Bildung ReicheElternBildungspolitik ist kein unmittelbarer EU-Politikbereich. Trotzdem haben EU-Verträge und EU-Institutionen über verschiedenste Hebel – Vorgaben des EU-Binnenmarktes, EuGH-Entscheidungen, Liberalisierungspolitik, Budgetvorgaben, Bologna-Prozess – vielfältigen Einfluss auf die Bildungspolitik in Österreich genommen. 

Sparpolitik im Bildungsbereich: 52 vorenthaltene Bildungsmilliarden

Seit dem EU-Beitritt jagt ein Sparpaket das nächste, um die sog. „Maastricht“-Kriterien der EU einzuhalten, vieles davon hat sich auf die Bildungschancen der Menschen negativ ausgewirkt. Die Folge: Seit 1995 geht der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stetig zurück: von 6,1% auf 5% (sh. Grafik 1). Das klingt nach wenig, ist aber in absoluten Beträgen über den Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte verdammt viel. Ein Prozent weniger heißt immerhin drei Milliarden Euro weniger - jährlich. Und akkumuliert über den Zeitraum von 1995 bis 2014 ergibt das den erklecklichen Fehlbetrag von 52 Milliarden Euro, die bei der Bildung an allen Ecken und Enden fehlen.

Diese Sparpolitik hat viele Gesichter, zum Beispiel:

In zwei Sparpaketen (1995, 2003) wurden in so gut wie allen Unterrichtsgegenständen und Schultypen Stunden gestrichen. Folge: Einem AHS-Maturanten, der 12 Schuljahre absolviert hat, wurde praktisch ein dreiviertel Schuljahr an Unterricht weggekürzt (rd. 870 Stunden), das aber bei gleichem Lehrstoff. Diese Aushungerung der öffentlichen Schulen führt zur Privatisierung durch die Hintertür. Das AK-Nachhilfebarometer ergab, dass die ÖsterreicherInnen 2015 bereits über 119 Millionen für private Nachhilfe ausgegeben haben. Mehr als ein Drittel der befragten Eltern gab an, dass sie für ihre Kinder externe Nachhilfe benötigen.

Die soziale Lage von Studierenden wurde deutlich verschlechtert, unter anderem durch die Kürzung der Familienbeihilfe für Studierende (Anbindung an die Mindeststudiendauer, Senkung von 26 auf 24 Jahre), durch die Streichung der Freifahrt für öffentliche Verkehrsmittel, durch die Einführung von Studiengebühren (die teilweise wieder zurückgenommen wurden). Die EU-Kommission hat sich wiederholt für Studiengebühren und Schulgeld stark gemacht und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Ausdrücklich als Vorbild wurden US-amerikanische Universitäten mit Studiengebühren in der Höhe von bis zu 50.000 Dollar jährlich genannt (1).

Elitenbildung und Entdemokratisierung

Bildung Ausgaben AnteilIm Jahr 1995 leg der „European Round Table (of Industrialists)“ (ERT) den EU-Entscheidungsträgern das Papier „Educations oft Europeans – Towards a Learning Society“ vor, von dem der ERT selbst stolz behauptet, dass es
„eines der einflussreichsten aller ERT-Papiere“ gewesen sei. Es legt die Grundlage für den sog. „Bologna-Prozess“, der in allen EU-Ländern seither weitgehend durchgezogen wurde. Dazu gehört vor allem die Forderung nach verstärkter Elitenbildung - flankiert durch entsprechende Zugangsbeschränkungen und Selektionshürden sowie die direkte Einflussnahme der „Wirtschaft“ auf die Hochschulen. Dieser Prozess wurde auch in Österreich konsequent durchgesetzt:

Zweiteilung der meisten Studienrichtungen in ein dequalifiziertes Massenstudium (Bachelor) und Elitestudium für wenige (Master, Dr.)

Weitgehende Eliminierung der studentischen Mitbestimmung durch das UniStG 2002. Dafür können seither Vertreter von Großunternehmen die Uni-Politik über einen „Universitätsrat“ unmittelbar beeinflussen. Diese Universitätsräte verfügen über umfassende Kompetenzen bei der Wahl des Rektors sowie bei der organisatorischen und finanziellen Entwicklung der Universität. Eine Untersuchung 2012 hat ergeben, dass 43% der Mitglieder und 73% der Vorsitzenden dieser Uniräte aus Konzernetagen kommen (Zum Vergleich: Der Anteil der GewerkschafterInnen in den Uni-Räten beträgt 1,3%).

Durch den EU-Lissabon-Vertrag (ab 2009) wurde außerdem die demokratische Gestaltung der Bildungspolitik durch die Parlamente weiter eingeschränkt. Denn mit diesem Vertrag müssen internationale Handelsverträge, die die Bereiche Bildung, Soziales und Gesundheit betreffen, nicht mehr den nationalen Parlamenten zur Beschlussfassung vorgelegt werden. 

Militarisierung der Hochschulen

Besonderen Druck macht die EU, die Hochschulen in den Militärisch-Industriellen-Komplex einzubinden. Das Zauberwort heißt „Dual Use“, also Nutzbarmachung ziviler Forschungsergebnisse für die Kriegswaffenindustrie. Beim EU-Gipfel im Dezember 2013 wurde die EU-Kommission und die EU-Rüstungsagentur aufgefordert „eng mit den Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten, um Vorschläge auszuarbeiten, wie die Dual-Use-Forschung noch stärker angekurbelt werden kann.“ (2) Seit dem 7. Rahmenforschungsprogramm der EU (2007) werden die EU-Forschungstöpfe immer stärker für Projekte geöffnet, die der Forschung für Rüstung und Überwachung dienen. 

Auch österreichische Unis und Forschungseinrichtungen sind immer stärker in solche Projekte eingebunden, z.B. bei der Forschung für Überwachungs- und Killerdrohnen . Die finanzielle Aushungerung zwingt die Hochschulen, sich bei Rüstungsunternehmen zu prostituieren, um „Drittmittel“ einzuwerben. Das Beispiel der Uni Linz zeigt, wohin das führt: Seit dem Eurofighter-Ankauf fließen zunehmend Gelder des Eurofighter-Produzenten EADS an die Linzer Uni. Welch ein Zufall, dass 2015 just jener Rechtswissenschaftler, der EADS (heute: Airbus) im Zuge der Kontroverse um diesen umstrittenen Ankauf ein juristisches Gefälligkeitsgutachten ausgestellt hat, zum Rektor der Linzer Universität bestellt wurde!

EuGH-Urteil beendet offenen Hochschulzugang

Österreich war eines der wenigen Länder in der EU mit einem freien Hochschulzugang. Diesen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Grabe getragen. Im Jahr 2004 legte der EuGH mit seinem Urteil, die Vorschriften des EU-Binnenmarktes auch auf den Uni-Zugang zu erweitern, die Grundlage dafür, Zugangsbeschränkungen an den österreichischen Hochschulen einzuführen. Industriellenvereinigung, Rektorenkonferenz und Regierungskreise war der freie Hochschulzugang schon seit langem ein Dorn im Auge. Da aber die Einschränkung des freien Hochschulzugangs auf demokratischem Weg nicht durchsetzbar schien, „half“ der EuGH mit seinem Urteil „aus“, indem er erzwang, dass Studierenden aus allen EU-Staaten dieser freie Zugang zu den österreichischen Hochschulen gewährt werden müsse. Der enorme Druck von Numerus-Clausus-Flüchtlingen aus Deutschland wurde sodann von der Regierung sofort genutzt, den Numerus Clausus über diverse Zugangsbeschränkungen an immer mehr Studienrichtungen an den österreichischen Unis einzuführen: Medizin, Veterinärmedizin, Psychologie, Biologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Architektur, Pharmazie, Informatik, Lehramtsstudienrichtungen usw.

Der Völkerrechts-Professor Manfred Rotter von der Universität Linz charakterisierte damals dieses EuGH-Urteil „als Verhöhnung der Demokratie“, das „in so manchen Zirkeln bereits die Sektkorken hat knallen lassen. Denn was ist schöner als die von vielen herbeigewünschten Restriktionen des freien Uni-Zugangs vom Europäischen Gerichtshof verordnet zu bekommen, ohne sie auf demokratischem Weg erstreiten zu müssen?“ (3) Einer aus diesen Zirkeln, der damalige Vorsitzende der Österreichischen Universitätskonferenz Christoph Badelt, machte auch kein Hehl aus seiner guten Laune ob des EuGH-Urteils: „Numerus Clausus ist Europanorm“, erläuterte er öffentlich die Bildungspolitik der EU-Eliten (4). 

Immer weniger ArbeiterInnenkinder an den Unis 

Eine Studie der Arbeiterkammer im Jahr 2015 hat erhoben, dass sich durch die Einführung von Zugangsbeschränkungen der soziale Numerus Clausus deutlich verschärft hat. Seit der Einführung dieser Zugangsbeschränkungen stieg der Anteil von Kindern aus Akademikerfamilien (Quelle: Kurier, 17.6.2015) sprunghaft an (sh. Grafik 2).

  • Humanmedizin: von unter 40% auf über 50%
  • Veterinärmedizin: von 34% auf über 50%
  • Psychologie: von 23 auf rd. 40%
  • Publizistik: von 25% auf rd. 35%
  • Biologie: von 35% auf rd. 40%

Gleichzeitig geht der Anteil der Kinder aus ArbeiterInnenfamilie Schichten seit Ende der 90er Jahre deutlich zurück. Das belegen die Studierenden-Sozialerhebungen des Instituts für Höhere Studien. Diese kommen zum Ergebnis, dass der Anteil von Kindern aus „niederen sozialen Schichten“ an den Universitäten von 26% (1998) auf 17,1% (2011), an den Fachhochschulen von 33% (1998) auf 22,9% (2011) gesunken ist (sh. Grafik 3). Auch der soziale Numerus Clausus wird immer mehr zur „Europanorm“.


Quellen:

  1. EU-Kommission, Effizienz und Gerechtigkeit in den Europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung, 8.9.2006, Brüssel
  2. Schlussfolgerungen des EU-Gipfels, 20.12.2013, Brüssel
  3. Standard, 8.7.2005
  4. Presse, 22./23.12.2007

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