AMSAuch in Österreich nimmt seit dem EU-Beitritt die Arbeitslosigkeit deutlich zu. 1994 waren rd. 230.000 Menschen arbeitslos, 2016 bereits 425.000. Stellten sich 1994 sechs Arbeitslose um eine offene Stelle an, waren es 2015 bereits mehr als 14 (sh. Grafik 1). Parallel zum Anstieg der Arbeitslosigkeit wurden und werden die Bedingungen für Arbeitslose verschärft. Motto: Je höher die Arbeitslosigkeit, desto mehr werden die Betroffenen drangsaliert. Dadurch wird freilich kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Darum geht es im Rahmen des EU-Konkurrenzregimes auch gar nicht. Das Ziel ist es, die Konkurrenz unter den Arbeitslosen weiter anzuheizen, um Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen der noch Beschäftigten zu machen. Hier ein kurzer – unvollständiger – Überblick über die Novellen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) bzw. andere Verschärfungen für Arbeitslose:

AlVG-Novellen in den 90ern

Ausweitung des Zeitraums, für den Arbeitslosengeld (ALG) bzw. Notstandshilfe (NH) gesperrt werden können, von 4 auf 6 Wochen. Im Wiederholungsfall können ALG und NH sogar 8 Wochen gestrichen werden (z.B. bei Versäumung von Kontrollterminen, „Vereitelung“ einer Anstellung, usw.). Die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen, wie willkürlich diese Entscheidungen oft getroffen werden, die für die Betroffenen existenzbedrohende Folgen haben. Immer mehr Menschen sind von diesen Sperren betroffen (sh. Grafik 2). Dieser Anstieg ist keineswegs „nur“ auf die insgesamt steigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Von 1993 bis 2015 stiegen die Sperren von ALG und NH von 37.000 auf über 103.000. Das ist ein Zuwachs um 180%, die Zahl der Arbeitslosen stieg in diesem Zeitraum um rd. 80%. Die Zahl der Bezugssperren je tausend Arbeitslose kletterte kräftig in die Höhe: von 155 (1993) auf 245 (2015), mit 332 Sperren je tausend Arbeitslose gab es 2011 einen Spitzenwert.

AMS BezugssperrenEbenfalls ab Mitte der 90er Jahre wurde die Höhe des Arbeitslosengeldes schrittweise absenkt. Die Nettoersatzrate, die von der Höhe des letzten Gehalts berechnet wird, sank 1993 von 57,9% auf 57%, 1995 auf 56 Prozent und im Jahr 2000 auf 55 Prozent. Österreich hat damit eine der niedrigsten Nettoersatzraten europaweit.

AlVG-Novelle 2000

Abschaffung der Wertanpassung von ALG und NH. D.h. auch wenn jemand länger arbeitslos ist, werden ALG bzw. NH nicht mehr an die Inflation angepasst, verlieren also an Kaufkraft. Bis 2000 galt: Wer ein Arbeitsverhältnis „ohne triftige Gründe“ selbst kündigte, bekam vier Wochen lang kein Arbeitslosengeld. Diese „triftigen Gründe“ entfallen mit der AlVG-Novelle 2000. Zwar können noch „berücksichtigungswürdige Gründe“ vorgebracht werden, die Statistik zeigt aber, dass seit der AlVG-Novelle 2000 die Sperren nach Selbstkündigung deutlich in die Höhe gehen. 

AlVG-Novelle 2004:

War bis dorthin die Zumutbarkeit der Arbeit an einen „ortsüblichen Lohn“ gekoppelt, so gilt ab 2004 nur mehr der „zumutbare Lohn“. Der Unterschied: Der „ortsübliche Lohn“ kann auch Überzahlungen des Kollektivvertrages erfassen (eben sofern „ortsüblich“), der „zumutbare Lohn“ stellt nur mehr auf den Kollektivvertragslohn ab. Parallel zu dieser Änderung im AlVG gehen auch die Überzahlungen von KV-Löhnen rapid zurück.

Einschränkung des Berufsschutzes. Dieser galt früher für die gesamte Zeit des Arbeitslosengeldbezugs (also sechs Monate oder länger) und wurde mit der AlVG-Novelle 2004 auf nur mehr 100 Tage eingeschränkt. Für die Dauer von 120 Tagen gilt ein „Entgeltschutz“, d.h. das Entgelt darf nicht unter 80% des Letztbezuges absinken (bei Beschäftigung im Letztberuf auch darunter), danach senkt sich diese Grenze auf 75% für die restliche Dauer des ALG-Bezugs. Galten vor 2004 während des Notstandshilfebezugs zumindest noch die Vorgabe, dass „eine Rückkehr in den früheren Beruf nicht verhindert werden soll“, so wurde 2004 auch dieser letzte Rest des „Berufsschutzes“ während des Notstandshilfebezugs gestrichen.

AlVG-Novelle 2007 ff. und andere Verschärfungen

Erweiterte Vermittlung von Arbeitslosen in "Sozialökonomische Betriebe" bzw. "Gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt" (mit der AlVG-Novelle 2007). Damit wird ein Billiglohnsektor geschaffen, in dem Menschen unter den Branchen-Kollektivverträgen entlohnt und oftmals völlig unter ihrer Qualifikation eingesetzt werden. Wer solche „Transitarbeitsplätze“ ablehnt, dem droht die Sperre des Arbeitslosengeldes. Mit der AlVG-Novelle 2007 sind nunmehr auch sog. „Arbeitserprobungen“ vorgesehen, die anstelle von bezahlten Probezeiten de facto vom AMS finanzierte Gratisarbeit darstellen, die bis zu acht Wochen dauern kann.

Ausdehnung der Wegzeiten. Schon vor der AlVG-Novelle galten Wegzeiten von einem Viertel der Tagesarbeitszeit als zumutbar (2 Stunden für einen 8-Stundentag, 1,5 Stunden ab 20 Wochenstunden). Mit dieser Novelle wurde über die Formulierung von „jedenfalls 1,5 Stunden Wegzeit, unabhängig vom Ausmaß der Teilzeit“, und „jedenfalls 2 Stunden bei Vollzeit“ de facto eine Wegzeitbeschränkung eliminiert. 

Die erleichterte Anwartschaft für Jugendliche auf das Arbeitslosengeld (ein halbes Jahr Sozialversicherungszeiten statt einem Jahr) wird eingeschränkt: Die Altersgrenze sinkt von 25 auf 21 Jahre. Jugendliche über 21 müssen also doppelt so viele Beschäftigungsmonate für einen Arbeitslosengeldanspruch vorweisen, um Anspruch auf ALG zu erwerben.

Weiters können nach § 9 AlVG ("Arbeitswilligkeit") nun auch jene gesperrt werden, die sich weigern, durch "einen vom Arbeitsmarktservice beauftragen, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen". Also durch PRIVATE Personalvermittler direkt angebotene Stellen sollen bedrohbar werden, ohne dass vorher die "Zumutbarkeit" der Stelle geprüft werden muss. Die Forcierung der Personalvermittler und Personalüberlasser durch das AMS führt dazu, reguläre Arbeitsverhältnisse zu untergraben.

AMS StellenandrangWährend des gesamten Verfahrens um die Invaliditätspension gab es bis 2012 den Pensionsvorschuss. Dieser befreite, da ja noch nicht endgültig feststand, ob Arbeitsfähigkeit vorliegt oder nicht, von der Pflicht zur Arbeitswilligkeit und somit dem AMS zur Arbeitsvermittlung und für AMS-Zwangsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. Dieser Pensionsvorschuss wurde bis zum endgültigen Abschluss des Pensionsverfahrens gewährt, ab 1.1.2013 aber nur noch bis zum Vorliegen des ersten fachärztlichen Gutachtens (Gesundheitsstraße), maximal aber nur zwei (ab 2014 drei) Monate. 

Anhebung der wöchentlichen Mindestarbeitszeit, die man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss, von bisher 16 auf 20 Stunden. Die 16 Stunden bleiben nur für jene aufrecht, die Betreuungspflichten für Kinder unter dem Volksschulalter haben. Laut neuem SP/VP-Arbeitsprogramm soll jedoch auch diese Ausnahmeregelung für Arbeitslose mit Betreuungspflichten beseitigt werden.

Ebenfalls eine Attacke auf Arbeitslose wie Beschäftigte sind die seit 2016 einsetzenden Verschlechterungen bei der Mindestsicherung. Bei vielen Arbeitslosen ist ALG bzw. NH so niedrig, dass sie über die Mindestsicherung aufstocken müssen, um überleben zu können. Letztlich zielt die Senkung der Mindestsicherung auf die Errichtung eines Niedriglohnsektor à la Hartz IV in Deutschland.

 


 

Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht Arbeitslose!

EU-Verträge, -Richtlinien und -Verordnungen rauben den Nationalstaaten zunehmend die wirtschaftspolitischen Instrumente, die für eine Vollbeschäftigungspolitik unentbehrlich sind:

  • Durch den neoliberalen EU-Binnenmarkt wurden der Waren-, Kapital-und Arbeitskräfteverkehr zunehmend dereguliert und auch die öffentlichen Dienste zunehmend dem Regime der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ unterworfen.
  • Durch die Währungsunion wurden den Staaten eine eigenständige, demokratisch kontrollierte Geld- und Währungspolitik entwunden; der Euro ist für die Mitgliedsstaaten im Grunde eine Fremdwährung, gesteuert über die EZB, die per EU-Vertrag als demokratiefreie Zone konstituiert wurde, um sie völlig einseitig auf den Vorrang der Inflationsbekämpfung vor allen anderen Zielen festzulegen.
  • Durch den EU-Fiskalpakt und diverse EU-Verordnungen geht seither auch die Macht der Parlamente verloren, über die Budgetpolitik Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Eine rigide Spar- und Sozialabbaupolitik (EU-Fiskalpakt) lässt die Arbeitslosigkeit massiv ansteigen, in manchen EU-Staaten (Griechenland, Spanien) explodiert die Jugendarbeitslosigkeit auf über 50%.
  • Durch neoliberale Freihandelsverträge, für die die EU Druck macht (z.B. CETA), sollen Konzerne eine noch stärkere Machtposition gegenüber den Staaten bekommen, z.B. durch Klagemöglichkeiten über Sondergerichte.

Um vom sozialen Skandal der wachsenden Arbeitslosigkeit abzulenken, werden zunehmend die Arbeitslosen drangsaliert. Umgekehrt gilt: Wenn wir eine Politik durchsetzen wollen, die Arbeitslosigkeit und nicht mehr die Arbeitslosen bekämpft, dann müssen wir den Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime enttabuisieren. Nur so können wir Rahmenbedingungen und wirtschaftspolitische Instrumente entwickeln, um die Ökonomie demokratisch zu regulieren und das Recht auf Arbeit für alle durchzusetzen. Parallel dazu gilt es, darum zu kämpfen, die Verschärfungen der letzten Jahre zurückzunehmen und die Situation von Arbeitslosen zu verbessern, z.B. durch deutliche Anhebung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf 80%, die Abschaffung der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe oder die Ausdehnung des Arbeitslosengeldbezugs auf zumindest 30 Wochen. die seit 2016 einsetzenden Verschlechterungen bei der Mindestsicherung.

Bei vielen Arbeitslosenist ALG bzw. NH so niedrig, dass sie über die Mindestsicherung aufstocken müssen, um überleben zu können. Letztlich zielt die Senkung der Mindestsicherung auf die Errichtung eines Niedriglohnsektor à la Hartz IV in Deutschland.

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