LuftschlossZur aufgewärmten Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Krise aus 2007/08 wurde nicht für eine solidarische und demokratische Wende in der gesellschaftlichen Entwicklung genutzt. Im Gegenteil: gerade in der EU wurden die neoliberalen Anpassungsprogramme radikalisiert. Durch die sozialen Verwerfungen kommen auch in den imperialen Zentren jene Teile der Eliten an die Rampe, die zur Herrschaftssicherung auf eine willkürliche Vertiefung der Mechanik von Einschluss und Ausschluss orientieren; jegliche Reglements scheinen zur Disposition zu stehen. Es geht schon lange nicht mehr um Modelle. Es geht um Macht; in unserem Fall vor allem um die Verteidigung von Macht, bedingungslos. Deren Aggressivität wird deutlich sicht-, hör- und fühlbar.
Ernsthafte Bemühungen um menschliche Emanzipation müssen in der Konfrontation mit dieser Macht münden. Die einschließende machtvolle Beteiligung aller an der Aushandlung der Bedingungen des Zusammenlebens, nicht Bedingungslosigkeit, müssen auf die Tagesordnung gerückt werden. Der politische Raum, in dem wir eine derartige Politik durchsetzen wollen, muss unmissverständlich adressiert werden. Jene Machtinteressen, die dem entgegenstehen, müssen überwunden werden.
Die erratischen Angriffe - zur Verteidigung - der radikalisierten Eliten sind unter anderem wesentlich auf die zeitlichen Reglements zur Verfügbarkeit von Menschen gerichtet. Kollektive Regelungen in dieser Frage sollen weiter geschliffen werden. Die 88igste Neuauflage des Flexibilitätsparadigmas hat Züge des Wahnhaften. Notwendig wäre eine breite und tiefe Konfrontation mit diesen Angriffen. Die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) leistet keinen Beitrag zur Herstellung einer Koalition, die diese Konfrontation ernsthaft führen könnte. Sie ist eine Debatte um ein Heilsversprechen und damit grundlegend antiemanzipativ.

Es gibt kein bedingungsloses Einkommen.
Die Irreführung beginnt beim Namen: bedingungsloses Grundeinkommen. Es gilt jedoch: Jedes Einkommen ist bedingt. Freilich gibt es Dinge, die uns die Natur quasi umsonst zur Verfügung stellt: die Luft zum Atmen oder mitunter auch die Zuneigung durch einen anderen Menschen. Was sollte uns jedoch dazu bringen, das als Einkommen zu qualifizieren. Bereits beim Platz, dessen wir mit unserem Körper bedürfen, wird es eng. Dort wo ich stehe, kann kein anderer stehen. Befinden wir uns auf einem öffentlichen Platz, können wir uns auf das Recht, dort zu sein, berufen. Das ist nicht selbstverständlich. Der öffentliche Platz ist nicht zufällig ein begehrter Platz. Die vielfältigen Interessen, die die Menschen mit ihm verknüpfen, werden durch seine infrastrukturellen Ausstattung und das verwaltete Reglement deutlich. Es ist eine Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die sich mit ihm verbindet. Und damit auch Bedingungen.
Damit Einkommen entsteht, ist zunächst die Erfüllung zweierlei Bedingungen erforderlich. Erstens: Jemand muss sich eine gewisse Zeit einer Sache widmen. Zweitens: Es muss für andere von Interesse sein, dass er dies tut; was dabei herauskommt, muss von Bedeutung für andere sein. Das klingt zunächst banal, ist es mitunter auch. Dennoch schwirren seltsame Vorstellungen in der Debatte herum. Maschinen würden bald unser Einkommen produzieren, prognostizieren die einen. Andere meinen, unser Einkommen könnte bald quasi ein Kuppelprodukt zirkulierenden Geldes sein. "Eat the rich!" formulieren die Dritten und übersehen dabei abgesehen von kulinarischen Fragen, dass wir weder Geld noch Forstbesitz oder Industrieanlagen essen können.

Einkommen ist keine Frage der Technik.
Die Bedingtheit des Einkommens eröffnet sich nicht zuletzt darin, dass seine Höhe das reziproke Verhältnis von selbst aufgewendeter Zeit zum Zeitaufwand der anderen, den ich für mich in Anspruch nehme, zum Ausdruck bringt. Dieses Verhältnis ist weder technisch noch gesellschaftlich festgeschrieben. Die selbst aufgewendete Zeit ergibt eben nicht, wieviel Zeit ich mir von den anderen aneignen kann. Das gilt auch umgekehrt nicht. Wir tauschen nicht einfach Stunden. Die Dauer zur Herstellung von Gütern oder der Bereitstellung von Diensten und die Zeit ihrer Nutzung kongruieren nicht. Begeben wir uns eine halbe Stunde unter die Hände eines Friseurs können wir ihm vielleicht zum Austausch noch eine halbe Stunde eine Geschichte vorlesen. Hat sich der Friseur zum Zwecke der besseren und bequemeren Verrichtung seiner Arbeit einen Friseurstuhl angeschafft, wird es schon schwierig. Können wir dem Stuhl das erworbene Taschenbuch gegenüberstellen? Aus der wechselseitigen Bedingtheit des Einkommens erwächst ein komplexer Prozess. Machtverhältnisse sind in ihn eingewoben und gehen aus ihm hervor. Diese gilt es in den Fokus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu rücken. Die Kampagnen zur Einführung eines bGE rücken sie an den Rand oder überhaupt darüber hinaus.

Bedingungsloses und leistungsloses Einkommen
Es gebe bereits jetzt allerlei Arten von leistungslosem Einkommen, lautet ein Einwand. Das bGE wäre nur eine Weiterentwicklung und gewissermaßen Vereinfachung dieser Formen. Das wollen wir uns genauer anschauen. Freilich, in der Regel sorgen wir für unsere Kinder und andere Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können. Nur eine Gesellschaft, in der wir niemanden, der leidet, einfach sich selbst überlassen, erscheint uns lebenswert. Wir erkennen  im Leidenden uns selbst in unserer Not. Schaffen wir damit ein leistungsloses Einkommen? Man mag es so nennen. Wir können es auch Unterhalt oder Hilfe nennen. Es geht nicht um Begriffsspalterei. Bedingt bleiben derartige Transfers allemal. Der Großteil der Sozialleistungen, z.B. Pensionen, Unfallrenten, Kranken- und Arbeitslosengelder, vor allem auch die kostenlose Inanspruchnahme öffentlicher Güter und Leistungen,  bildet jedoch kein leistungsloses Einkommen. Sie verweisen bloß darauf, dass in einer komplexen Gesellschaft die Zeit der Generierung von Einkommen und sein Verbrauch nicht kongruieren können.
Sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapital und Vermögen.  leistungslose Einkünfte? Das ist tatsächlich eine berechtigte Frage. Vor allem in Verbindung mit der Frage nach der Legitimität dieser Einkünfte. Wesentlicher ist es mitunter dennoch, danach zu fragen, welche Funktion diese Einkunftsarten im Zusammenhang mit Wachstum und Akkumulation haben. Jedenfalls ist es schwer vorstellbar, dass diese Einkünfte verallgemeinert werden, dass quasi alle Menschen, vom Einkommen aus Besitz und Vermögen leben. Die dafür notwendige Akkumulation von Vermögen würde die Gesellschaft völlig destabilisieren. Man denke an die Propaganda von der Notwendigkeit zum Aufbau eines kapitalgedeckten Pensionssystems.

Stärkt ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeitenden?
Ein Argument, das häufig für ein bGE ins Treffen geführt wird, ist, dass damit das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeitenden verschoben wird. Sie wären nicht mehr dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft unter allen Umständen zu Markte zu tragen. Die so erwirkte Verknappung des Arbeitskräfteangebots würde die Löhne steigen lassen. Das ist eine bestechende Vorstellung und geht aber an der Wirklichkeit vorbei. Eine Verknappung würde sich nicht über alle Bereiche gesellschaftlicher Arbeit ergeben, sondern nur bei einzelnen Berufen. Eine künstliche Verknappung würde höhere Preise in diesen Sektoren bewirken. Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr, dass für die große Zahl jener, die auf Arbeitseinkommen angewiesen bleiben, das bGE als Kombilohn wirkt, wie jetzt schon für viele die Mindestsicherung. Die Gesellschaft würde weiter gespalten und die Position der Arbeitenden damit geschwächt.

Entfaltung der menschlichen Kreativität
Ohne bGE wäre alle menschliche Tätigkeit auf marktförmige Verwertung gerichtet. Kreatives Potential der Menschen komme dadurch nicht zur Entfaltung und bleibt ungenutzt, lautet ein Argument für die Einführung eines bGE. Das hat einiges für sich. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es zunehmend Tätigkeiten gibt, bei denen nicht von vorneherein klar ist, ob sie marktförmig verwertbar sind. Es gilt jedoch, derartige Zeiten frei von Verwertungszwang zu verallgemeinern. Die Solidarwerkstatt schlägt deshalb z. B. vor, eine zusätzliche fünfjährige Ausbildungszeit, in deren Genuss heute nur Menschen mit einer akademischen Karriere kommen, auf alle Menschen auszudehnen. Einer Spaltung der Gesellschaft in "die Kreativen" und alle anderen darf nicht Vorschub geleistet werden. Die Drohbotschaft der Eliten lautet: "Du bist überflüssig!" und tatsächlich leiden darunter arbeitslose Menschen. Für viele könnte ein bGE in einer dauerhaften Alimentierung ihrer Existenz, die sie als nutzlos und überflüssig empfinden, münden.
Die aktuelle Debatte um ein bGE setzt auf den prognostizierten, durch eine Industrie 4.0 generierten, Produktivitätsschub  auf. Der Gesellschaft ginge dadurch die Arbeit aus. Dafür gibt es keinerlei empirische Beweise. Die Prognosen sind vielfach bloß Drohungen, mit denen die Arbeitenden gefügig gemacht werden sollen. Würden wir damit ein bGE begründen, würden wir die großmundigen Ankündigungen überbezahlter Wichtigtuer für bare Münze nehmen.

Demokratisierung der Produktivitätsgewinne
Es gibt noch viele konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Einführung eines bGE. Wie wird es finanziert? Wie funktioniert der Übergang? Wie gestaltet sich der räumliche Eintritt in ein derartiges System? Die Diskussion dieser Fragen gleicht ermüdenden Sandkastenspielen. Die Gesellschaft ist jedoch kein Sandkasten, dessen Inhalt sich zwischendurch glattrechen lässt, um dann darin ein neues Modell zu basteln. Die Arbeiterkammer OÖ hat errechnet, würden die seit 1994 erzielten Produktivitätsgewinne in zusätzlicher Urlaubszeit abgegolten, könnten wir heute 3 Wochen länger Urlaub genießen. Darüber muss gestritten werden. Für Alle und mit Allen. Es geht um die Demokratisierung der Produktivitätsgewinne. Dafür braucht es Regeln und Bedingungen. Das bGE hingegen ist ein Ausfluss des grassierenden Flexibilisierungswahns, den es zu überwinden gilt.

Boris Lechthaler
(März 2017)