österreichs. Tatsächlich schickte ie Regierung am 7. Juli 1989 den „Brief nach Brüssel“ ab, also das Anschlussbegehren.

Doch der entscheidende Wendepunkt kam 1999, mit der Währungsunion. Damals wurde der Euro zum Kern der Wirtschaftspolitik, wennn auch auf den Papier-Zetteln im Umlauf noch „Schilling“ stand. Ab diesem Moment können wir das steile Ansteigen der Kapitalverflechtung beobachten. Österreich sollte unwiderruflich in die westliche, d. h. praktisch: deutsche, Kapital-Sphäre eingebunden werden. Selbst aber übernahm es die Funktion, den Rammbock gegen den Osten zu spielen. Dessen Einvernahme durch das Imperium erfolgte einige Jahre später.

Die Globalisierung ist ein hauptsächlich politischer Prozess. Sie läuft in Europa vor allem als Regionalisierung im Rahmen der EU ab. Alles Gerede um die unaufhaltsame sozio-ökonomi­sche Entwicklung ist ein Rauchvorhang. Die Unzulänglichkeit des Nationalstaats gegenüber der Umstrukturierung der Weltwirtschaft wird politisch erzeugt. Dahinter findet die zielge­richtete Politik der Abhängigkeit statt. Das muss man gegenüber Menschen betonen, die dies, mit dem einen oder anderen kritischen Schlenkerer, als „Analyse“ verkaufen (z. B. Scharpf). Ob dies aus unserer Sicht nun wünschenswert ist oder nicht, steht an dieser Stelle nicht zur Debatte. Hier geht es einzig um die klare Aussage: Globalisierung ist ein politisches Projekt, welches die Eliten in aller Zielstrebigkeit und mit hartnäckiger Energie durchsetzen.

Albert F. Reiterer, März 2017

Erstveröffenlichung:
Euroexit gegen Sozialabbau